Soziale Marktwirtschaft im Ukrainekrieg

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Soziale Marktwirtschaft im Ukrainekrieg: Durch Putins brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine sind die Preise für Lebensmittel und Energie inflationär gestiegen. Weil Russland Erdgas und Rohöl als Waffe einsetzt und der Westen mit wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen reagiert, wird die internationale „Freie Marktwirtschaft“ zunehmend ausgehebelt.

Soziale Marktwirtschaft im Ukrainekrieg

Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat das wirtschaftliche Gefüge in den westlichen Ländern stark verändert- Foto Pixabay

Bei einer „Freien Marktwirtschaft“ steht das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage im Mittelpunkt. Im theoretischen Modell bilden sich die Preise auf den Märkten über den Preismechanismus – ohne Eingreifen der Staaten.

Doch in der Praxis ziehen sich die Staaten auch in einer freien Marktwirtschaft nicht vollständig aus dem Geschehen zurück.

Laut Adam Smith, dem Begründer der klassischen Nationalökonomie, ist der Staat für die Aufrechterhaltung der äußeren Sicherheit und den Schutz der Bürger vor ungerechter Behandlung und Unterdrückung verantwortlich.

Soziale Marktwirtschaft im Ukrainekrieg

Durch die Boykottmaßnahmen in den westlichen Ländern werden die Anforderungen an eine Wiederbelebung der Sozialen Marktwirtschaft immer lauter – Foto Pixabay

Mit seiner Denkschrift zur „Kriegsfinanzierung und Schuldenkonsolidierung” geriet Ludwig Erhard 1944 in Opposition zu den Nationalsozialisten. Er ging davon aus, dass Deutschland den Krieg verlieren wird – und schickte den Text sogar an Carl Goerdeler, einen der führenden Köpfe des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944. Das Attentat scheitert, doch Ludwig Erhard überstand die anschließenden Säuberungsaktionen unbeschadet.

Nach dem Krieg wurde Ludwig Erhard von 1948 bis 1949 Wirtschaftsminister im bayrischen Kabinett. Zusätzlich wurde er am 2. März 1948 zum Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes gewählt und war damit für die Wirtschaftspolitik in den westlichen Besatzungszonen verantwortlich. Danach war er von 1949 bis 1963 Bundesminister für Wirtschaft im Kabinett von Konrad Adenauer.

Walter Eucken war Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft und begründete die Freiburger Schule des Ordoliberalismus. Das war ein Konzept für eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung, in der ein durch den Staat geschaffener Ordnungsrahmen den ökonomischen Wettbewerb und die Freiheit der Bürger auf dem Markt gewährleisten soll.

Diese Theorie reduzierte den Einfluss des Staates auf die Schaffung und Überwachung einer politischen Rahmenordnung für die Märkte. Obwohl sich der Staat aus dem Wettbewerb heraushielt, sollte er dafür sorgen, dass Monopole, Kartelle und andere Formen der Marktbeherrschung verhindert werden. Das war der Beginn der Sozialen Marktwirtschaft.

Soziale Marktwirtschaft im Ukrainekrieg

Die Welt hofft auf ein baldiges Ende des Ukraine-Krieges – Foto Pixabay

Ludwig Erhard vertrat wirtschaftspolitisch im Grundsatz auch den „Ordoliberalismus”. Allerdings fügte er dem wirtschaftspolitischen Teil eine soziale Komponente hinzu. Danach hat sich der Staat auch um die Lösung der sozialen Fürsorge zu kümmern. Das betrifft sämtliche Bereiche, die aus unterschiedlichen Gründen am wirtschaftlichen Handeln nicht oder nicht in vollem Umfang teilnehmen können. Erhard nannte sein modifiziertes Konzept mit den ökonomischen Rahmenbedingungen „Soziale Marktwirtschaft”.

Erhards Wirtschaftspolitik war zunächst heftig umstritten, denn die Lebenshaltungskosten stiegen in den ersten vier Monaten nach der Preisfreigabe um 14 Prozent. Diese Preise konnten die Bundesbürger nicht bezahlen, denn die Löhne waren seit 1939 eingefroren. Erst nach der Freigabe der Löhne entspannte sich die Lage langsam.

Zwischen 1953 und 1957 thesaurierte die Bundesregierung die Überschüsse des Bundeshaushalts in einem sogenannten „Juliusturm“. Als erster Bundesfinanzminister legte Fritz Schäffer so eine Kapitalreserve von kaufkraftbereinigt über 20 Mrd. Euro auf die hohe Kante. Die angesparten Haushaltsüberschüsse wurden später für die Bewaffnung der Bundeswehr ausgegeben.

1957 veröffentlicht Ludwig Erhard sein Buch „Wohlstand für alle”.

Darin heißt es: „So wollte ich jeden Zweifel beseitigt wissen, dass ich die Verwirklichung einer Wirtschaftsverfassung anstrebe, die immer weitere und breitere Schichten unseres Volkes zu Wohlstand zu führen vermag.“

Am Ausgangspunkt seiner Überlegungen stand der Wunsch, über eine breitgeschichtete Massenkaufkraft, die überholten konservativen sozialen Strukturen endgültig zu überwinden. Diese überkommene Hierarchie war auf der einen Seite durch eine dünne Oberschicht, die sich jeden Konsum leisten konnte, andererseits durch eine sehr breite Unterschicht mit unzureichender Kaufkraft gekennzeichnet.

Soziale Marktwirtschaft

Das deutsche „Wirtschaftswunder” ist nach dem Zweiten Weltkrieg untrennbar mit dem Namen Ludwig Erhard und dem Begriff Soziale Marktwirtschaft verbunden. Kennzeichnend für seine sozialpolitischen Ansatzpunkte waren folgende flankierende Maßnahmen:

  • Soziale und arbeitsrechtliche Absicherung durch die Sozialpolitik (wie Arbeitslosengelder oder Mutterschutz). 1957 werden die Renten an die Reallohn-Entwicklung angepasst. 1962 wird die „Sozialhilfe” eingeführt.
  • Bereitstellung öffentlicher Unternehmen (wie Schulen und Krankenhäuser).
  • Unterstützung von schwächeren Wirtschaftssektoren über die Strukturpolitik (z.B. durch Subventionen).
  • Konjunkturpolitik für einen stabilen Geldwert.
  • Einkommensumverteilung (z.B. höhere Steuern für Reiche und Entlastungen für Arme).
  • Hoher Gewinnanreiz, der zu einer hohen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit führt.
  • Selbstverwirklichungsmöglichkeiten der Individuen.
  • Niedrige Preise wegen der Konkurrenzsituation.
  • Abschwächung der Nachteile einer freien Marktwirtschaft (z.B. Monopolbildung oder Unterversorgung der öffentlichen Güter).

Die Welt blickt mit Staunen auf das Wirtschaftswunder. In den 1950er Jahren waren keine Grenzen zu erkennen. Bis 1965 wuchs die westdeutsche Wirtschaft Jahr für Jahr und die Bundesbürger verbanden mit dem Aufschwung den Namen Ludwig Erhard.

Ukrainekrieg und Soziale Marktwirtschaft

Im Ukraine-Krieg ist der Ruf nach einer Wiederherstellung von Verhältnissen wie in der Sozialen Marktwirtschaft immer lauter geworden. In der aktuellen Wirtschafts- und Sozialkrise ist es erforderlich, dass die dringend notwendigen Stützungsmaßnahmen aus Steuermitteln den Sozialfrieden nicht belasten. Letztlich geht es auch darum, dass die Reichen nicht immer reicher und die Armen nicht immer ärmer werden. Die Einkommens- und die Vermögensschere dürfen sich nicht weiter öffnen. Ein wichtiges Kriterium für die Soziale Marktwirtschaft.

Dazu sollen aktuell in erster Linie die dringend erforderlichen Entlastungen der Bürger wegen der explosionsartig gestiegenen Energie- und Lebenshaltungskosten beitragen. Doch die von der Ampelkoalition zur Verfügung gestellten Mittel werden nach dem Gießkannenprinzip zugeteilt.

Kennzeichnend für das Gießkannenprinzip ist, dass die Zuwendungen ohne eingehende Prüfung des tatsächlichen Bedarfs „wie mit einer Gießkanne“ gleichmäßig über alle Zielgruppen gleichmäßig verteilt werden, ohne die möglicherweise unterschiedliche Dringlichkeit der Einzelfälle zu gewichten. Das wäre mit geringen Verwaltungskosten umzusetzen. Die an nicht bedürftige Empfänger ausgezahlt Summen müssten dazu genutzt werden, die wirklich Bedürftigen ausreichend zu unterstützen.

Aktuell wäre eine Bedürftigkeitsprüfung über die digitalen Netzwerke problemlos möglich. Der Staat kann sich diese Verschwendungen nach dem Gießkannenprinzip nicht länger leisten.

Als die Koalitionsparteien der Ampel ihr Grundsatzprogramm nach den Bundestagswahlen 2021 verabschiedeten, herrschte noch Frieden in Europa.

Doch nach Putins Angriffskrieg mussten die Parteien die vereinbarten politischen Grundsätze und die umzusetzenden Maßnahmen an den Realitäten ausrichten. Dabei kamen sie nicht umhin, ihre festen politischen Überzeugungen und Ziele zeitweise zurückzustecken.

Die Grünen verabschiedeten sich befristet vom Vorrang des Umweltschutzes, dem schnellen Ausstieg aus der Kohleverstromung und dem Verbot von Waffenlieferungen in Krisengebiete.

Die SPD billigte Waffenlieferungen in die Ukraine. Allerdings waren ihre Ankündigungen schneller als die Umsetzung. Lediglich bei der Durchsetzung des Weiterbetriebs der drei verbliebenen Atomkraftwerke machte der Bundeskanzler von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch.

Die FDP wurde zum Bremser der notwendigen politischen Entscheidungen. So zog sie sich bei Forderungen nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes in der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf die Zusagen in ihrem Wahlprogramm zurück. Lediglich der Abschmelzung des „Mittelstandbauchs“ im Einkommensteuertarif stimmte sie zu.

Eine Übergewinnsteuer für Energieunternehmen, durch die die preisbildungsbedingten Zufallsgewinne (Windfall-Profits) abgeschöpft werden können, lehnte Lindner mit den Worten ab: „Eine Übergewinnsteuer wäre katastrophal für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“ Der FDP-Generalsekretär orakelte sogar. „Die Einführung der Übergewinnsteuer wäre das Ende für die Soziale Marktwirtschaft.“ Doch die Übergewinnsteuer muss kommen, um unverzichtbare Stützungsmaßnahmen für Unternehmen zu finanzieren. Viele europäische Staaten haben sie bereits eingeführt.

Die Freien Demokraten lehnen auch die generelle Geschwindigkeitsbegrenzung entschieden ab. Dafür setzte sie sich für die Nutzung von synthetischen Kraftstoffen mit den Worten ein: „Klimafreundliche Synthetische Kraftstoffe sind eine bereits heute verfügbare Alternative für alle Verkehrsarten.“ Doch für die Autohersteller stand schon lange fest, dass man Autos besser direkt mit Strom antreibt, als die siebenfache Strom-Menge einzusetzen, um die gleiche Strecke mit synthetischen Kraftstoffen zurückzulegen. Das hat Verkehrsminister Wissing inzwischen auch begriffen.

Ein Blick zurück entlarvt die Klientelpolitik der FDP. Wenn Finanzminister Christian Lindner pauschal behauptet: „Steuererhöhungen sind Sabotage am Aufschwung“, dann hat er im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst.

Nach dem zweiten Weltkrieg trugen hohe Steuersätze entscheidend dazu bei, die Aufbaulasten sozialverträglich zu finanzieren.

Erinnern wir uns: Bis 1990 betrug der Spitzensteuersatz 56 Prozent. Er wurde schrittweise bis 2005 auf 42 Prozent gesenkt (über 250.000 Euro = 45 Prozent).

Die Vermögensteuer wird ab 1997 nicht mehr erhoben.

Weil Lindner die ausufernden Kosten der Krisenbewältigung nicht teilweise über höhere Steuereinahmen aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer finanzieren kann, verlagert er die Kosten am regulären Haushalt vorbei in Schattenhaushalte.

Doch die 100 Milliarden Euro im Sondervermögen zur Aufrüstung der Bundeswehr (Wumms) und die 200 Milliarden Euro im Wirtschaftsstabilisierungsfonds (Doppelwumms) sind Schulden des Bundes, die aus Steuermitteln zurückgezahlt werden müssen.

Weil diese Sonderschulden bei der Verschuldung des Kernhaushalts nicht mitzählen, gelingt es Lindner, die Nettokreditaufnahme fürs nächste Jahr kleinzurechnen, sodass er die Schuldenbremse 2023 wieder einhält.

Doch mit seinen Tricksereien schwächt er die von ihm hochgeschätzte Schuldenbremse. Besser wäre es, er würde für 2023 noch einmal die regelkonforme Ausnahme nutzen, wegen der Notlage, zusätzliche Kredite aufzunehmen.

Angesichts der weltweiten Inflation musste sich die Bundesregierung auf unbestimmte Zeit von den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft verabschieden. Eine besondere Herausforderung für den sozialen Frieden ist die notwendige Entlastung der Bürger wegen der inflationär gestiegenen Energie- und Lebenshaltungskosten.

Befristete Steuererhöhungen für Reiche und die Wiedereinführung der Vermögensteuer mit angemessenen Freibeträgen und vereinfachten Bewertungsklassen würden den Spielraum für gezielte Fördermaßnahmen eröffnen.

 

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