Lehrstück mit düsteren Vorahnungen

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Münster – Der aktuelle Zeitbezug ist unübersehbar: Es ist als habe Ödön von Horváth seinen Roman “Jugend ohne Gott” wie eine düstere Vorahnung des Hier und Jetzt geschrieben. Der Roman ist 1937 in einem Exil-Verlag in Amsterdam erschienen und machte seinen Autor beinahe über Nacht weltberühmt. Kurz darauf kam er tragischerweise bei einem Unfall in Paris ums Leben.

“Jugend ohne Gott” im Wolfgang Borchert Theater mit Florian Bender – Foto: Klaus Lefebvre

Ödön von Horváth hatte in seinem dritten Roman das Aufkommen der national-sozialistischen Ideologie vor Augen und schrieb mit seinem klug angerichteten “Kriminaldrama” dagegen an. Er sah wie die Jugend kritiklos und ohne humanistische Vorbilder dem völkisch-rassistischen Gedankengut ihrer Zeit nachlief und sich im Zeltlager ausbilden ließ, um darauf vorbereitet zu sein in die Schlacht zu ziehen. Selbst von Horváth konnte damals nicht ahnen, welch mörderischen Krieg und Weltenbrand die Faschisten tatsächlich wenig später entfachen würden.

“Jugend ohne Gott” im Wolfgang Borchert Theater mit Rosana Cleve und Florian Bender – Foto: Tanja Weidner

Kathrin Sievers hat eine Schauspielfassung des Romans von Ödön von Horváth geschrieben und dabei die auf der Hand liegenden Parallelen zur heutigen Zeit besonders hervorgehoben.  Ihre Inszenierung wird zum Lehrstück. Man kann sich nur wünschen, dass möglichst viele Schulklassen den Weg ins Borchert Theater finden, um anschließend mit dem Stück über die Entstehung des Nationalsozialismus zu diskutieren und sich für die aktuelle Entwicklung nationalistischer, völkischer und rassistischer Bewegungen zu sensibilisieren.

“Jugend ohne Gott” im Wolfgang Borchert Theater mit Florian Bender – Foto: Klaus Lefebvre

Die Szenerie in “Jugend ohne Gott” von Kathrin Sievers wechselt schnell vom Klassenraum ins Gericht, vom Gericht ins Zeltlager, vom Zeltlager in den Klassenraum. Mit einer Tonkollage werden aktuelle Zeitbezüge hergestellt. Ausschnitte aus Bernd Höckes offen rassistische Reden werden angespielt bis hin zum “Vogelschiss” Zitat, mit dem Alexander Gauland den Nationalsozialismus bewußt provokativ zu verharmlosen sucht. Sievers macht deutlich, dass die aktuelle Gefahr groß ist, in einer Art Neuauflage des Nationalsozialismus zu versinken. Unüberhörbar erklingt im Stück die Drohung der neuen Rechten: Wenn sie dereinst die “Macht ergreifen”, werden sie die eigentlichen Volksfeinde schon von der Platte putzen.

“Jugend ohne Gott” im Wolfgang Borchert Theater mit Florian Bender – Foto: Klaus Lefebvre

Der junge Lehrer (Florian Bender) hat seinen Schülern längst nichts mehr entgegenzusetzen. Zwar entsetzen ihn ihre Ansichten, wie sie in einem Klassenaufsatz formuliert werden, aber er lässt ihnen die offen rassistischen Äußerungen durchgehen. Seine Bemerkung in einer Diskussion über Kolonien, “auch Neger seien Menschen”, ruft umgehend einen linientreuen Vater auf den Plan. Der Lehrer sieht seine berufliche Existenz gefährdet, zwischen ihm und seiner Klasse regiert von nun an die Feindseligkeit. Fehlt nur noch, dass der Lehrer auf einer digitalen Plattform angeschwärzt wird, um ihn irgendwann zu eliminieren.

“Jugend ohne Gott” im Wolfgang Borchert Theater – Foto: Klaus Lefebvre

Im Zeltlager, in dem ein militärischen Drill vorherrscht und die jungen Leute auch im Schießen auf Pappkameraden unterwiesen werden, kommt es zu einem Mord, der während des Stückes schrittweise aufgeklärt wird. Die Rahmenhandlung spielt vor Gericht, wo Z. (Johannes Langer) sich für den Mord an N. zu verantworten hat. Im Verlauf der verschachtelten Handlung und vielfacher Zeitsprünge wird deutlich, dass Z. den Mord nicht begangen hat, sondern T., der sich am Ende selber richtet. In seinem Abschiedsbrief bezichtigt er den Lehrer, der ihn mit seiner Haltung in den Tod getrieben haben soll.

“Jugend ohne Gott” im Wolfgang Borchert Theater mit Ivana Langmajer, Monika Hess-Zanger und Florian Bender – Foto: Tanja Weidner

Der Kriminalfall ist sehr verworren, abstrakt und kaum nachzuvollziehen. Für das eigentliche Drama spielt er allerdings auch kaum eine Rolle. Er dient letztlich als Katalysator und Folie, die verschiedenen Charaktere und ihre Beweggründe vorzuführen. Der opportunistische Lehrer, der viel zu spät zu Bewußtsein kommt und sich – allerdings folgenlos – zu seinem Gewissen bekennt und damit zugleich seinen Job verliert. Der Gerichtspräsident (Jürgen Lorenzen), der gar nicht an einer wirklichen Aufklärung interessiert ist und die vielen anderen Personen, die im Stück handeln als hingen sie an Strippen wie Marionetten in einem Puppentheater. Es geht schließlich nur um den Zeitbezug und um die Ideologie, die letztlich gefährlicher ist als jener Täter, der N. aus was für Gründen auch immer ermordet hat.

“Jugend ohne Gott” im Wolfgang Borchert Theater mit Jürgen Lorenzen und Florian Bender – Foto: Tanja Weidner

Das eingespielte und gut organisierte Ensemble mit Jürgen Lorenzen, Johannes Langer, Ivana Langmajer, Rosana Cleve und Monika Hess-Zanger bewältigt die vielen, mitunter blitzschnellen Kostüm- und Rollenwechsel mit Bravour. Allein Florian Bender bleibt in seiner Rolle, die er wie gewohnt überzeugend ausfüllt. Die Bühne ist in zwei stilisierte Ebenen aufgeteilt (im Hintergrund sind die Windräder eines neuzeitlichen Windparks zu sehen). Die Schauspieler sind mit Klettern, Laufen und Springen neben den bereits atemberaubenden Rollenwechseln auch zu sportlichem Einsatz gefordert. Sehenswert! (Jörg Bockow)

Wolfgang Borchert Theater / Am Mittelhafen 10 / 48155 Münster

Tickets-Telefon 0251- 40019

www.wolfgang-borchert-theater.de

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