Schrille Geschichtsstunde im WBT

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Schrille Geschichtsstunde: Das Wolfgang Borchert Theater Münster spielt ganz und gar respektlos mit den allseits bekannten Versatzstücken der Französischen Revolution. „Marie-Antoinette oder Kuchen für Alle“ von Peter Jordan und Leonhard Koppelmann ist eine wilde, burleske, rabenschwarze Komödie, die alle Register zieht, um einem die Augen zu öffnen.

Schrille Geschichtsstunde im WBT

“Marie-Antoinette oder Kuchen für alle” in der Regie von René Heinersdorff mit Ivana Langmajer am Wolfgang Borchert Theater Münster – Foto Klaus Lefebvre

Nein, eine ernstgemeinte Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution, diesem bahnbrechenden Kapitel der Weltgeschichte ist dieser Theaterabend nicht. Diese schrille Geschichtsstunde ist eine verrückt-überdrehte Warnung vor den selbstherrlichen Potentaten dieser Welt, die weiterhin wie eh und je ausschließlich ihren egoistischen Interessen frönen und ihr Volk benutzen, ausbeuten, drangsalieren und im schlimmsten Fall in einen Krieg schicken. Von „Werktreue“ und Wahrheitsliebe also keine Spur. Die geschichtlichen Zusammenhänge bleiben komplett auf der Strecke und die Details werden frech und dreist durcheinandergewirbelt. Trotzdem drängen sich über den höchst unterhaltsamen Abend einige Erkenntnisse auf. „Marie-Antoinette oder Kuchen für Alle“, die schrille Geschichtsstunde, ist eine „bitterböse Satire über eine verwahrloste Wohlstandsgesellschaft, die sich selbst abschafft.“ (Vorankündigung)

“Marie-Antoinette oder Kuchen für alle” in der Regie von René Heinersdorff mit Ivana Langmajer, Rosana Cleve, Jürgen Lorenzen und Florian Bender am Wolfgang Borchert Theater Münster – Foto Klaus Lefebvre

Auf die Frage nach den Parallelen zu unserer Gesellschaft antwortet Regisseur René Heinersdorff: „Der Verfall und die Unsicherheit, was eigentlich nach der Abschaffung eines Systems kommen soll, ist eine immer aktuelle Frage. Was kommt nach der Ampel? Nach Putin? Nach Chamenei? Nach Erdogan? Nach Abbas und Netanjahu?“ Aus der Geschichte wissen wir, dass die Revolution ihre „Kinder frisst“ und die Konterrevolution um keinen Deut besser oder gar hoffnungsvoller ist als die gewaltsam gestürzte Schreckensherrschaft. Nach dem Niedergang des Zarismus folgten Stalin und in direkter Nachfolge Putin. Ernüchternd die Erkenntnis: Die Geschichte unserer Welt wird momentan, „mit Verlaub von 15 alten Säcken bestimmt, die ganzen nachfolgenden Generationen die Zukunft versauen“, resümiert René Heinersdorff. Und ganz aktuell: Donald Trump ante portas!

“Marie-Antoinette oder Kuchen für alle” in der Regie von René Heinersdorff mit Florian Bender am Wolfgang Borchert Theater Münster – Foto Klaus Lefebvre

Regisseur René Heinersdorff nimmt bei seiner wundervollen Inszenierung jeden Gag und Seitenhieb mit, der sich ihm bietet. Das Skript bedient sich anarchisch und lustvoll aller möglichen schrägen Assoziationen. Mitunter fragt man sich, was Jordan und Koppelmann bei dieser schrillen Geschichtsstunde wohl geraucht haben. Heinersdorff setzt die Vorlage in deren Sinne weiter fort. Sogar reichlich Lokalkolorit wird mit diebischer Freude aufgespießt. Da bekommen ganz nebenbei Telgte, Bielefeld und Osnabrück ihr Fett weg, dass es die Münsteraner vor Lachen glatt aus dem Sessel reißt. Und das Ensemble gibt dem Affen Futter. Da wird gespielt, gesungen und getanzt, dass einem Hören und Sehen vergehen. Einen wichtigen Anteil daran hat nicht zuletzt die Musik, die aus dem Stück beinahe ein Musical gemacht hätte. Da wird geklaut und von dem Musikus (grandios von Stephanie Rave verkörpert) eingespielt, dass es eine helle Freude ist. Die Hymne der Eurovision erklingt zum Auftritt des Königs, der Musikscore bedient sich bei Johan Sebastian Bach, Rudi Carrell, Mireille Mathieu und Udo Jürgens. Ein großer Spaß!

Schrille Geschichtsstunde im WBT

“Marie-Antoinette oder Kuchen für alle” in der Regie von René Heinersdorff mit Ivana Langmajer, Rosana Cleve und Florian Bender am Wolfgang Borchert Theater Münster – Foto Klaus Lefebvre

So ausgelassen und spielfreudig hat man das Ensemble noch nie gesehen: Ivana Langmajer als das sexy „Donautäubchen“ Marie-Antoinette, Jürgen Lorenzen als der selbstverliebte Sonnenkönig Ludwig XVI und gleich in mehreren Rollen Rosana Cleve (als Cécil, Dubarry, junger Revolutionär und Napoleon) und Florian Bender (als Jean-Pierre, Kardinal, Guillaume und Robespierre). Man spürt in jede Sekunde, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler es lustvoll genießen einmal aus dem Vollen zu schöpfen. Mit einem Wort: Großartig! Da werden sogar die Kostümwechsel auf offener Bühne zu schauspielerischen Schmankerln.

“Marie-Antoinette oder Kuchen für alle” in der Regie von René Heinersdorff mit Stephanie Rave und Jürgen Lorenzen am Wolfgang Borchert Theater Münster – Foto Klaus Lefebvre

Unterstützt werden die Darsteller nicht zuletzt von dem ungewöhnlich opulenten Bühnenbild – sogar mit einem schweren Bühnenvorhang – und phantasievollen, grellbunten, karnevalesken Fantasie-Kostümen. Regisseur René Heinersdorff hat seiner Kostümbildnerin und Bühnenbildnerin Olga Lageder freie Hand gelassen und sie hat alle ihre Chancen genutzt. Das war mitunter wohl weit mehr als man den eigenen Werkstätten sonst zugetraut hat. Meisterlich!

Schrille Geschichtsstunde im WBT

“Marie-Antoinette oder Kuchen für alle” in der Regie von René Heinersdorff mit Ivana Langmajer am Wolfgang Borchert Theater Münster – Foto Klaus Lefebvre

Das Spiel beginnt in Versailles, wo – so will es die fiktive Ausgangslage des Stückes – 15 Jahre nach der Revolution Marie-Antoinette und ihr Mann König Ludwig XVI ihr Leben fristen und gelangweilt darauf warten, dass man sie endlich aufs Schafott führt und einen Kopf kleiner macht. Aber das Volk hat anderes zu tun. Es hungert und es leidet unter der Willkür der Revolutionsführer. Marie-Antoinette empfiehlt ihrem früheren Untergebenen doch einfach Pizza zu bestellen. Was soll dieses ganze Gemecker?! „Esst doch Kuchen!“ ruft Marie-Antoinette wütend vom Balkon herunter und geht damit in die Geschichtsbücher ein.

“Marie-Antoinette oder Kuchen für alle” in der Regie von René Heinersdorff mit Ivana Langmajer und Jürgen Lorenzen am Wolfgang Borchert Theater Münster – Foto Klaus Lefebvre

Im Schloss selber gibt es wohl noch etwas Kuchen, in Form von Buttercremetorte, an der Robespierre, der plötzlich hereinschneit später beinahe noch krepiert wäre. Ansonsten stellt man erschrocken fest, dass die Lebensmittel rasch zu Ende gehen: Maximal für ein Jahr hat man noch Vorräte. Etwas besser steht es um die Menge des eingelagerten Weins.

Schrille Geschichtsstunde im WBT

“Marie-Antoinette oder Kuchen für alle” in der Regie von René Heinersdorff mit Jürgen Lorenzen am Wolfgang Borchert Theater Münster – Foto Klaus Lefebvre

Am Hofe steht es also nicht zum Besten. Man sinniert darüber, ob man sich nicht besser gegenseitig vom Leben zum Tode befördern sollte, um das wenigstens selbst in professionellen Händen zu haben. Auf die neuen Herrscher und deren Bürokratie – Demokratie hin oder her – ist kein Verlass. Auch da hat sich offenbar nichts geändert! „Das Volk wird betrogen! Bei uns war immer klar, von wem, und jetzt ist es einfach nur – komplizierter!“

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“Marie-Antoinette oder Kuchen für alle” in der Regie von René Heinersdorff mit Ivana Langmajer und Florian Bender am Wolfgang Borchert Theater Münster – Foto Klaus Lefebvre

Parallel kocht die berühmte „Halsbandaffäre“ wieder hoch, eine uralte Intrige, die einst auf die Verschwendungssucht der Königin ein Schlaglicht geworfen und das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Das Volk hatte es einfach satt!

“Marie-Antoinette oder Kuchen für alle” in der Regie von René Heinersdorff mit Jürgen Lorenzen, Rosana Cleve und Ivana Langmajer am Wolfgang Borchert Theater Münster – Foto Klaus Lefebvre

Heimlich baut Louis aus bestem Kirschholz eine hübsche Guillotine, die freilich einen kleinen Konstruktionsfehler hat und daher nicht ganz verlässlich ist. Aber immerhin besser als eine von IKEA, behauptet der König. Dass ausgerechnet die Dubarry von ihr geköpft wird, als sie neugierig zur Probe liegt, bringt das Herrscherpaar in ernste Schwierigkeiten. Die Leiche muss (im Schrank verschwinden) ehe man das Paar des Mordes bezichtigt und tatsächlich doch noch enthauptet. Denn nach dem Unfall steht völlig ungelegen Robespierre auf der Matte und zwingt das Paar sich etwas einfallen zu lassen, um beispielsweise das ganze Blut auf dem Boden zu erklären. Die Potentaten besinnen sich auf das, was sie schon immer perfekt beherrscht haben: Sie spielen Theater.

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“Marie-Antoinette oder Kuchen für alle” in der Regie von René Heinersdorff mit Ivana Langmajer und Jürgen Lorenzen am Wolfgang Borchert Theater Münster – Foto Klaus Lefebvre

Diese schrille Geschichtsstunde ist vor allem eines: ein Heidenspaß. Mag sein, dass sich der ein oder andere im Publikum verwundert und irritiert die Augen reibt; der größte Teil kommt aber aus dem Lachen und Glucksen kaum mehr raus. „Marie-Antoinette oder Kuchen für Alle“ hat alles, was ein erfolgreicher Dauerbrenner braucht: ein kluges Buch, eine wundervolle Regie und ein herausragendes Ensemble.  Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass diese Inszenierung ein Hit wird. Zu Recht. Dieses Stück muss man gesehen haben!

(Jörg Bockow)

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