Das Höchste, was man in seinem Lebenskreis gewinnen kann, ist das Vertrauen der Mitmenschen. Einmal erworben bildet es die Grundlage für persönliche Freundschaften und Verhandlungs-erfolge. Doch Vertrauen ist ein scheues Reh. Einmal verspielt erweist es sich als schwerer Verlust für das weitere Zusammenleben.
Auch „Das Kapital ist ein scheues Reh“ – dieser Satz stammt nicht von einem Banker, sondern von Karl Marx. Der ahnte wohl schon, dass auch Kapitalmärkte und Investoren innerhalb kurzer Zeit ihr Geld aus Staaten abziehen, in denen die Staatsverschuldung aus dem Ruder gelaufen ist und kein Vertrauen in die Umsetzung wirkungsvoller Sparmaßnahmen besteht.
Die ängstlichen Rehaugen des Kapitals blicken seit Anfang des Jahres vor allem auf Risiken, die mit Staatsanleihen überschuldeter Länder verbunden sind. Nach wochenlangem öffentlichem Gezerre um Spar- und Reformvorschläge stoppte der Internationale Währungsfonds den Ankauf griechischer Staatsanleihen, und Rating-Agenturen stuften die Bonität des Landes auf Ramschniveau herab. Das löste beim ausländischen Kapital einen Fluchtreflex aus. Der ergriff auch die Griechen, die das Vertrauen ins Finanzsystem ihres Landes verloren hatten und ihre Euro-Bankguthaben massenhaft abhoben oder ins Ausland transferierten.
Trotzdem wollten die Regierungen der Euro-Staaten Griechenland um jeden Preis im Euro halten. Aber die stolzen Helenen hatten „Syriza“ und die „Unabhängigen Griechen“ gewählt, um die bisherigen Reformen zurückzudrehen. Plötzlich galt der eherne Grundsatz nicht mehr: „Wer die Musik bestellt, der muss sie bezahlen.“ Die Griechen wollten ihre Kredite nicht tilgen, sondern verlangten frisches Geld von den Gläubigern. Das war keinesfalls aussichtslos. Dafür verlangten die Geldgeber allerdings nachvollziehbare Spar- und Reformanstrengungen sowie die Erhöhung der Staatseinnahmen.
Doch Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis behandelten das Vertrauen der Geldgeber wie eine PIN, bei der es unendlich viele Fehlversuche gibt. Mit dummer Provokation, frechem Zynismus und vorsätzlicher Obstruktion führten sie die Regierungschefs mit den Finanzministern der Eurostaaten sowie die Spitzen von Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und Europäischer Union wie Tanzbären durch Brüssel. Durch das unwürdige Gefeilsche um Reformen war das Vertrauen der Geldgeber schließlich aufgebraucht.
Zur Rettung in letzter Minute setzte Athen auf die Angst der Europäer vor einem Scheitern des Euro. Angst gilt zwar als bewährtes Führungsinstrument, doch dabei ist die Grenzziehung zwischen kraftvoll/dynamisch/zielorientiert und pathologisch/unmoralisch nicht mehr möglich..
Im Rahmen der Volksabstimmung votierte die Mehrheit der Bevölkerung aufgrund von Propagandalügen und nicht erfüllbaren Versprechungen der Regierung Tsipras für die Ablehnung der von den Geldgebern geforderten Sparmaßnahmen. Doch aus den zahlreichen Krisengipfeln hätten Tsipras und Varoufakis wissen müssen, dass ohne Strukturveränderungen kein frisches Geld fließen würde. Der Siegestaumel über die Ablehnung von Reformen verflog schnell.
Nach dem milliardenschweren Geldabfluss und der Begrenzung der Barabhebung an Geldautomaten auf 60 Euro pro Tag kam es zu einem starken Rückgang der inländischen Nachfrage. In der Folge wurden tausende mittelständische Unternehmen zahlungsunfähig. Und durch die Schließung der Banken näherten sich die griechischen Exporte und Importe der Nulllinie. Mit ihrer Taktik haben sich Tsipras und Varoufakis verzockt. Durch Inkompetenz, Arroganz, Halbwahrheiten und Ignoranz führten sie Griechenland finanziell und politisch ins Chaos. In aller Öffentlichkeit haben sie den Politikern der Eurozone vorgeführt, wie man mit leeren Händen locker auftritt, und dabei den Bogen weit überspannt.
Der Wunsch, schnell an frisches Geld zu kommen, erfüllte sich nicht. Notgedrungen legte die griechische Regierung im Schulterschluss mit der Opposition am 9. Juli ein Spar- und Reformprogramm vor, das den bekannten Forderungen der Geldgeber ähnelte, allerdings hinter diesen zurückblieb. Doch angesichts der in den nächsten drei Jahren benötigten etwa 86 Milliarden und der kollabierten Wirtschaft hätten die Reformanstrengungen ausgeweitet werden müssen. Vor diesem Hintergrund sprachen sich die Finanzminister mehrheitlich gegen die Aufnahme von Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket aus.
Doch die Regierungschefs strebten eine politische Lösung an. Nach zähen Verhandlungen stimmten sie der Aufnahme von Verhandlungen über das dritte Hilfspaket unter der Bedingung zu, dass die griechische Regierung die wichtigsten Grundsätze der Auszahlungsbedingungen bis zum 15. Juli 2015 in Gesetzesform im Parlament verabschieden lässt. Diese Forderung war unumstritten, denn nach den zahlreichen nicht umgesetzten Zusagen bestand kein Vertrauen mehr in reine Willensbekundungen. Trotzdem ist der Erfolg fraglich, denn Griechenland hat bisher keine Strukturen entwickelt, um Reformen umsetzen zu können. Das größte Fragezeichen steht hinter den höheren Steuereinnahmen. Schließlich ist es den Griechen nach aller Erfahrung egal, welchen Steuersatz sie nicht an die unfähige Finanzverwaltung abführen.
Heute, am 17. Juli 2015, wird der deutsche Bundestag über weitere Hilfen für Griechenland abstimmen.
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