Satirisches Endzeitspektakel im WBT

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Satirisches Endzeitspektakel: Das Wolfgang Borchert Theater Münster blickt in die Zukunft der Menschheit und entfaltet mit dem neuen Stück „Anfang und Ende das Anthropozäns“ von Philipp Löhle ein satirisches Endzeitspektakel mit zahlreichen Widerhaken.

Satirisches Endzeitspektakel im WBT

“Anfang und Ende des Anthropozäns” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Ivana Langmajer – Foto Klaus Lefebvre

Swantje Plunder (wunderbar gespielt von Ivana Langmajer), eine Nukleartechnikerin der Zukunft erzählt, schwadroniert und führt Selbstgespräche als sei sie eine Seherin. Sie hat die Vergangenheit als auch die Zukunft der Menschheit klar vor Augen.

In ein paar Jährchen – so vermutet sie – am Ende des Anthropozäns sind die Menschen völlig verblödet, komplett abhängig von Maschinen sowie ihren Smartphones und nicht einmal mehr in der Lage sich fortzupflanzen. Sie tragen Zahlen als Namen, heißen 27 und 42. Unbeholfen stolpern sie durch die Gegend. Die eigentliche Arbeit machen intelligente Roboter. Sie selbst erledigen nur noch niedrigste Hilfsdienste.

“Anfang und Ende des Anthropozäns” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Alessandro Scheuer und Rosana Cleve – Foto Klaus Lefebvre

Swantje Plunder sitzt zu Beginn des Stückes am Bühnenrand vor den letzten Relikten der heruntergewirtschafteten Natur und strickt an einer Art Schal. In ihrem Rücken steckt ein Rotorblatt eines Windrades in der Erde als sei es von einem Riesen als Mahnmal in die Erde gerammt worden. So viel zur großen Hoffnung Windenergie.

Satirisches Endzeitspektakel im WBT

“Anfang und Ende des Anthropozäns” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Alessandro Scheuerer – Foto Klaus Lefebvre

Es ist schier unmöglich von „Anfang und Ende des Anthropozäns“ eine Inhaltsangabe zu formulieren, weil die Geschichte aus vielen Geschichten besteht, die so miteinander verwoben sind, dass ein Handlungsstrang kaum mehr erkennbar ist. Eines aber ist das immerwährende Motiv aller Geschichten: Jeder der Akteure sucht verzweifelt einen Ausweg aus seiner persönlichen Misere und landet am Ende doch im Chaos.

“Anfang und Ende des Anthropozäns” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Rosana Cleve, Ivana Langmajer und Alessandro Scheuerer – Foto Klaus Lefebvre

Was in Erinnerung bleibt sind einzelne Szenen und überzeichnete Figuren. Da sind unter anderem zwei völlig verblödete Arbeiter, ein Cop, der am ersten Tag mit einer Alkoholkontrolle überfordert ist, ein tumber Trucker, das Ehepaar Swantje und Taivo Plunder, die Pförtnerin mit einem Alarmknopf auf dem Kopf, die kesse Bardame von Port Blair und einige vermeintliche Kannibalen, die sich anschicken John in einem Kochtopf zuzubereiten…

“Anfang und Ende des Anthropozäns” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Ivana Langmajer, Rosana Cleve und Alessandro Scheuerer – Foto Tanja Weidner

Swantje Plunder träumt sich einen Mann, Nummer 27 (Alessandro Scheuerer), der durch eine Unachtsamkeit sein Smartphon kaputt macht, sodass für ihn nichts mehr funktioniert: Er ist unfähig mit dem Bus zu fahren, er kann sich kein Essen mehr bestellen. Er findet im Kühlschrank Tofu und beginnt in einem Kochbuch zu blättern, um den Tofu zuzubereiten und findet Gefallen am Lesen. Unter den Bedingungen macht das Lesen Hoffnung. Nummer 27 ist also noch nicht komplett verloren, er könnte seinen Verstand einsetzen – zumindest fürs Kochen. Das aber macht ihn in den Augen der Machthaber verdächtig.

Satirisches Endzeitspektakel im WBT

“Anfang und Ende des Anthropozäns” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Rosana Cleve und Alessandro Scheuerere – Foto Klaus Lefebvre

Grotesk und aberwitzig wenn Nummer 27 und 42 darüber nachdenken Sex zu haben. Sie wollen sich fortpflanzen. Nummer 42 (wunderbar: Rosana Cleve) Blick in die Hose von Nummer 27 macht wenig Hoffnung. Was soll sie mit dem Zipfelchen anfangen?

Das Ende Menschheit scheint besiegelt, spätestens nachdem die Rakete mit 5.000 Tonnen Atommüll nicht wie der Geniestreich geplant ins unendliche All entschwunden, sondern auf die Erde zurück und über ihr explodiert ist. Aus der coolen Geschäftsidee wird nichts, weil die Nuklearwissenschaftler sich verrechnet haben. Der radioaktive Fall-out überbietet alles, was man sich zum Thema Kernkraft und Atommüll in den letzten Jahren an Schreckensszenarien ausgedacht hat. Dagegen erscheinen Tschernobyl, Fukushima und andere Reaktorunfälle als harmlose Sandkastenspielchen. Alles, was man sich ausgedacht hat, wird irgendwann einmal real. So die Quintessenz des Stückes. Das weiß ein jeder, nur die Menschheit handelt anders. Das Ende des Anthropozäns ist nahe.

“Anfang und Ende des Anthropozäns” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Gregor Eckert und Ivana Langmajer – Foto Klaus Lefebvre

Überhaupt scheinen die 300.000 Jahren, die der Homo sapiens auf dieser Erde sein Unwesen treibt, dem Planenten nicht gut getan zu haben. Der Mensch ist gut, aber die Leut‘ sind schlecht: Jeder versucht, sein Bestes zu geben, am Ende summiert es sich aber zum Desaster. Im Zeitraffer zeigt sich: Wir haben das hier ganz schön versaut. Das Seltsame ist, wir wissen das – und tun nichts oder als Einzelne können wir nichts ausrichten. Dabei würden wir doch so gern etwas verändern! Das Stück von Philipp Löhle ist eine Mahnung, die im Gewand einer bitterbösen Komödie daherkommt. Ein satirisches Endzeitspektakel halt.

“Anfang und Ende des Anthropozäns” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Gregor Eckert und Alessandro Scheuerer – Foto Klaus Lefebvre

„Anfang und Ende das Anthropozäns“ fordert durch rasante Zeitsprünge, bizarre Ortswechsel, verwobene Handlungsstränge, verwickelte Geschichten und verrückte Ideen die grauen Zellen der Zuschauer heraus. Verschiedene Erzählebenen und verschachtelte Geschichten sind zu einem Knäuel verwoben, das man am Ende am liebsten entnervt in die Ecke werfen möchte. Das satirische Endzeitspektakel ist eine Art Drogentrip. Dazu passen die poppige Farbe der Bühnenaccessoires und die schrillen Kostüme.

“Anfang und Ende des Anthropozäns” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Rosana Cleve – Foto Klaus Lefebvre

Alle Requisiten und Details des Bühnenbildes lassen sich multifunktional nutzen. Aus einem Bilderrahmen wird ein Fenster, ein Spiegel, eine Schaukel oder es wird zum Guckloch einer Peepshow. Aus einer Art Telefonzelle, die auf der Bühne liegt, wird ein Zimmer, im nächsten Moment eine Gefängniszelle, dann eine Raketenbeobachtungsstation, eine Cocktailbar und sogar ein Flugzeug, mit dem John Allen (Gregor Eckert) auf ein entferntes Eiland zu den Sentilesen entflieht.

Einmal auf den Kopf gedreht und schon bekommt man von der Telefonzelle eine neue Idee. Das Bühnenbild ist eine Art Zauberkasten, ein Geniestreich von Elke König, von der auch die schrillen und abgedrehten Kostüme stammen.

Satirisches Endzeitspektakel im WBT

“Anfang und Ende des Anthropozäns” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Erika Jell – Foto Tanja Weidner

So witzig manche Passage und viele Dialoge auch sind, die Aufmerksamkeit wird arg strapaziert. Slapstickeinlagen bringen Lacher. Wortwitz folgt auf Wortwitz. Doch mehr Worte könnte man tatsächlich nicht mehr unterbringen. Der Zuschauer hat Mühe dem temporeichen Stück zu folgen.

“Anfang und Ende des Anthropozäns” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Ivana Langmajer und Gregor Eckert – Foto Klaus Lefebvre

Wunderbar hingegen, was Regisseur Florian Bender (sonst einer der Schauspieler des Hauses) und seine hochmotivierten Kollegen aus dem Text gemacht haben. Die Spielfreude von Rosana Cleve, Gregor Eckert, Erika Jell, Ivana Langmajer und Alessandro Scheuerer verdienen einen großen Applaus, zumal sie hier einmal mehr (wie beinahe in jeder Inszenierung des Borchert Theaters) in verschiedenen Rollen brillieren. Jeder von ihnen schlüpft in drei oder vier Personen. Und sie kosten ganz offensichtlich jede Szene und jeden einzelnen Auftritt genüsslich aus.

Satirisches Endzeitspektakel im WBT

“Anfang und Ende des Anthropozäns” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Gregor Eckert und Ivana Langmajer – Foto Tanja Weidner

„Anfang und Ende des Anthropzäns“ ist als satirisches Endzeitspektakel schrill, hektisch, intellektuell herausfordernd aber auch ziemlich kryptisch. Die Handlungsstränge verwickeln sich zu einem unentwirrbaren Knoten. So verpufft die gut gemeinte Gesellschaftskritik im überkandidelten Spiel und bleibt am Ende folgenlos. Als Zuschauer verlässt man einigermaßen verstört das Theater und hat mehr Fragen im Kopf als einem lieb ist. (Jörg Bockow)

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