„Der Teufel und die Diva“, heißt die neue Produktion am Wolfgang Borchert Theater in Münster. Sie hatte in der vergangenen Woche ihre gefeierte Premiere.
Das Stück aus der Feder von Fred Breinersdorfer und Katja Röder ist eine musikalische Hommage an die legendäre Hildegard Knef, die zeitlebens wegen ihres exzentrischen, exaltierten und skandalträchtigen Lebens verehrt und verachtet, abgelehnt und gefeiert wurde. Die „Hilde“ war ein Weltstar, die letzte große Diva in Deutschland – geliebt, gehasst und bis heute bewundert.
Die Zuschauer verfolgen in „Der Teufel und die Diva“ das schillernde Leben und die bewegte Karriere der Knef über einige ihrer schönsten und gefühlvollsten Chansons sowie zahlreiche biographische Details, die äußert geschickt in das klug angelegte Stück eingewoben sind.
Im Mittelpunkt der Revue „Der Teufel und Diva“ steht die Lebensbilanz der Knef, die es als erste Deutsche an den Broadway geschafft hat. Dass sie auch als Schauspielerin und Bestsellerautorin weltweit gefeiert wurde, wird in der biographischen Rückschau nachvollziehbar. Die Knef war tatsächlich ein Multitalent.
Jäh in die Öffentlichkeit gezerrt wurde sie durch den Skandal um den deutschen Film „Die Sünderin“ (1951). Eine aus heutiger Perspektive eher harmlose Nacktszene beherrschte monatelang die Klatschspalten der Illustrierten im prüden Nachkriegsdeutschland. Wegen angeblicher Glorifizierung von Prostitution, Sterbehilfe, Euthanasie und Suizids wurde sogar ein Verbot des Films erwogen.
Der Schauspielerin hat dieser öffentliche Aufstand letztlich genutzt, nicht nur, dass sich damit das Bild der jungen, attraktiven Darstellerin ins öffentliche Bewusstsein gebrannt hat, sondern auch weil sich die Knef danach als selbstbestimmte, freiheitsliebende Frau stilisieren konnte, die in der Öffentlichkeit stand und für ihre Anerkennung kämpfte. 2025 wäre Hildegard Knef 100 Jahre geworden; ein guter Anlass bereits heuer – im 99. Jahr – ihr Leben einmal Revue passieren zu lassen.
Mit Sphärenklängen wie aus einer anderen Welt wird der Zuschauer in ein ganz in Weiß getunktes Zwischenreich entrückt. Dort wacht „Hildchen“ auf und kann endlich einmal wieder tief durchatmen. Zwischen weißen Koffern, Kisten und Kästen voller Erinnerungen wandert sie im langen, weißen Seiden-Negligee hin und her und wünscht sich nichts sehnlicher als endlich einmal wieder eine Zigarette zu rauchen. Es erscheint ihr wie eine Befreiung. Vergessen ist der Brustkrebs, der ihr bis zuletzt das Leben so schwer gemacht hat. Endlich wieder rauchen, die Erstickungsanfälle sind wie weggeblasen.
Doch in ihrem euphorischen Taumel wird „Hildchen“ jäh ausgebremst und darauf gestoßen, dass sie gerade eben gestorben ist. Eine Radiostimme aus dem Off verliest die erschreckende Meldung. Und der junge Mann, auf den sie in diesem mysteriösen Zwischenreich triff, gibt sich als der Teufel daselbst zu erkennen. „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“.
Der Teufel umwirbt die Diva und versucht ihr ein Leben in der Hölle schmackhaft zu machen. Sie hat die Wahl, in den Aufzug nach oben in den Himmel zu steigen, dort „wo es allerdings sterbenslangweilig ist“ oder hinab in die Hölle zu fahren, wo sie alle Freiheiten genießen, aus vollen Zügen ihrer Lust frönen kann und dabei ihresgleichen trifft. Für den ewigen Ruhm soll sie ihre Seele verkaufen.
Der Teufel hält ihr einen Vertrag unter die Nase, den sie nur zu unterschreiben braucht. „Es ist ein Standardvertrag“, erklärt Mephisto. Ihn haben schon viele ihrer Kolleginnen und Kollegen mit dem Teufel geschlossen. Alles ist in der Unterwelt bereits für die „Hilde“ vorbereitet. Dauernde Anerkennung, Bewunderung und Applaus sind ihr gewiss. „Der Teufel und die Diva“ spielt mit dieser bizarren Vorstellung von einem Reich zwischen Himmel und Hölle und spannt den Bogen bis hin zu einer Entscheidung, die die Diva am Ende tatsächlich fällt.
Der Teufel stellt die Diva zur Rede, zählt Höhen und Tiefen auf, bringt die Knef dazu sich zu erklären und zu rechtfertigen. Es ist wie eine Lebensbeichte, die darin gipfelt, dass sie für ihr Publikum, ihre zahllosen Männer und Liebschaften und auch für ihr Kind immer das Beste gewollt und getan hat. Sie hat ihnen alle ihre Liebe geschenkt.
Verkörpert wird die vielschichtige Rolle der „Hilde“ von Ivana Langmajer, aus dem Ensemble, die herausragend und nuanciert spielt – mal feinsinnig und gebrochen, mal selbstbewusst und stark – aber auch als Sängerin mit überzeugender Stimme brilliert. Ivana Langmajer macht erst gar nicht den Versuch, das besondere, rauchige Tembre der Knef nachzuahmen oder zu imitieren, sie entwickelt ihre ganz eigene und in jeder Phrase stimmige Interpretation. Musikalisch begleitet wird sie von der Pianistin Stephanie Rave, die auf der Bühne spielt. Sie erweckt die bekannten Knef-Chansons wie „Eins und Eins, das macht zwei“, „Ich brauch Tapetenwechsel“ und „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ als musikalische Leiterin zum Leben.
Für Ivana Langmajer hat Stephanie Rave die Kompositionen von der Tonlage her angepasst. Als Virtuosin macht sie komplett vergessen, dass kein großes Orchester und keine Big Band auf der Bühne stehen, sondern nur ein Klavier, das unter ihren Fingern beinahe so voluminös erklingt wie ein ganzes Orchester.
Niclas Kunder schlüpft in die Rolle des Mephisto. Er ist zugleich jugendlicher Verführer, der die Knef zum Vertrag überreden möchte als auch der raffiniert, spitzbübisch und diabolisch agierende Teufel. Auch Kunder genießt alle Nuancen des vielschichtig angelegten Charakters. Er ist in jeder Hinsicht elektrisierend, wenn er gegenüber der Knef argumentiert und dabei über all die Kisten und Kästen turnt.
„Der Teufel und die Diva“ ist Luisa Guarros vierte Inszenierung am WBT. Wie in „Der Sandmann“ (Monica-Bleibtreu-Preis 2022) und zuletzt mit „Don Quijote“ (2023) begibt sich die ambitionierte Regisseurin aus Neapel in den Zwiespalt der zwei Seelen der Hildegard Knef: „In der Hölle, in die Mephisto sie entführen will, schützt kein höheres Wesen den Menschen vor der verführerischen Möglichkeit, alles zu tun, was er sich wünscht, und genau dies entfesselt böse Kräfte. Auch Hilde schöpfte mutig all jene Leidenschaften aus, die aufwühlend und potenziell zerstörerisch sind. Die Alternative zur Hölle, das Paradies, ist ein Nirwana – ein Zustand der Gnade, wie ihn östliche Philosophien anstreben – in dem man von Leidenschaften, Wünschen und Abhängigkeiten befreit ist. Doch wer ist Hildegard Knef – und welchen Weg wird sie wählen?“ Bis zur letzten Minute hält Guarro die Spannung aufrecht.
In der Inszenierung von Luisa Guarro wird die Knef zu einer feministischen Vorreiterin, die schonungslos direkt und gnadenlos offen sein konnte, die sich selbstbewusst und streitbar, anarchisch und lebenshungrig immer im Mittelpunkt sah und radikal ihr eigenes Leben gelebt hat. „Ich will alles oder nichts!“
Der zweite Teil des Abends entfaltet eine mitreißende Dynamik, die sich unmittelbar auf den Zuschauer überträgt. Wenn es für die Diva am Schluss die bereits langersehnten „Roten Rosen“ regnet, wird man weniger rührselig und melancholisch, denn beflügelt und ermutig aus dem Theater treten. Luisa Guarro gelingt es mit ihrer Inszenierung die Zuschauer zu bewegen und in ihrer Zuversicht zu ermutigen, dass es für jeden unter ihnen rote Rosen regnen sollte. Mitreißend und teuflich gut! Jörg Bockow
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