Codex Gisle im Kloster Dalheim

Lichtenau – Das LWL-Landesmuseum für Klosterkultur präsentiert ab Sonntag (5.3.) den “Codex Gisle”, eine der wertvollsten mittelalterlichen Handschriften Deutschlands. 53 Bildinitialen mit kostbarer Vergoldung und aufwendigem Figurenschmuck machen den um 1300 entstandenen “Codex Gisle” zu einem Meisterwerk spätmittelalterlicher Buchmalerei. Das äußerst selten gezeigte Choralbuch ist eine Leihgabe des Bistums Osnabrück und wird bis zum 11. Juni im Rahmen der Studio-Ausstellung “Codex Gisle – Lobpreis für die Ewigkeit” im Kloster Dalheim zu sehen sein. Damit setzt die Leitung des Klostermuseums einen klösterlich-kulturwissenschaftlichen Akzent im Dalheim-Programm, das ansonsten mit dem Klostermarkt, der Konzertreihe “Dalheimer Sommer” und dem Gartenfest Dalheim eher allgemeinkulturell-besucherorientiert daherkommt.

Im Zentrum der neuen Ausstellung steht die kostbare Originalhandschrift aus dem Zisterzienserinnenkloster Marienbrunn in Rulle bei Osnabrück. Sie wird in Szene gesetzt von Schautafeln, Hörbeispielen und einer originalgetreuen Reproduktion, die den Besuchern zur Lektüre zur Verfügung steht. Wöchentliches Umblättern macht den Gästen der Ausstellung darüber hinaus dreizehn verschiedene Schmuckseiten der mittelalterlichen Handschrift zugänglich.

Codex Gisle

Prachtvoller Schmuck: Weihnachten und Ostern bilden die Höhepunkte des liturgischen Jahres und somit auch der malerischen Ausstattung im Choralbuch. Auf goldenem Grund zeigt die Initiale zu Ostersonntag Christus in der Vorhölle und die Auferstehung Christi.
Foto: Diözesanmuseum Osnabrück/Hartwich Wachsmann

“Der ‘Codex Gisle’ zieht seine Betrachter gleich aus zwei Gründen in den Bann: Als Zeugnis klösterlichen Lebens gewährt er uns einen seltenen Einblick in die Welt der Zisterzienserinnen von Rulle. Die Pracht der Handschrift führt uns aber auch die immense Bedeutung der mittelalterlichen Klöster für unser kulturelles Erbe vor Augen”, so Dr. Barbara Rüschoff-Thale, Kulturdezernentin des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), und Vorstandssitzende der Stiftung Kloster Dalheim, bei der Vorbesichtigung der Ausstellung. Sie freue sich insbesondere, die “Faszination den Besucherinnen und Besucher im Kloster Dalheim durch eine besonders facettenreiche Präsentationsweise nahe bringen zu können”.

Codex Gisle

Lobpreis für die Ewigkeit: Bei der einer Vorbesichtigung im Kloster Dalheim präsentierten (v.l.) die Projektleitung Dr. Helga Fabritius, Museumsdirektor Dr. Ingo Grabowsky (beide Stiftung Kloster Dalheim. LWL-Landesmuseum für Klosterkultur), Dr. Hermann Queckenstedt (Direktor Diözesanmuseum Bistum Osnabrück), LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Thale und Friederike Andrea Dorner, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Diözesanmuseum die neue Studio-Ausstellung rund um die mittelalterliche Musikhandschrift “Codex Gisle”. Während das Original wohl bewahrt in der Vitrine liegt, lädt ein Faksimile dazu ein, die Welt des Codex selbst zu erkunden. Foto: LWL/Alexandra Buterus

Möglich macht diese Studio-Ausstellung in Dalheim eine Kooperation mit dem Diözesanmuseum des Bistums Osnabrück, das die Schau rund um den “Codex Gisle” erarbeitete. Nach der Studio-Ausstellung “Im Fußballhimmel und auf Erden” (2014) ist es die zweite Kooperation zwischen Dalheim und Osnabrück. “Das Projekt bezeugt, wie bereichernd der Austausch der Museen untereinander für die Kulturvermittlung auf regionaler und überregionaler Ebene ist”, würdigte Rüschoff-Thale die erneute Zusammenarbeit, die auf Dalheimer Seite von der wissenschaftlichen Projektleitung Dr. Helga Fabritius begleitet wurde.

Codex Gisle – Eine der wertvollsten Handschriften Deutschlands

Vor mehr als 700 Jahren gefertigt für das Kloster Marienbrunn im Wallfahrtsort Rulle bei Osnabrück, enthält der “Codex Gisle” als sogenanntes Graduale die während des Gottesdienstes an Sonn- und Feiertagen gesungenen Choräle der Zisterzienserinnen. Heute gilt der “Codex Gisle” als eine der wertvollsten Handschriften Deutschlands. “Die außergewöhnliche Vielzahl der 1.500 verzeichneten Choräle sowie die 53 teils ganzseitigen Initialen machen den Codex zu einem außergewöhnlichen Werk seiner Zeit”, erläuterte Dr. Ingo Grabowsky, Museumsdirektor des LWL-Landesmuseums für Klosterkultur. Um den Besuchern möglichst viele der prachtvollen Seiten des Codex zu zeigen, wird die Originalhandschrift im Kloster Dalheim wöchentlich umgeblättert und passend zum Kirchenjahr neue Initialen aufgeschlagen. Während das Original geschützt in einer Vitrine liegt, lädt ein Faksimile dazu ein, die Welt des “Codex Gisle” selbst zu erkunden.

Erinnerung an die Stifterin: Gleich zwei Darstellungen verweisen im “Codex Gisle” auf die Namensgeberin Gisela von Kerssenbrock. Die Weihnachtsinitiale zeigt sie mit namentlicher Nennung “Gisle” als Sangesmeisterin der Zisterzienserinnen von Marienbrunn in vorderster Reihe.
Foto: Diözesanmuseum Osnabrück/Hartwich Wachsmann

Im Kloster Marienbrunn lebte stets ein kleiner Konvent. Um 1300 umfasste er sechs Ordensfrauen, die sich dem Unterricht und der Bildung von Mädchen regionaler Adelsfamilien widmeten. Der Tagesablauf der Nonnen gliederte sich durch acht Gebetszeiten, deren Höhepunkt die tägliche Feier der Heiligen Messe war. “Der ‘Codex Gisle’ enthält sämtliche Gesänge, mit denen die Marienbrunner Nonnen das Kirchenjahr an Sonn- und Feiertagen gestalteten”, berichtete der Direktor des Diözesanmuseums Osnabrück Dr. Hermann Queckenstedt: Lieder zum Einzug der Nonnen in die Kirche, Psalmverse, Hallelujahrufe etc. Beginnend mit dem Advent sind sie nach den Festen im Kirchenjahr geordnet. Je nach Bedeutung der kirchlichen Feste variieren die Initialen und Noten in Größe, Farbe und Dekor.

Thematische Schautafeln machen die Ausstellungsgäste mit der detailreichen und fantasievollen Malerei der Handschrift vertraut und erläutern die symbolische Bedeutung der dargestellten Figuren, Tiere und Pflanzen. “Die Bildsprache des “Codex Gisle” ist äußerst einfallsreich und originell”, zeigte sich Queckenstedt, dessen Museum den Codex Gisle nach langer Pause 2014 erstmals wieder präsentierte, begeistert von den prächtigen Malereien mit figürlichen Medaillons, aufwendigem Rankenwerk, Goldschrift und farbigen Noten.

Codex Gisle: Gesangbuch und Gotteslob

Ingo Grabowsky: “Mit seinen kostbaren Vergoldungen, leuchtenden Farben sowie dem reichen Figuren- und Ornamentenschmuck vereint der ‘Codex Gisle’ alle Merkmale einer bereits zur damaligen Zeit außergewöhnlich wertvollen Handschrift. Das hatte aber nicht zur Folge, dass die Nonnen die Handschrift in ihrer Schatzkammer einschlossen. Vielmehr nutzten sie den Codex mehr als 500 Jahre lang täglich zum Gotteslob.” Die Handschrift rief den Zisterzienserinnen die Bedeutung ihres Gesangs als “Lobpreis für die Ewigkeit” ins Bewusstsein und steigerten so die Intensität ihrer Andacht. Hörbeispiele machen dies in der Schau deutlich: “Der Klang der mittelalterlichen Choräle in Verbindung mit der Betrachtung ihrer kostbaren Malereien geben eine Vorstellung davon, wie die Marienbrunner Schwestern die Messgesänge als ein sinnliches Erlebnis erfahren haben müssen”, sagte Grabowsky.

Gisle sei Dank

Obwohl Namen von Buchschreibern oder -malern der Zeit um 1300 selten überliefert sind, führt der “Codex Gisle” seine Urheberin bereits im Namen: Es ist die Sangesmeisterin des Klosters Gisela von Kerssenbrock, die das “wunderbare Buch geschrieben, illuminiert [und] mit Noten versehen [hat]”, wie ein Vermerk am Anfang des Codex bezeugt. Auch im Bild begegnet “Gisle” dem aufmerksamen Betrachter der Handschrift an zwei Stellen, nämlich an den beiden wichtigsten Hochfesten des katholischen Kirchenkalenders Weihnachten und Ostern. “Aufgrund von Qualitätsunterschieden in der Schrift wird heute allerdings von insgesamt drei Schreibern ausgegangen”, berichtete Queckenstedt den aktuellen Stand der Forschung.

Bücherschatz an einem historischen Ort

Kloster Dalheim präsentiert zur Schau auch die Technik der mittelalterlichen Handschriftenproduktion: Anhand von vier Pergamentblättern führt die Ausstellung die einzelnen Arbeitsschritte bei der Herstellung einer illuminierten Handschriftenseite vor. Die Pergamentblätter sind eine originalgetreue Nacharbeitung einer Prachtseite einer Handschrift aus dem Dalheimer Umfeld. “Auch das Kloster Dalheim hatte im Mittelalter eine berühmte Schreibstube, deren Arbeitsweise wir in der Dauerausstellung mithilfe moderner Inszenierungen demonstrieren”, erläuterte Grabowsky. Wie das Kloster Marienbrunn im Jahr 1802 wurde auch das Augustiner-Chorherrenstift in Dalheim 1803 im Zuge der Säkularisation aufgehoben. Das einst einflussreiche Kloster bestand fortan einzig als landwirtschaftlicher Betrieb. Das klösterliche Inventar ging größtenteils verloren, darunter auch die bedeutende Bibliothek.

Laufzeit der Studio-Ausstellung
05.03. bis 11.06.2017

Öffnungszeiten
dienstags bis sonntags sowie feiertags
10 bis 18 Uhr – montags geschlossen

Eintrittspreise Museum
Erwachsene: 9,00 Euro
Gruppen ab 16 Personen: je Person 7,00 Euro
Kinder/Jugendliche (6 – 17 Jahre), Schüler/innen: Eintritt frei
Schüler/innen bei Teilnahme an einem museumspädagogischen
Angebot (2 Begleitpersonen frei): Eintritt frei
Ermäßigte*: 4,50 Euro
LWL-MuseumsCard (gilt auch für LVR-Museumskarte): Eintritt frei

www.stiftung-kloster-dalheim.lwl.org

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