Münster – Der Stoff ist hochpolitisch, die Zukunftsvision ist brisant. Die 2015 veröffentlichte satirische Dystopie “Unterwerfung” von Michel Houellebecq hat viele Diskussionen ausgelöst. „Die Unterwerfung“ handelt vom Zusammenprall der Kulturen und stellt Fragen zum Verhältnis von Orient und Okzident, von Judentum, Islam und Christentum. Die Reaktionen reichten von Begeisterung bis zur totalen Ablehnung. Die Auseinandersetzungen mit dem Roman gehen weiter. “Unterwerfung” gibt es auch als Theaterstück auf der Bühne zu sehen. Die Produktion aus dem Schauspielhaus Bochum gastierte am vergangenen Freitag im Theater Münster.
Houellebecq trifft mit seinem hoch umstrittenen Roman den Nerv der Zeit. Er prophezeit den Niedergang des klassischen Europas, einen Abgesang auf die westliche Kultur- und Wertegemeinschaft. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle aus Syrien, Afghanistan und Irak fantasierte sich der Autor in das Frankreich von 2022, das nach bürgerkriegsähnlichen Zuständen komplett islamisiert ist und von Muslimen regiert wird. Das war und ist in der Diskussion um den Umgang mit Migranten auch in der Bundesrepublik eine Art Brandbeschleuniger. Michel Houellebecq wird von den Rechten, Populisten und Identitären gewissermaßen als Kronzeuge für eine ernste Bedrohung angerufen, die Europa scheinbar ohne Gegenwehr zu überrollen droht. Der Islam könnte zur beherrschenden Ideologie werden.
Johan Simons hat „Die Unterwerfung“ in Bochum in einem Doppelpack auf die Bühne gebracht. Zwei Stücke von Michel Houellebecq an einem Abend. Als erstes war die Dramatisierung des Romans die „Plattform“ zu sehen. Zwei Stunden erst das eine, dann nach einer Stunde Pause, das andere Stück. Das Bühnenbild für beide Stücke nahezu gleich. Überschneidungen gab es auch bei den Darstellern. Stefan Hunstein spielte in beiden Stücken, das Alter Ego des französischen Skandal-Autors. Zynisch, intellektuell, hässlich und zugleich ein bisschen verwahrlost. Mit seinen fettigen, strähnigen Haaren erinnert er eher an einen Clouchard denn an einen ernstzunehmenden Akademiker. Bei Frauen – vorzugsweise bei seinen Studentinnen – ist er erfolgreich, er schläft sich durch die Betten, um im Sex zu kompensieren, dass er eigentlich ein Versager ist. Mit Myriam hat er ein Liebesverhältnis, das länger geht, aber auch mit ihr steht der manischer Sex an erster Stelle. Von Liebe keine Spur.
Obwohl Simons den Autor Michel Houellebecq recht gut kennt und bereits mehrere Dramatisierungen seiner Romane auf die Bühne gebracht hat, blieb „Die Unterwerfung“ seltsam distanziert und bemüht. Dabei hatte der Regisseur durchaus einige witzige Passagen und unterhaltsame Finessen herausgearbeitet. Der ironisch-sarkastische Ton mochte das Publikum zwar zum Lachen bringen und unterhalten, aber doch nicht wirklich überzeugen.
François ist Professor für Literatur an der Sorbonne. Johan Simons steigt bei seiner Inszenierung ein, als der Bürgerkrieg und die blutigen Auseinandersetzungen in Paris schon beendet sind. François ist aus der Hauptstadt aufs Land geflohen. Dort hat er in aller Abgeschiedenheit und Einsamkeit die Präsidentschaftswahlen in Frankreich verfolgt. Er erlebt sich als völlig entwurzelt.
Die alten Parteien haben sich mit dem Spitzenkandidaten der muslimischen Partei verbündet, um den rechten Front National unter Marine Le Pen zu verhindern. Es kommt zu einem Pakt mit dem Teufel: Der charismatische Muslimbruder, Mohammed Ben Abbes, wird der neue Staatspräsident. Eine absurde Situation.
Als François in die Hauptstadt zurückkehrt, ist sein Land ein anderes: ein muslimisches. Der neue Staatspräsident Mohammed Ben Abbes führt die Theokratie ein, die Scharia, das Patriarchat und die Polygamie. François wird aus dem Staatsdienst entlassen und bekommt eine durchaus fürstliche Pension. Allen scheint es offenbar gut zu gehen. Nur das Stadtbild hat sich verändert.
Sein Freund Steve, ein völlig uninspirierter eher langweiliger Dozent, hat sich schnell auf die neuen Strukturen und Machthaber eingelassen, er ist konvertiert und darf daher weiter lehren. Er bezieht ein Vielfaches als Gehalt, lebt in einer großen Wohnung in einem angesagten Bezirk und darf sich sogar mehrere Ehefrauen nehmen. Der Staat sorgt für seine Diener. Das sind starke Argumente findet auch François, der sich aber nicht so leicht korrumpieren lassen will. Er lebt stattdessen weiter in völliger Verzweiflung und Desillusion, kommt dabei völlig herunter, zumal sich seine Freundin Myriam, mit der er früher immer leidenschaftlichen Sex hatte, von ihm verabschiedet hat, um als Jüdin mit ihren Eltern nach Israel auszuwandern, wo sie sich endlich wieder sicher fühlen kann.
Erst als er beim neuen Rektor der islamischen Sorbonne zum Essen eingeladen wird und dort am eigenen Leibe die Vorzüge erfährt ein gemäßigter Muslim zu sein, wird er schließlich schwach. Es kommt zur „Unterwerfung“. Bitterer kann diese Dystopie nicht ausgehen – Jörg Bockow
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