Tanja Weidner – die neue Intendantin am Wolfgang Borchert Theater in Münster – startet mit “Tabula Rasa” in die neue Spielzeit.
Ein starkes, vielfältiges Programm, das auf aktuelle Gesellschafts-Diskurse Bezug nimmt, ist das Markenzeichen des Theaters am Stadthafen. Das soll auch so bleiben. Das Spielzeitmotto «Tabula Rasa» spielt gedanklich nicht nur mit dem internen Neuanfang, sondern wirft ein Schlaglicht auf die derzeitigen gesellschaftlichen Zustände.
Räumt bald eine künstliche Intelligenz mit uns biologischen und so fehleranfälligen Körpern auf? Zur Eröffnung am denkwürdigen 07. September 2024, sprich genau 10 Jahre nach der Eröffnung des neuen WBT im Flechtheimspeicher 2014, holt Tanja Weidner mit ihrem Team und ChatGPT4 Goethes «Faust» ins Heute. Der Pakt mit Teufel wird zum Pakt mit der künstlichen Intelligenz. Und «Faust« zum «MetaFAUST.», der sich im virtuellen Metaversum verliert.
Die Radikalisierung oder Polarisierung der Meinungen mit der Bereitschaft, diese auch gewaltvoll durchzusetzen, ist mittlerweile in allen Gesellschaftsschichten angekommen. Allein das Wort «Gendern» bringt manch einen zum Wutschnauben. Die Autoren von «Extrawurst» haben dazu eine satirische Beerdigungsfeier mit vielen erhellenden Momenten – für beide Seiten – geschrieben, die im September Premiere hat: «Kalter weißer Mann» (Regie: Andrea Krauledat).
Viel Furor in der prüden und bigotten Nachkriegs-Gesellschaft brachte die Künstlerin Hildegard Knef hervor. Anlässlich ihres 100. Geburtstag 2025 inszeniert die italienische, mit «Der Sandmann» preisgekrönte Regisseurin Luisa Guarro den schwarzhumorigen Abend «Der Teufel und die Diva» mit Liedern der Knef. Während sich die Boomer heute fragen, ob die junge Generation Z überhaupt noch arbeiten will, proklamieren die Jüngeren, dass ein bisschen Work-Life-Balance auch den Älteren guttun würde. Welche kuriosen Auswüchse das nehmen kann, erzählt die Komödie nach dem Erfolgsroman von Karsten Dusse «Achtsam morden».
Im Januar kehrt ebenfalls ein bekanntes Gesicht ans Regiepult zurück: Meinhard Zanger hat eine Bühnenfassung von Thomas Hettches Roman der Augsburger Puppenkiste «Herzfaden» geschrieben und nimmt das Publikum mit auf eine märchenhafte Reise zwischen Himmel und Hölle. Denn während die ersten Marionetten in Augsburg Kinderherzen verzaubern, werden auf den Straßen Menschen deportiert. Von der Kraft der Poesie in Zeiten des Krieges erzählt indirekt auch das neue Werk des sprachgewaltigen Epikers Stefano Massini, das jüngst am Burgtheater die deutschsprachige Erstaufführung feierte: «Manhattan Project» über Robert Oppenheimer und den Wettlauf um die erste Atombombe. Für die Inszenierung konnte Weidner den jungen Regisseur und Videokünstler Björn Gabriel aus Köln («Studio Trafique») gewinnen.
Statt einer ursprünglich vorgesehen Premiere im Foyer der Autorin Kae Tempest («Wasted») bildet nun doch eine Premiere im Saal den Spielzeitabschluss Ende April. «Zu unser Überraschung wurden wir als zu starke Konkurrenz für die vier Monate früher angesetzte deutschsprachige Erstaufführung eines anderen Stückes der gleichen Autorin im Kleinen Haus im Stadttheater gesehen. Auch wenn wir das nicht ganz nachvollziehen können, respektieren wir aber den Wunsch der Kollegen in der Neubrückenstraße und werden das Stück erst in der kommenden Spielzeit aufführen.» Die Alternative: ein altbekannter Klassiker im neuen Gewand. Mit «Der zerbrochne Krug» widmet sich Weidner humorvoll überkommenen Führungsstrukturen (Der alte Adam – Meinhard Zanger – wird revisioniert von einer jungen Frau «Gerichtsrätin Walther»).
Außerdem bleibt das WBT seinem traditionellen Angebot für Schulen treu: Das WBT berücksichtigt seit etlichen Jahren die Mittel- aber auch Oberstufen. Allein mit den Stücken «Woyzeck» und «Der Trafikant» haben wir in den letzten 2-3 Jahren 100 meist ausverkaufte Vorstellungen vor Schülerinnen und Schülern gezeigt. Beide Werke werden ab Sommer 2025 unter anderem von Kleists «Der zerbochne Krug» im Zentralabitur abgelöst.
«Wir haben erst gezögert, da auch die Kollegen vom Theater Münster den Klassiker auf den Spielplan gesetzt haben. Aber in einem Gespräch zum Thema Doppelung der Kleistschen «Marquise von O.» wurde mir deutlich gesagt, dass die Schauspielleitung keinerlei Probleme darin sieht, den gleichen Klassiker in einer Stadt zu spielen. Dieses Recht nehmen wir jetzt auch in Anspruch, zumal wir auf die wichtigen Einnahmen durch das junge Publikum nicht verzichten können.», so Tanja Weidner.
Erneut wird das WBT auch wieder ein Klassenzimmerstück anbieten: Im November inszeniert Ensemblemitglied und Regisseur Florian Bender – einst selbst im Klassenzimmer als Schauspieler unterwegs – den Monolog über die jüngste Friedensnobelpreisträgerin aller Zeiten «Malala – ein starkes Mädchen» mit den Themen religiöse Radikalisierung und Geschlechtergerechtigkeit.
Besonders am Herzen liegt der neuen Intendantin eine Aufwertung des Foyers im Flechtheimspeicher als Ort der Begegnung wie als Spielort. Mit «All das Schöne», ein überraschend humorvolles Stück über Resilienz im Umgang mit Depression und Suizid in der eigenen Familie erweitert das WBT das Repertoire. Die Premiere wird am 11. Oktober stattfinden. Zum ersten Mal am Regiepult: Katinka Kratzert, die WBT-Regieassistentin und Dramaturgin ist.
«Das Programm ist natürlich unser Kerngeschäft. Gute Geschichten, die das Publikum abholen, und im besten Fall weiterbringen, bilden die Basis jedes Theaters. Das war in den letzten 18 Jahren unter der Intendanz von Meinhard Zanger so und dass soll auch künftig so bleiben. Wo wir besser werden können, ist unsere Kommunikation, intern wie nach außen, erklärte Tanja WeidnerFrischen Wind sollen ein neues Layout, ein Homepage-Relaunch und verstärkt digitale Angebote bringen, sprich: weniger Papier, mehr online – «Die Klimaneutralität schaffen wir in der kommenden Spielzeit noch nicht ganz, aber mittelfristig ist sie unser Ziel.»
Gutscheine, Kultursemestertickets und Wahl-Abos werden in Kürze auch online angeboten. Intern können wir im Sinne einer Demokratisierung, einige Arbeitsprozesse verbessern und dadurch Ressourcen schonen. «Die Zeit der einsamen Wölfe in Leitungsfunktionen ist vorbei. Teamwork macht nicht nur Spaß, sondern erweitert Kompetenzen.», so Tanja Weidner, die neue Chefin. Daher übernimmt künftig ein Triumvirat die technische Leitung mit den Aufgaben Bühnentechnik, Veranstaltungstechnik und Digitalität. «Wir wissen sehr gut, wer wir sind: eines der erfolgreichsten Privattheater Deutschlands. Aber wer wollen wir sein? Ein freies, verantwortungsbewusstes Off-Theater in einer tollen Großstadt mit Lebensfülle, das allen Mitmenschen alternative Angebote von hoher künstlerischer Qualität macht – und in dem alle gern arbeiten.»
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