Künstlerfotograf Benjamin Katz in Herford: Diese Ausstellung im Museum Marta Herford ist die Neuentdeckung eines Fotografen, der in der internationalen Kunstszene rund um das Rheinland fest verankert und omnipräsent ist.
Mit weltweit berühmten Schwarzweißportraits von Künstlern wie Georg Baselitz, Gerhard Richter, Joseph Beuys, Cindy Sherman oder Marisa Merz hat sich Benjamin Katz auf seine stille, aber höchst präsente Art einen festen Platz in der Geschichte der Künstlerfotografie erarbeitet. Doch hier steht nun ein anderer Teil seines Œuvres im Zentrum: Rund 200 ausgewählte Bilder aus dem fast eine halbe Million Negative umfassenden Archiv des Künstlers zeigen Landschaften, Stillleben oder Architekturdetails, die Katz mit unverwechselbarem Blick einfängt und meisterhaft ins Bild rückt.
Der Künstlerfotograf Benjamin Katz steht in der Tradition klassischer analoger Fotografie. Er blickt auf zu Fotografen wie Brassaï, Henri Cartier-Bresson oder André Kertész. Schon handwerklich zeugen seine Fotografien von großer Kunst. Sie entstehen in aller Regel ohne Stativ, aus der Hand heraus geschossen, die Bildausschnitte werden schon mit dem Kameraauge gesucht und im Labor nur wenig bearbeitet. Abgesehen von einigen beruflichen Aufträgen blieb Katz immer der Schwarzweißfotografie treu. Den Bildern ist eine Zeitlosigkeit zu eigen, durch die sich nur schwer erahnen lässt, in welcher Schaffensphase sie entstanden sind. So steht dieses Œuvre schon allein dadurch im Kontrast zu den chronistischen Künstlerportraits. Diese Bilder und Motive haben einen universellen Charakter und erzählen Geschichten, die genauso dem Fotografen gehören, wie sie den Ideen der Betrachter*innen entspringen können.
Auch für den Künstlerfotograf Benjamin Katz selbst ist diese Ausstellung eine Entdeckung. Vor einigen Jahren begann er die Revision und Digitalisierung seines immensen Bildarchivs. Die Bedeutung und Qualität von vielem, das für ihn damals eher nebenbei entstand, wurde ihm erst da bewusst, ebenso wie die Tatsache, dass er immer schon mehr als Portraitfotograf war. Im Marta wird sein paralleles Schaffen nun in großer Breite präsentiert. Die Fotografien wurden eigens für die Schau unter Aufsicht des Fotografen auf Barytpapier abgezogen. Vieles ist bislang nie in einer Ausstellung gezeigt worden und lässt die Art und Weise, wie dieser Fotograf auf die Welt blickt, neu in Erscheinung treten.
Benjamin Katz findet unerwartete Wortwitze, wie das Schild eines Traffohäuschens auf einem Friedhof, das dort auf die Todesgefahr verweist (Île de Ré, 1991) oder der Hinweis auf ein Rauchverbot auf einem ausrangierten Kamin (Dinard, 1980). Er nimmt die Schönheit und Erhabenheit, aber auch die Kuriosität mächtiger Baumstämme wahr (Bochum, 2017). Oder er untersucht in strenger Serialität die immer wieder kehrenden Regelmäßigkeiten und Unregelmäßigkeiten von Deckenfenstern an verschiedensten Orten.
Das Serielle ist oft auch in einer zeitlichen Ebene verankert. Etwa wenn Katz das Schwingen einer Abrissbirne in ein Gebäude in einer Folge von drei Bildern festhält (Dinard (Entrée Libre), 1980) oder aber ein und dasselbe Tor über vier Jahrzehnte hinweg immer wieder aufsucht und das Abplatzen des Lackes dokumentiert (Dinard, 1977–2006). Benjamin Katz kehrt an markante Orte zurück und oft sind die Fotografien auch Rückblicke in die persönliche Vergangenheit des Fotografen. Sie zeigen etwa die verschlossene Fassade eines Lokals (Brüssel, 1976) nahe einer Wohnung, in der er in seiner Jugend mit der Mutter in Brüssel lebte, oder das Treppenhaus seiner Grundschule (Brüssel, 2001). Die frühesten Bilder entstanden schon in Katz Jugend. Mit seiner ersten Kamera nahm er 1953 den Flughafen Berlin Tempelhof auf.
Benjamin Katz wurde 1939 als Sohn deutscher Juden in Antwerpen geboren, nachdem seine Eltern im gleichen Jahr aus Berlin fliehen mussten. Während er gemeinsam mit seiner Mutter über Paris nach Brüssel gelangte und dort bei einem Friseurehepaar ein Versteck fand, kam sein Vater kurz darauf im französischen Internierungslager Gurs ums Leben. Schon 1956 zog seine Mutter mit dem mittlerweile siebzehnjährigen Jungen zurück nach Berlin, wo er sich als Student an der Hochschule der bildenden Künste einschrieb und die Kunst zum Mittelpunkt seines Lebens wurde. Zur Fotografie, die ihm, wie er selbst sagt, das Leben rettete, fand er während eines Aufenthalts im Sanatorium Havelhöhe nach dem Tod seiner Mutter. Es folgten Beschäftigungen als Galerist und Ausstellungsmacher bevor Katz 1976 seine Tätigkeit als Chronist zum Beruf machte. Als solcher begleitete er Ausstellungen wie etwa die documenta 7 und 9 (Kassel 1982 und 1992) oder Westkunst (Köln 1981). Benjamin Katz lebt und arbeitet in Köln. Er ist vor allem bekannt als Künstlerfotograf.
Die erste Ausstellung als Künstlerfotograf fand 1985 in der Galerie Tanja Grunert in Köln statt. Er stellte unter anderem im Stedelijk van Abbemuseum, Eindhoven, in der Galerie Bellevue in Kassel, der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, dem Helsinki Art Museum oder dem Museé d’Art moderne de la Ville de Paris aus. 2006 erschien der essayistische Dokumentarfilm Der Photograph von Jürgen Heiter. Es sind zahlreiche Kataloge erschienen. Auch zur Ausstellung im Marta Herford erscheint eine umfassende Publikation mit Texten von Roland Nachtigäller und Eric Darragon im Snoeck Verlag.
Die Ausstellung wird gefördert durch #2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland e.V. aus Mitteln das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. Benjamin Katz selbst stellt seine jüdische Identität selten explizit in den Vordergrund und seine Bildwelten zeigen nicht offenkundig Schauplätze jüdischen Lebens, sondern haben eine Allgemeinere erzählerische Qualität an sich, die die Betrachtern unmittelbar und unvoreingenommen anknüpfen lässt. Doch in den persönlichen und biografischen Erinnerungen und Erzählungen Katz‘ wird der Aspekt immer wieder sichtbar. Damit steht er geradezu exemplarisch für eine jüdische Generation, die trotz kaum vorstellbarer Erfahrungen von Verfolgung, Leid und Tod ein Leben im Nachkriegsdeutschland vorstellbar fanden und ihren Platz in der Gesellschaft bis heute gleichermaßen behaupten wie vielleicht auch immer noch suchen.
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