Das Borchert Theater schaut voller Tatendrang und mit neuem Optimismus in die kommende Spielzeit: Unter dem Motto „Zwischen Geistern und Flammen“ blickt die Intendantin des Wolfgang Borchert Theater in Münster, Tanja Weidner, auf die nächste Spielzeit.

Neuer Spielplan in der Saison 2025/26: Dramaturgin Laura Ritter (li) und Intendantin Tanja Weidner werfen einen Blick in die kommende Spielzeit – Foto Jörg Bockow
Selten passte ein Spielzeitthema so gut zu Gegenwart und Geschichte, zu Weltlage und zum Theaterherz. Es geht ums Erinnern und Aufbrechen, ums Verlieren und Entzünden. Tanja Weidner bringt es auf den Punkt: „Wir wollen Theater machen, das berührt, aufrüttelt und natürlich auch unterhält – mit Haltung und Leidenschaft.“
Weidners erstes Jahr als Intendantin und Geschäftsführerin war kein leichter Start: Ein Haushalt, der auf Kante gestrickt ist, gesellschaftliche Verunsicherung und permanente Krisenstimmung. Doch das Borchert Theater hat sich behauptet – und wie. Mit einer Gesamtauslastung von 82,1 Prozent, die in den Monaten November bis April sogar bei fast 90 Prozent lag, gehört das Privattheater am Hafen zu den erfolgreichen Bühnen im Land. 22.590 Besucher haben das Borchert Theater bislang in dieser Spielzeit erlebt. Gratulation!
Erfolgsstücke wie „Achtsam Morden“, „Kalter weißer Mann“ oder „Der Teufel und die Diva“ und nicht zuletzt das Ein-Personen-Stück „All das Schöne“ mit Florian Bender treffen den Nerv des Publikums. Selbst experimentellere Produktionen wie „MetaFAUST“, „Herzfaden“ oder „Manhattan Project“ finden ein begeistertes und immer wieder interessiertes Publikum. „Das ist kein Nischenprogramm“, betont Weidner, „sondern ein Angebot an alle, die sich nach Relevanz, Tiefe – und einem verdammt guten Abend sehnen.“
Stolz ist Tanja Weidner auch auf die kleinen Stücke, mit denen das Theater raus geht, in Schulen beispielsweise, oder direkt mitten hinein ins Publikum. Dazu gehört unter anderen „Malala – ein starkes Mädchen“, das mobile Klassenzimmerstück: Bereits über 20 Aufführungen in Schulen zeigen, wie ernst das Theater seine Verantwortung nimmt. „Junge Menschen sehen bei uns, dass ihre Themen zählen und sie ernst genommen werden“, sagt Weidner. „Und sie reden und diskutieren mit uns. Das ist unser größter Erfolg.“
Den Beginn der kommenden Spielzeit markiert „Heimsuchung“ nach dem Roman von Jenny Erpenbeck – ein poetisches Mosaik deutscher Geschichte, das ein Haus am See zur Bühne für ein Jahrhundert deutscher Umbrüche macht. Die Bühnenfassung stammt von Weidner selbst. Die Videoinstallationen von Tobias Bieseke geben dem Stück eine unerwartete visuelle Tiefe. „Heimsuchung“ ist nicht nur literarisch relevant – der Roman steht auch auf dem Themenplan fürs Zentralabitur NRW. Ein kluger Schachzug, der Kunst und Bildung zusammenführt.
Mit „Putsch. Anleitung zur Zerstörung einer Demokratie“ bringt das Borchert Theater eine hochaktuelle Komödie auf die Bühne. Das Stück des britisch-deutschen Duos Beaton/Jacobs lotet mit bösem Humor die Abgründe politischer Manipulation aus. Regie führt Meinhard Zanger, unterstützt vom Bühnenbildner Tom Grasshof. Eine Farce – ja. Aber eine, die wehtut, weil sie so nah an der Wirklichkeit liegt, verspricht die Intendantin.
Auch die literarischen Schwergewichte sollen eine neue Lesart bekommen: Thomas Manns „Mario und der Zauberer“ wird zur düsteren Allegorie über Verführung und politische Hypnose. Regie führt einmal wieder die großartige Luisa Guarro. Zum 150. Geburtstag des Nobelpreisträgers ein hochaktueller Kommentar. Luisa Guarro, die ambitionierte Theatermacherin aus Neapel hat bereits mehrere spektakuläre Inszenierungen am Borchert Theater hingelegt. Wir freuen uns auf sie und ihren Partner, der erneut das Licht setzen soll.
Mit „Michael Kohlhaas“ bringt Weidner selbst einen Klassiker auf die Bühne – als Solo-Drama mit Gregor Eckert. Heinrich von Kleists Erzählung über Gerechtigkeit und Fanatismus entfaltet sich hier als moderner Politthriller: schnörkellos, intensiv, unheimlich gegenwärtig.
Flavia Costes „Nein zum Geld!“ bringt französischen Witz und Kapitalismuskritik in einer rasanten Familienkomödie auf die Bühne. Regie führt erneut Andrea Krauledat, die Intendantin des Mindener Theaters, die mit „Kalter weißer Mann“ bereits einen Publikumserfolg im Borchert Theater gelandet hat. Was passiert, wenn jemand 162 Millionen Euro gewinnt – und den Gewinn aus moralischen Gründen ablehnt? Die Frage ist ernst. Die Antwort: bitterkomisch.
Henrik Ibsens „Gespenster“ werden von Björn Gabriel inszeniert – in einer Produktion, die Videokunst, Bühne und psychologische Tiefen miteinander verschränkt. „Wir holen die Schatten ins Licht“, so der Regisseur. Ein Kammerspiel über Schweigen, Schuld und Selbstbetrug. Björn Gabriel hat bereits mit „Manhattan Project“ unter Beweis gestellt, dass er ein Mann eines ganz neuen Theaters ist. Auch diese Inszenierung wird sicherlich wieder spektakulär, hofftTanja Weidner.
Zum Finale der neuen Spielzeit dann „Nur Nachts“ von Sybille Berg. Zwei Menschen, Mitte vierzig, kämpfen um Nähe, während der Optimierungswahn des Lebens an ihnen zehrt. Melancholisch, komisch, entwaffnend ehrlich. „Ein Stück über das, was bleibt, wenn das Glatte bricht“, blickt Weidner schon einmal weit ins Programm des kommenden Jahres.
Die Nachfrage nach Karten für die Theaterpremieren wächst – so stark, dass künftig Premieren doppelt gefeiert werden: donnerstags und freitags.
Auch personell tut sich viel: Schade, dass Tara Oestreich an eine andere Bühne wechselt. Sie passte so gut zum Borchert Theater! Dafür kehrt Rosana Cleve als Schauspielerin und angehende Regisseurin zurück. Darauf freuen wir uns ganz besonders und drücken ihr für die neuen Herausforderungen die Daumen! Wieder im Ensemble sind außerdem die „Heimkehrer“ Bernd Reheuser und Markus Hennes, sowie ganz neu im Ensemble Carolin Wirth und die Nachwuchsschauspielerin Lara Berenike Dabbous.
Die kommende Spielzeit setzt auf klare Kante. Politisch, poetisch, packend. Neben dem klassischen Repertoire entwickelt das Wolfgang Borchert Theater neue Formate weiter: Das Politische Café unter der Leitung von Prof. Norbert Kersting zieht vermutlich wieder vom Foyer in den Theatersaal – weil der Andrang so groß ist.
Auch das Philosophische Café kehrt mit Ethikprofessor Sebastian Laukötter zurück. Damit werden wieder zwei Foren für offene Diskussionen geöffnet, die zeigen: Theater ist kein Elfenbeinturm, sondern eine Agora mit einem direkten Kontakt zum Publikum. „Wir verstehen uns als Dialograum“, so Weidner. „Ein Ort, an dem Konflikte sichtbar werden, aber auch Utopien wachsen dürfen.“
Das Wolfgang Borchert Theater stellt sich nicht nur den Geistern der Vergangenheit und der Gegenwart, es entfacht auch ein Feuer – für neue Ideen, alte sowie neue Geschichten, direkte Begegnungen und Auseinandersetzungen, die am Ende unsere Wirklichkeit verständlicher machen, ehe man an ihr verzweifelt.
In Zeiten gesellschaftlicher Widersprüche und andauernder Erschöpfung wirkt dieses Programm wie ein Funken Hoffnung: mutig, verspielt, im besten Sinne unterhaltsam – aber immer relevant. Wer in Münster Theater sucht, das nicht nur zeigt, sondern auch fragt, tröstet, irritiert – der kann sich auf etwas gefasst machen. Denn am Hafenkai brodelt und lodert es. Es brennt mitunter lichterloh. Wir sehen uns in der nächsten Spielzeit! Jörg Bockow
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