„Eingeschlossene Gesellschaft“ im Borchert Theater

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Dafür muss man kein Prophet sein: Die Komödie „Eingeschlossene Gesellschaft“ wird der neue Longseller im Spielplan! Dem Wolfgang Borchert Theater ist ein echter Coup gelungen. „Eingeschlossene Gesellschaft“ ist eine Uraufführung und kommt parallel zur Kinofassung von Sönke Wortmannn auf die Bühne.

„Eingeschlossene Gesellschaft“ im Borchert Theater

“Eingeschlossene Gesellschaft” mit Gregor Eckert, Rosana Cleve und Florian Bender – Komödie von Jan Weiler am Wolfgang Borchert Theater – Foto Tanja Weidner

Was wie ein großes Wagnis scheint, ist bewusstes Kalkül. Die Entscheidung von Meinhard Zanger ist klug und durchaus weitsichtig. Das Stück – ursprünglich von Jan Weiler als Hörspiel geschrieben – ist auf der Bühne viel besser aufgehoben als auf der großen Leinwand. Es wird sicherlich in Kürze auf weiteren Bühnen im Land gegeben werden, die Münsteraner haben die Nase vorn. Die temporeiche Umsetzung des Borchert Theater überzeugt jedenfalls vollkommen: Das Publikum wird bestens unterhalten. Nach der ausverkauften Premiere am vergangenen Donnerstag (10. November) gab es langanhaltenden, frenetischen Applaus.

„Eingeschlossene Gesellschaft“ im Borchert Theater

“Eingeschlossene Gesellschaft” – mit Meinhard Zanger in der Komödie von Jan Weiler am Wolfgang Borchert Theater – Foto Tanja Weidner

„Eingeschlossene Gesellschaft“ im Borchert Theater hat alles, was ein Erfolgsstück braucht: Ein Buch, in dem jeder Satz und jede Pointe sitzen, grandiose Schauspieler, die ihre Rollen genussvoll ausleben, tolle Kostüme (von Annette Wolf einmal wieder mit großem Fingerspitzengefühl), die die Personen treffend karikieren und einige explosive Special-Effects, die dem Stück den nötigen Wumms verleihen. „Eingeschlossene Gesellschaft“ nach dem Buch von Jan Weiler ist in der Bühnenadaption des Wolfgang Borchert Theaters ein kurzweiliger Abend mit geistreicher Unterhaltung. Was will man mehr?!

“Eingeschlossene Gesellschaft” – mit Ivana Langmajer in der Komödie von Jan Weiler am Wolfgang Borchert Theater – Foto Klaus Levebvre

Die wichtigste Regieanweisung von Regisseurin Tanja Weidner dürfte es gewesen sein, ihren Schauspielern zuzurufen: „Gebt dem Affen Zucker“. Und jeder der Ensemblemitglieder hat mit sichtlichem Vergnügen ordentlich aufs Gas getreten, um jede Figur in ihren komödiantischen Möglichkeiten auszuspielen, aber nicht bis zum Klischee zu übertreiben. Die Figuren bleiben bis in die kleinste Geste und Nuance durchaus glaubhaft. Dabei hat Tanja Weidner mit dem Gespür für das große Ganze alle Zügel perfekt in der Hand gehalten. Eine großartige Regieleistung.

“Eingeschlossene Gesellschaft” – mit Meinhard Zanger und Florian Bender in der Komödie von Jan Weiler am Wolfgang Borchert Theater – Foto Klaus Lefebvre

Auf der Bühne des Borchert Theaters steht ein hochmotiviertes, spielfreudiges Ensemble, das um seine herausragenden Fähigkeiten weiß. Da sitzen jede Geste, jeder Blick und jeder Satz. Gut gemacht! Beim nicht enden wollenden Schlussapplaus huschte bei allen Darstellern ein zufriedenes Grinsen über das Gesicht.

„Eingeschlossene Gesellschaft“ im Borchert Theater

“Eingeschlossene Gesellschaft” – Komödie von Jan Weiler am Wolfgang Borchert Theater – Foto Tanja Weidner

Florian Bender (wie immer großartig!) spielt den leicht verhuschten Chemielehrer Bernd Vogel, dem während der „Geiselnahme“ jede Minute im Chemiesaal ein Experiment aus dem Ruder zu laufen droht. Rosana Cleve ist die sexy Referendarin Bettina Schuster, die um ihre Reize weißt und sich das nimmt, was sie als Frau gerne haben will – im Zweifel auch den Testosteron gesteuerten Sportlehrer Peter Mertens, der von Alessandro Scheuerer meisterlich verkörpert wird. Zu Höchstleistungen laufen auf: Meinhard Zanger als verknöcherter, prinzipientreuer Lateinlehrer Klaus Engelhardt, Ivana Langmajer als die vergeistigte und leicht vertrocknete Französischlehrerin Heidi Lohmann und nicht zuletzt Jürgen Lorenzen in einer Paraderolle als Vertrauenslehrer Holger Arndt.

“Eingeschlossene Gesellschaft” – Komödie von Jan Weiler am Wolfgang Borchert Theater – Foto Tanja Weidner

Das Kammerspiel setzt ein stinknormales Lehrerzimmer in Szene, die sechs Lehrkräfte agieren so wie man es sich eigentlich nicht vorstellen möchte – ein bisschen überzeichnet, aber gerade so, dass man die Erinnerungen an die eigene mitunter unselige und sterbenslangweilige Schulzeit wieder hervorkramen kann. Ja, solche Lehrer hat es gegeben und wird es geben, allen empörten Einwänden zum Trotz! Die gesellschaftskritische Perspektive des Stückes hat ihren Grund: Unser Schulsystem ist trotz aller Modernisierungen und Reformen im Grunde nicht mehr zeitgemäß. Darüber lässt sich nach dem Theaterabend trefflich streiten.

“Eingeschlossene Gesellschaft” – Komödie von Jan Weiler am Wolfgang Borchert Theater – Foto Klaus Lefebvre

Mag sein, dass sich einige Lehrkräfte im Land auf den Schlips getreten fühlen, weil es in Lehrerzimmern tatsächlich sachlicher, pädagogischer und schülerorientierter zugeht, aber der Wahn um Noten und Benotungen (offenbar muss jeder heute studieren) , der Kampf um den letzten Punkt, um noch zum Abitur zugelassen zu werden und die Frage nach Gerechtigkeit, sind nicht besser sondern eher schlimmer geworden. Und wer denkt, dass die Geiselnahme eines Kollegiums durch einen verbitterten Vater übertrieben ist, der wird dieser Tage durch eine aktuelle Pressemitteilung aufgeschreckt. Der Druck von Eltern gegenüber den Lehrern ihrer Kinder wird immer größer. Tatsächlich geht es immer häufiger um bessere Benotungen und den Zweifel an gerechten Zensuren.

„Eingeschlossene Gesellschaft“ im Borchert Theater

“Eingeschlossene Gesellschaft” – Komödie von Jan Weiler am Wolfgang Borchert Theater – Foto Tanja Weidner

Die Geschichte von „Eingeschlossene Gesellschaft“ spielt an einem Freitagnachmittag im Lehrerzimmer des städtischen Rudi-Dutschke-Gymnasiums. Sechs Lehrerinnen und Lehrer sitzen dort aus unterschiedlichen Gründen noch herum und sind sich mehr oder weniger grün. Da stört Manfred Prohaska (grandios verkörpert von Gregor Eckert), der Vater eines Schülers die trostlose Szene und verlangt, dass die Lehrkräfte über die Lateinnote und damit gefährdete Abi-Zulassung seines Sohnes diskutieren sollen. Und als die das nicht wollen, nimmt er sie kurzerhand in Geiselhaft, zückt eine Pistole und zwingt sie mit Waffengewalt zu einer sehr eigenwilligen Zeugniskonferenz. Mit einem Schuss auf die versiffte Kaffeemaschine verschafft er sich das nötige Gehör. Das Publikum wird genauso aufgeschreckt wie die Lehrer, die es förmlich aus ihren Sitzen reißt. Das turbulente Drama nimmt seinen Lauf.

“Eingeschlossene Gesellschaft” – Komödie von Jan Weiler am Wolfgang Borchert Theater – Foto Klaus Lefebvre

Nach der Pause verwandelt sich die Szenerie in ein höchst explosives gruppendynamisches Experiment, weil jeder der Eingeschlossenen mehr oder weniger freiwillig „die Hosen runterlassen“ muss. Im Verlauf der Auseinandersetzungen tun sich bei jedem der Anwesenden persönliche Abgründe auf, die an der Lauterkeit und moralischen Integrität eines jeden zweifeln lassen. Keiner ist davon ausgenommen. Der Schlagabtausch des Kollegiums wird schnell persönlich, jahrelang angesammelte Schmutzwäsche wird gewaschen. Der vermeintliche Schutzraum des Lehrerzimmers verwandelt sich in eine Art Vorhof zur Hölle.

„Eingeschlossene Gesellschaft“ im Borchert Theater

“Eingeschlossene Gesellschaft” – Komödie von Jan Weiler am Wolfgang Borchert Theater – Foto Klaus Lefebvre

Der ursprüngliche Anlass, nämlich der strittige Punkt des Lateinlehrers für die Abiturzulassung von Fabian Prohaska, tritt ebenso total in den Hintergrund wie die Erziehung und Bildung der dem Kollegium anvertrauten Jugendlichen. Denn darum scheint es in diesem Lehrerzimmer gar nicht mehr zu gehen. Schule ist ja ganz schön, wenn nur nicht diese nervenden Schülerinnen und Schüler wären. Ohweia, wenn „Eingeschlossen Gesellschaft“ doch eine zutreffende Satire auf den Zustand unsere Bildungssystem ist? (Jörg Bockow)

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