Auf der „Achterbahn“ im WBT

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„Achterbahn“, das Schauspiel von Éric Assous hatte gerade im Wolfgang Borchert Theater Münster seine gefeierte Premiere. Die Zuschauer durchlaufen an diesem Theaterabend parallel mit den beiden Protagonisten ein wahres Tauchbad der Gefühle. Die Geschichte nimmt so viele Wendungen, dass es nicht nur die beiden Hauptpersonen Pierre und Juliette beinahe aus der Bahn wirft – auch das Publikum saust höchst vergnügt, mitunter auch nachdenklich und gleich mehrfach verblüfft durch die Geschichte.

Auf der „Achterbahn“ im WBT

“Achterbahn” von Èric Assous mit Edina Hojas und Gregor Eckert in der Regie von Meinhard Zanger – Foto Tanja Weidner

Das Zwei-Personen-Stück ist von Meinhard Zanger auf den Punkt inszeniert – mit brillantem Wortwitz, pikanten Dialogen, temporeich und einem in jeder Sekunde überzeugenden und packenden Spiel. Zur Pause von „Achterbahn“ fragt man sich, was in der zweiten Hälfte des Stückes überhaupt noch kommen kann und wie die Geschichte wohl endet. Die Spannung bleibt bis zur rührenden Pointe am Schluss. Ohne dieses Looping zu spoilern: Das Publikum kann sich auch nach der Pause noch auf einiges gefasst machen. Man kann sich von „Achterbahn“ genüsslich und angeregt durchschütteln und immer wieder überraschen lassen. Es lohnt sich.

“Achterbahn” von Èric Assous mit Edina Hojas und Gregor Eckert in der Regie von Meinhard Zanger – Foto Tanja Weidner

„Achterbahn“ von Eric Assous ist die letzte Inszenierung von Meinhard Zanger als Intendant des Wolfgang Borchert Theaters. Zanger zeigt mit „Achterbahn“ was er als Regisseur so drauf hat. Er lässt seine beiden Darsteller zu wahren Glanzleistungen auflaufen. Schon die Idee, Edina Hojas, die bis dahin als Dramaturgin am WBT gearbeitet hat und für die Pressearbeit des Theaters zuständig war, auf die Bühne zu bringen, erweist sich als ein echter Glückgriff. Edina Hojas, in der Rolle der jungen Juliette, ist eine glänzende Besetzung. Sie agiert durchaus ansehnlich, kokett, frivol und ungemein wandlungsfähig. Es macht ungeheuer viel Spaß ihr zuzuschauen, wie sie mit Pierre (wundervoll: Gregor Eckert) spielt und ihn permanent überrascht und ihn als Mann an seine Grenzen bringt.

Auf der „Achterbahn“ im WBT

“Achterbahn” von Èric Assous mit Edina Hojas und Gregor Eckert in der Regie von Meinhard Zanger – Foto Tanja Weidner

Es beginnt in der coolen, stylischen aber seelenlosen Wohnung von Pierre. Elke König hat mit ihrem Bühnenbild eine überzeugende Projektions- und Spielfläche geschaffen. Ein paar wunderbar schräge und surrealistische Details, brechen jede allzu realistische Wirkung, charakterisieren Pierre als Kulturbanausen ohne Stil und ohne Geschmack: Eine Zimmerblume hängt kopfüber von der Decke, ein abstraktes, nichtssagendes Gemälde lehnt achtlos an der Zimmerwand und ein sündhaft teures, wertvolles Kunstwerk aus Japan erweist sich als profaner Gartenzwerg.

Auf der „Achterbahn“ im WBT

“Achterbahn” von Èric Assous mit Edina Hojas und Gregor Eckert in der Regie von Meinhard Zanger – Foto Tanja Weidner

Pierre hat die bildhübsche, junge Juliette in einer argentinischen Bar kennengelernt und kurzerhand abgeschleppt. Seine Absichten liegen auf der Hand. Nach ein paar holprigen bis peinlichen Flirtversuchen und einigen harten Drinks, will er mir ihr ins Bett. Doch Juliette leistet bei einem charmanten Wortscharmützel entschiedenen Widerstand bis sich nach ein paar Minuten überraschend das Blatt wendet.

“Achterbahn” von Èric Assous mit Edina Hojas und Gregor Eckert in der Regie von Meinhard Zanger – Foto Tanja Weidner

Juliette übernimmt selbstbewusst die Führung des Gespräches. Sie interessiert sich plötzlich für seine Ehefrau, deren Portrait neben den Fotos seines Sohnes an der Wand hängt. Zusehends verwickelt Pierre sich in Widersprüche, die Juliette wunderbar ausspielt, um ihn komplett als geilen Trottel dastehen zu lassen. Obwohl er behauptet, eine offene Ehe zu führen, spielt er seiner Frau, die aus dem Skiurlaub anruft, eine Posse vor und lügt, dass sich die Balken biegen. Juliette hört belustig zu und bekommt so neues Futter, um die Versuche von Pierre, sie ins Bett zu bringen, geistreich abzuwehren.

“Achterbahn” von Èric Assous mit Edina Hojas und Gregor Eckert in der Regie von Meinhard Zanger – Foto Tanja Weidner

Nun aber beginnt die „Achterbahn“ erst richtig an Fahrt aufzunehmen. Das Stück bekommt ein rasantes Tempo als Juliette all ihren wohlanständigen Widerstand aufgibt und ihrerseits die Initiative ergreift. Sie gesteht Pierre direkt, dass sie mit ihm ins Bett will und lässt vor seinen Augen durchaus keck die Hüllen fallen. Nur noch mit einem neckischen schwarzen Body bekleidet geht sie auf den völlig überraschten Pierre los und fordert ihn geradezu heraus. Mit ein paar Handgriffen zieht sie ihm die Hosen herunter und nutzt seinen Ledergürtel, um ihn als bösen Jungen abzustrafen.

Auf der „Achterbahn“ im WBT

“Achterbahn” von Èric Assous mit Edina Hojas und Gregor Eckert in der Regie von Meinhard Zanger – Foto Tanja Weidner

Pierre weiß nicht wie ihm geschieht. Einerseits wähnt er sich am Ziel angekommen und malt sich schon eine heiße Nacht aus, als Juliette andererseits zu einem neuerlichen Angriff bläst, bei dem ihm buchstäblich die Spucke wegbleibt. Darauf braucht er noch den ein oder anderen Drink.

“Achterbahn” von Èric Assous mit Edina Hojas und Gregor Eckert in der Regie von Meinhard Zanger – Foto Tanja Weidner

Sie gibt sich als Edel-Prostituierte zu erkennen und gesteht ihm, dass sie Pierre in der Bar als potenziellen Kunden ausgewählt hat. Die Nacht mit ihr soll ihn 500 Euro kosten. Pierre ist über diese Offenbarung entrüstet, lässt aber nach ein paar Argumenten von Juliette seinen Widerstand fallen und erklärt sich bereit zu zahlen. Doch als der ihr die geforderte Summe in ihren Ausschnitt steckt, wendet sich erneute das Blatt.

“Achterbahn” von Èric Assous mit Edina Hojas und Gregor Eckert in der Regie von Meinhard Zanger – Foto Tanja Weidner

Juliette bremst ihn abrupt aus und fordert statt 500 nunmehr 700 Euro „inklusive aller Nebenleistungen“ als Honorar. Es kommt zu neuerlichen turbulenten Wortgefechten bis Juliette zu einem neuen Angriff übergeht und erneut ihre Rolle wechselt: „Ich habe dir nur etwas vorgemacht.“ Tatsächlich schlüpft sie in eine andere Rolle: „Ich spiele leidenschaftlich gern.“

Auf der „Achterbahn“ im WBT

“Achterbahn” von Èric Assous mit Edina Hojas und Gregor Eckert in der Regie von Meinhard Zanger – Foto Tanja Weidner

Doch das wechselvolle Spiel der „Achterbahn“ ist noch lange nicht am Ende. Der Autor zieht weitere Register, um die Protagonisten durchzuschütteln und das Publikum ein übers andere Mal noch zu verblüffen und zum Nachdenken zu bringen. “En passant werden in diesem Stück universelle Fragen aufgeworfen, die uns in unserem Alltag beschäftigen: Was ist Männlichkeit? Was bedeutet es, ein guter Vater zu sein? Und wie gelingt eine Beziehung, wenn die Leidenschaft schwindet? Der 2020 verstorbene französische Starautor Éric Assous ist aus dem internationalen Theaterleben nicht mehr wegzudenken. In seinen politischen Komödien entwirft er genau gezeichnete Charaktere, einen raffinierten Handlungsaufbau und überzeugt mit umwerfendem Wortwitz.” (Programmankündigung des Theaters) Über das Ende des Stückes wird hier geflissentlich geschwiegen, um den Reiz des Theaterabends nicht zu schmählern. Da hilft nur eines: Der Besuch des Theaters. „Achterbahn“ ist eine wunderbare Komödie, die perfekt unterhält und dabei auch noch einiges zum Nachdenken bereithält. Was will man mehr!?

(Jörg Bockow)

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