Michail Gorbatschow – der Kiepenkerl erinnert

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Im Westen galt Michail Gorbatschow als Hoffnungsträger. Unter seiner Führung wurden in der Sowjetunion tiefgreifende Reformen angestoßen. Vor allem ging es um Glasnost (Offenheit) und Perestrojka (Umbau). Der Gipfel in Genf weckte 1985 sogar die Hoffnung auf ein Ende des Kalten Krieges. Zwei Jahre später vereinbarten die USA und die UdSSR die Abschaffung nuklearer Mittelstreckenraketen in Europa. Gorbatschow wollte sein Land zum Westen öffnen und den Kalten Krieg beenden.

Michail Gorbatschow - der Kiepenkerl erinnert

Unter der Führung von Michail Gorbatschow wurden in der Sowjetunion tiefgreifende Reformen angestoßen. 1990 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. – Foto Pixabay

Erklärtes Ziel der Perestroika war, dass Russland wieder ein unabhängiges Machtmonopol mit blockfreien Grenzstaaten aufbaut. Der Prozess stand in engem Zusammenhang mit der Verbreitung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Sowjetunion. Die neue Offenheit der Staatsführung bedeutete auch die Demokratisierung des Landes.

Gorbatschow hielt auch die Breschnew-Doktrin für nicht mehr zeitgemäß. Die war bisher der Maßstab für die sowjetische Außenpolitik. Danach durfte die Sowjetunion nach eigenem Ermessen bestimmen, ob sie militärisch eingriff, sobald ein Mitgliedsstaat gegen den Sozialismus verstieß. So stärkte sie die kommunistischen Parteien in den Ostblockstaaten und sicherte den Fortbestand des Warschauer Paktes. Das wichtigste Beispiel für die Anwendung der Breschnew-Doktrin war der Einmarsch von sowjetischen Truppen in die Tschechoslowakei.

Michail Gorbatschow - der Kiepenkerl erinnert

Der Kreml in Moskau ist die wichtigste Schaltzentrale der Sowjetunion – Foto Pixabay

Mit der Abschaffung der Breschnew-Doktrin im Juli 1989 konnte jede sozialistische Republik der UdSSR frei entscheiden, welcher Staatsideologie sie sich anschließt. Gorbatschow hielt die kommunistische Staatsform nicht mehr für zeitgemäß. Er erklärte: „Wenn sich ein Staat dazu entscheiden sollte, sich vom Sozialismus abzuwenden, würde die Sowjetunion nicht eingreifen.“ Dadurch wurden mehrere mit der Sowjetunion verbündete Länder zur Demokratisierung ermutigt.

1956 waren 15 Länder Teil der UdSSR: Armenien, Aserbaidschan, Estland, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Lettland, Litauen, Moldawien, Russland, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Weißrussland.

Russland war die mächtigste aller Republiken und behielt die Kontrolle über das Territorium und die wichtigsten politischen Entscheidungen.

Fünf Sowjetrepubliken entschieden sich aufgrund der neuen Freiheit für die Demokratisierung und den Austritt aus der Sowjetunion. Estland, Lettland, Litauen, Moldawien und die Ukraine entwickelten sich zu demokratisch geführten Staaten nach westlichem Vorbild.

Die „abtrünnigen“ Republiken kamen aus unterschiedlichen Gründen zur UdSSR.

Die Ukraine und Russland verbindet die längste gemeinsame Geschichte. Als die UdSSR am 30. Dezember 1922 gegründet wurde, schloss sich die Ukraine als Sozialistische Sowjetrepublik der Sowjetunion an und blieb Unionsrepublik bis zur Auflösung der UdSSR im Jahr 1991.

In 1954 schenkte der damalige mächtigste Mann in der Sowjetunion, Nikita Chruschtschow (Parteichef der KPdSU von 1985 – 1991), der Ukraine die Halbinsel Krim.

2004 bekundete der damalige ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko , dass sein Land eine baldige EU-Mitgliedschaft anstrebe. Am 9. September 2008 trafen die Ukraine und die EU in Paris eine Vereinbarung für ein Assoziierungsabkommen.

Ein Antrag der Ukraine auf die Mitgliedschaft in die EU wurde von Deutschland blockiert.

Unter dem Eindruck des derzeitigen brutalen Angriffskriegs von Russland hat die EU auf dem Gipfeltreffen am 22. Juni 2022 im Eilverfahren beschlossen, die Ukraine in den Kreis der EU-Beitrittskandidaten aufzunehmen.

Estland, Lettland und Litauen kamen am 23. August 1939 auf der Grundlage des Molotow-Ribbentrop-Pakts unter die Schirmherrschaft der Sowjetunion.

Im Frühjahr 1940 besetzte die Rote Armee die drei baltischen Staaten. Sie wurden im August 1940 als Unionsrepubliken von der Sowjetunion annektiert, obwohl die meisten westlichen Nationen ihre Eingliederung in die UdSSR nie anerkannten. Teile der Bevölkerung wurden in Massendeportationen in das Innere der Sowjetunion und in Arbeitslager gebracht.

Am 22. Juni 1941 griff Nazi-Deutschland die Sowjetunion an und besetzte innerhalb weniger Wochen auch die baltischen Gebiete. Im Juli 1941 gliederten die Nationalsozialisten das Ostseegebiet in sein Reichskommissariat Ostland ein. Für die zivile Verwaltung war der Chefideologe Alfred Rosenberg zuständig

1944 eroberte die Sowjetunion die baltischen Staaten von Deutschland zurück und sperrte die verbleibenden deutschen Streitkräfte bis zur formellen Kapitulation im Mai 1945 im Kurland-Kessel ein.

Estland, Lettland und Litauen haben die Gunst der Stunde in der Gorbatschow-Ära genutzt, um 1991 ihre Unabhängigkeit wieder zu erlangen. Dem Charakter des Baltikums als einer Region mit ähnlichen Interessen und Problemen entsprechend, wurden die baltischen Staaten im März 2004 in die NATO und im Mai 2004 als Vollmitglieder in die EU aufgenommen.

Die Moldauische Republik wurde 1924 in die Ukrainische Republik integriert. Am 26. Juni 1940 zwang die Sowjetunion Rumänien, Bessarabien und die Nordbukowina herauszugeben. Anfang August 1940 wurden diese Gebiete mit der Moldauischen und als Unionsrepublik in die UdSSR integriert. 1991 wurde der Name in Republik Moldau geändert. Sie erklärte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion am 27. August 1991 für unabhängig.

Die Staats- und Regierungschefs haben auf ihrem Gipfeltreffen am 22. Juni 2022 beschlossen, auch der Republik Moldau den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu gewähren.

Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) nahm einen Sonderstatus im Verhältnis zur Sowjetunion ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand Ostdeutschland unter russischer Besatzung. Zur Stabilisierung des Verhältnisses wurde 1955 der „Vertrag über die gegenseitigen Beziehungen zwischen der DDR und der Sowjetunion“ unterzeichnet.

Danach war die DDR praktisch ein Satellitenstaat der Sowjetunion.

Michail Gorbatschow - der Kiepenkerl erinnert

Die Sowjetunion selbst ließ sich nicht reformieren, denn Wladimir Putin verfolgt eine rückwärtsgewandte Politik – Foto Pixabay

Die sowjetischen Truppen blieben nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Land stationiert. Die Grundlage bildete der Vertrag über die zeitweilige Stationierung sowjetischer Streitkräfte in der DDR (Truppenstationierungsvertrag vom 12. März 1957). Darin behielt sich das sowjetische Oberkommando ohne Mitspracherecht der DDR vor, „im Falle der Bedrohung der Sicherheit“ alle Maßnahmen zu ergreifen, die es für notwendig hielt. Durch diese Generalklausel blieb die Souveränität der DDR in erheblichem Umfang eingeschränkt.

Bundeskanzler Helmut Kohl nutzte das Zeitfenster der Demokratisierungsbewegung in der Sowjetunion zur Wiedervereinigung von Deutschland. Unter maßgeblicher Beteiligung von Gorbatschow kam es am 3. Oktober 1990 zur Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland.

1990 wurde Gorbatschow der Friedensnobelpreis verliehen.

Die Sowjetunion selbst ließ sich nicht reformieren, denn Wladimir Putin verfolgt eine rückwärtsgewandte Politik. Er will die UdSSR in den Grenzen von 1956 wieder auferstehen lassen. Allerdings fehlt ihm die Einsicht in die damit verbundenen Ungewissheiten. Doch Weisheit ist die Fähigkeit, das richtige Ziel mit den richtigen Mitteln zu erreichen – doch die fehlt ihm. Das macht ihn so unberechenbar.

 

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