Westfalen – Es ist geschafft, das Warten hat ein Ende: Denn seit heute gehört Corvey zum UNESCO-Weltkulturerbe. Auf ihrer 38. Tagung im arabischen Katar entschieden Samstagnachmittag gegen 17 Uhr deutscher Zeit die Delegierten des UNESCO-Komitees, das herausragende Westwerk der ehemaligen Reichsabtei aus dem 9. Jahrhundert und die versunkene Klosterstadt Civitas Corvey in die begehrte Liste der „Schätze der Welt“ aufzunehmen.
„Das Westwerk von Corvey in Höxter an der Weser ist eines der wenigen in den wesentlichen Teilen erhaltenen karolingischen Bauwerke und darüber hinaus das einzige erhaltene Zeugnis des Bautyps Westwerk aus dieser Zeit“, begründete das UNESCO-Komitee in der Hauptstadt Doha seine Entscheidung. Es vereine Innovation mit dem Rückgriff auf antike Vorbilder auf hohem Niveau und habe als Bautypus die abendländische Architektur bis zum Ende der Romanik ganz wesentlich mit geprägt, so das internationale Gremium.
Die im Original erhaltene gewölbte Halle mit Säulen und Pfeilern im Erdgeschoss sowie der dreiseitig von Emporen umgebene Hauptraum im Obergeschoss reihten Corvey unter die prägnantesten Beispiele der „karolingischen Renaissance“ ein. Das gelte in besonderem Maße auch für die an den noch vorhandenen Elementen nachvollziehbare, ursprüngliche künstlerische Ausstattung des Erd- und insbesondere des ersten Obergeschosses mit lebensgroßen Stuckfiguren und mythologischen Friesen, die das einzig bekannte Beispiel von Wandmalereien christlich umgedeuteter antiker Mythologie in karolingischer Zeit darstellten.
„Bau und Ausstattung verweisen mit besonderer Eindringlichkeit auf die für die abendländische Geschichte grundlegend gewordene Ideenwelt der Karolingerzeit“, erklärten die Experten der UNESCO. Ebenso wie durch die historische Überlieferung sei Corvey durch die erhaltene Baugestalt und die archäologischen Zeugnisse mit kulturellen Zentren in Europa, auch über das einstige Reich der Karolinger hinaus, verbunden.
Durch den besonderen Titel ist Corvey nun die 39. Welterbe-Stätte in Deutschland und die erste im westfälischen Landesteil von Nordrhein-Westfalen. Zu diesen von der UNESCO ausgewählten Orten zählen in Deutschland bislang unter anderen die Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin, die Altstädte von Stralsund und Wismar, die karolingische Königshalle in Lorsch, die Klosteranlage Maulbronn oder die Wieskirche im Pfaffenwinkel. Auf der internationalen Bühne kann Corvey nun in einem Atemzug mit dem Pariser Eiffelturm, der Chinesischen Mauer oder den Pyramiden von Gizeh genannt werden. Nominiert waren in diesem Jahr 36 Kultur- und Naturerbestätten in der ganzen Welt. In die aktuelle Welterbe-Liste aufgenommen wurden unter anderem das Fabrikgebäude Van Nelle im niederländischen Rotterdam, die Seiden-Fabrik in Tomioka in Japan sowie die Zitadelle von Arbil im Irak.
Die Nachricht sorgte für großen Jubel an der Weser: „Es freut mich riesig, dass sich der hohe Aufwand gelohnt hat“, sagt die Geschäftsführerin und Museumsleiterin des Kulturkreises Höxter-Corvey, Dr. Claudia Konrad. „Darüber hinaus bedeutet der Welterbe-Titel der UNESCO nicht nur für Corvey eine erhöhte Aufmerksamkeit, eine Image-Steigerung und eine Zunahme an Besuchern, sondern die gesamte Region des Weserberglandes und Westfalens profitiert davon“, ist die Museumsleiterin überzeugt. Dr. Claudia Konrad weiß, dass nach der UNESCO-Entscheidung die Arbeit vor Ort erst richtig beginnt, zeigt sich aber optimistisch: „Wir Akteure vor Ort werden uns bemühen, dieser hohen Auszeichnung gerecht zu werden und alles zu tun, um die Ausstrahlung dieses außergewöhnlichen Kulturerbes voranzubringen“.
Die Aufnahme in die begehrte UNESCO-Liste ist jedoch nicht nur als Auszeichnung zu verstehen, sondern beinhaltet gleichzeitig Forderungen, diese Stätte zu pflegen und instand zu halten. Deshalb hat sich die Geschäftsführerin des Kulturkreises Höxter-Corvey für die Zukunft vorgenommen: „Mein Team und ich werden weiterhin alle unsere Kräfte dafür aufbieten, das Baudenkmal mit Leben zu erfüllen und mit unserem Museumsbetrieb, den zahlreichen kulturellen Veranstaltungen, dem breitgefächerten museumsdidaktischen Angebot und einer optimal aufgestellten Marketingstrategie den hohen Anforderungen der UNESCO zu genügen.“
„Ja! Es ist geschafft!“, freut sich auch Pfarrdechant Ludger Eilebrecht, der Hausherr des Westwerks und der Abteikirche, über die außergewöhnliche Auszeichnung. Eilebrecht betont: „Die viele Mühe der letzten Jahre hat sich gelohnt. Wir sind glücklich, stolz und sehr dankbar.“ Gemeinsam hätten die Verantwortlichen von Kulturkreis und politische Mandatsträger, Denkmalpflege, Baufachleute und wissenschaftlicher Forschung so viele Anstrengungen auf sich genommen, und sie und die Eigentümer hätten alles Erdenkliche getan, um der Welt dieses kostbare Erbe zu erhalten und zu präsentieren.
Ein besonderer Dank gelte aber den Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die mit unglaublichem Engagement, mit Kreativität und Energie die Blicke der Öffentlichkeit auf „ihr Corvey“ gelenkt haben, mit dem sich nun eine ganze Region identifiziert. Auch der Pfarrdechant sieht sich und sein Engagement künftig in der Verantwortung: „Die Auszeichnung ist für uns eine Anerkennung und Verpflichtung, Erbe der Vorfahren und Auftrag für künftige Generationen, im Geiste der Gründer das Gut des Glaubens zu bewahren, zu verkünden und zu leben, und Menschen, die als Touristen kommen, dann als Pilger, gestärkt im Glauben, zu verabschieden.“
Seit 1999 steht Corvey bereits auf der nationalen Vorschlagsliste (Tentativliste) der UNESCO. Seit 2010 haben die Corveyer Initiatoren mit zahlreichen Experten wie Archäologen, Historikern, Denkmalpflegern und viele anderen unter Hochdruck an den Antragsunterlagen gearbeitet. In den vergangenen Jahren entstanden so vier dicke Bände mit mehr als 700 Seiten. 2012 meldete Deutschland „Corvey – Das Karolingische Westwerk und die Civitas Corvey“ offiziell beim Welterbe-Komitee in Paris an. Ein Gutachter der ICOMOS, des Internationalen Rates für Denkmalpflege, machte sich im vergangenen Jahr ein intensives Bild von Corvey. Und nun hat der langjährige Einsatz Erfolg gezeigt: Das UNESCO-Gremium hat sich von Antrag und Gutachten überzeugen lassen.
Corvey galt im frühmittelalterlichen Deutschland als eines der bedeutendsten Klöster der damaligen Welt. Einst 822 im Auftrag von Kaiser Karl dem Großen (748- 814) bzw. seinem Nachfolger Ludwig dem Frommen (778-840) strategisch günstig an den Ufern der Weser gegründet, avancierte die Benediktinerabtei in kurzer Zeit zum geistigen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Leuchtturm, der weit nach Europa strahlt. Einzigartig waren Klosterbibliothek und Scriptorium. Berühmte Mönche wie der Heilige Ansgar transportierten die christliche Kultur bis nach Nordeuropa. Corvey entwickelte sich zum frühen Zentrum der Mission.
Auch heute noch beeindruckt Corvey die Besucher als weitläufige barocke Schlossanlage. Neben der Abteikirche des ehemaligen Klosters sind der Kreuzgang und der prächtig ausgestattete Kaisersaal, der als Kulisse für die „Corveyer Musikwochen“ dient, sehenswert. Das Museum Höxter-Corvey bietet regelmäßig ein Forum für die Kunst. Die Fürstliche Bibliothek mit einem Bücherbestand von 74.000 Bänden, zählt zu den größten Privatbibliotheken in Deutschland. Als prominentester Bibliothekar wirkte einst August Hoffmann von Fallersleben in den restaurierten 15 Sälen voller Bücherschränke.
Mit Corvey sind nun 39 Welterbe-Stätten in Deutschland vertreten. Davon sind fünf in Nordrhein-Westfalen zu finden. Dazu gehören die Schlösser Augustusburg und Falkenlust bei Brühl (seit 1984 auf der UNESCO-Liste), der Kölner Dom (seit 1996), der Aachener Dom (als erstes deutsches Kulturdenkmal 1978 gekürt) sowie die Zeche Zollverein bei Essen (seit 2001) als Industriedenkmal. Corvey ist damit auch das erste Welterbe im westfälischen Landesteil.
Die Entscheidungen im Welterbe-Komitee mit Experten aus mehr als 190 Ländern werden mehrheitlich auf Grundlage von Expertengutachten getroffen. Ausschlaggebend dafür sind der universelle Wert der Stätte sowie ein Plan, der den Erhalt für künftige Generationen sicherstellt. Das Übereinkommen der UNESCO zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt wurde im Jahre 1972 verabschiedet. Das UNESCO-Welterbe-Komitee tagt noch bis zum 25. Juni in Katars Hauptstadt Doha. Das Komitee, dem Experten aus 21 Ländern angehören, prüft auf seiner jährlichen Tagung, welche von den Mitgliedsstaaten vorgeschlagenen Stätten in die Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt aufgenommen werden.
Saison 2014: 29. März – 2. November
Öffnungszeiten Mai – September: Mo – So von 10 – 18 Uhr
Öffnungszeiten April & Oktober: Di – So von 10 – 18 Uhr
Kulturkreis Höxter-Corvey gGmbH / Schloss Corvey / 37671 Höxter Telefon 05271 – 694010 www.schloss-corvey.de
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