HIOB feiert im Borchert Theater Premiere

HIOB, die Schauspielfassung des gleichnamigen Romans von Joseph Roth aus dem Jahr 1930 ging am vergangenen Wochenende im Wolfgang Borchert Theater in Münster unter der Regie von Tanja Weidner über die Bühne. Mit diesem großartig umgesetzten HIOB ist das WBT in seine neue Spielzeit gestartet. Die Messlatte für die folgenden Inszenierungen liegt ab jetzt besonders hoch.

HIOB feiert im Borchert Theater Premiere

HIOB im Wolfgang Borchert Theater mit Jürgen Lorenzen – Foto Klaus Lefebvre

Chefdramaturgin Tanja Weidner hat die Geschichte des HIOB von Joseph Roth bearbeitet, theatralisch zugespitzt und findet für die Nacherzählung des Romans starke Bilder und dramatische Szenen, die unter die Haut gehen. Das war keine einfache Aufgabe, denn im Roman wird die wechselvolle und bedrückende Lebensgeschichte der Hauptperson, des gottesfürchtigen Juden Mendel Singer, auf knapp 200 Seiten erzählt.

HIOB im Wolfgang Borchert Theater mit Ivana Langmajer, Jürgen Lorenzen und Florian Bender – Foto Klaus Lefebvre

Joseph Roth greift in seinem Roman die berühmte Geschichte von Hiob aus dem Alten Testament auf. In der geht es um die Wette zwischen Gott und dem Satan, mit der das ungebrochene Gottvertrauen und der unerschütterliche Glaube von Hiob auf eine harte Probe gestellt werden. Der Talmud-Lehrer Mendel Singer, die moderne Übersetzung des alttestamentarischen HIOB, erlebt ganz ähnliche existenzielle Prüfungen. Immer wieder fragt er sich, für was er und seine Familie eigentlich bestraft werden, was sie falsch gemacht haben.

HIOB feiert im Borchert Theater Premiere

HIOB im Wolfgang Borchert Theater mit Florian Bender – Foto Edina Hojas

Mendel Singer, gottesfürchtiger Lehrer jüdischen Glaubens, (einfühlsam und bis ins Detail überzeugend von Jürgen Lorenzen verkörpert) lebt um das Jahr 1900 mit seiner Familie in einem abgeschiedenen Dorf in Ostgalizien, in einem Schtetl namens Zuchnow, nahe der russisch-polnischen Grenze – damals noch Teil des russischen Reiches. Politische Wirren und der Krieg deuten sich im Hintergrund bereits an. Mendel Singer lebt in ärmlichen Verhältnissen. Er ist ein durchschnittlicher, aber überzeugter Talmud-Lehrer.

HIOB im Wolfgang Borchert Theater mit Jürgen Lorenzen – Foto Klaus Lefebvre

Die Familie, Frau Deborah (wunderbar gespielt von Ivana Langmajer) und die Kinder Jonas (Alessandro Scheuerer), Schemarjah (Florian Bender) und Mirjam (Rosana Cleve) führen ein einfaches und hartes Leben, das Mendel vor Gott demütig und ohne Widerspruch stoisch erträgt. Doch er wird hart geprüft: Sein dritter Sohn Menuchim kommt behindert zur Welt und damit beginnt eine Odyssee der Familie. Die Familie hadert mit dem unerwünschten, anstrengenden “Krüppel” in ihren Reihen, der auch nach Jahren nur ein einziges Wort stammeln kann: „Mama“. Seine Geschwister überlegen wie sie ihn loswerden können, besinnen sich aber doch eines Besseren.

HIOB feiert im Borchert Theater Premiere

HIOB im Wolfgang Borchert Theater mit Florian Bender, Gregor Eckert und Rosana Cleve – Foto Klaus Lefebvre

Als Mirjam sich mit einem Kosaken einlässt, will die Familie um Schlimmeres zu verhindern nur schnell weg. Sie wandert mit dem letzten Ersparten nach New York aus, lässt den kranken Menuchim aber zurück und lädt damit Schuld auf sich. Die Migration nach Amerika, Entwurzelung, Schuldgefühle, Tod und Verlust zeichnen Mendels Weg und den seiner Familie, die wie verflucht zu sein scheint. Nach einer ersten Euphorie in der Neuen Welt, wird die Ernüchterung von Mendel Singer von Tag zu Tag größer. Er fühlt sich völlig entfremdet, auch wenn seine Frau, sein Sohn und seine Tochter anfänglich das neue Leben aus vollen Zügen und rauschhaft genießen. Er sehnt sich zurück. Er kann mit dem Leben in Brooklyn nichts anfangen, zumal er keinen Kontakt und keine Freunde findet.

Einen Sohn verliert Mendel im Krieg, der andere desertiert, seine Tochter wird wahnsinnig, seine Frau stirbt. Ein Schlag nach dem anderen ereilt Mendel Singer. Aller Hoffnungen und jedes Lebenswillens beraubt löst sich Mendel vom einzigen, der ihm geblieben ist: seinem Gott. Und erfährt am Ende ein Wunder. Denn Menuchim ist inzwischen geheilt, so wie es der Rabbi Mendel Singer einst prophezeit hat.

HIOB im Wolfgang Borchert Theater mit Ivana Langmajer – Foto Klaus Lefebvre

Aus dem “Krüppel” Menuchim ist der erfolgreiche und angesehene Komponist Alexej Kossak geworden. Er ist inzwischen ein wohlhabender, gutgekleideter Mann und begnadeter Musiker, musikalischer Botschafter seiner Heimat. Charismatisch und weise wie der Messias selbst taucht er – wie eine Erscheinung – bei Mendel Singer auf. Wunder gibt es also doch, zumindest in der Fiktion, im Roman und auf der Bühne. Mendel Singer mag es kaum glauben.

HIOB feiert im Borchert Theater Premiere

HIOB im Wolfgang Borchert Theater mit Florian Bender und Jürgen Lorenzen – Foto Klaus Lefebvre

Chefdramaturgin Tanja Weidner gelingt es mit ihrer klugen Inszenierung eine überzeugende Brücke der ursprünglich märchenhaft angelegten Familiensaga in unsere Gegenwart zu schlagen.

Mehrere eingespielte Videointerviews mit emotionalen Statements von Geflüchteten aus der Ukraine (mit deutschen Zwischentiteln übersetzt) unterstreichen schmerzhaft wie Vertreibung und Flucht, Entwurzelung und Heimatlosigkeit in der heutigen Wirklichkeit erlebt werden. Ihnen ist nichts mehr geblieben als das nackte Leben. Im Unterschied zu Mendel Singer, der am Ende seines von zahlreichen Schicksalsschlägen bestimmten Lebens gewissermaßen ein Wunder erlebt, können die Geflüchteten aus der Ukraine, aus Syrien und Afghanistan nur darauf hoffen, dass der Krieg in ihrer Heimat irgendwann einmal zu Ende geht.

Derweilen aber wird ihre Heimat, werden Dörfer und Städte weiter zerstört. Auch sie hatten und haben auf die Zeitläufte keinen Einfluss, sind von einem schrecklichen Schicksal betroffen ganz ähnlich wie Mendel Singer und seine Familie. Auch sie martern sich das Gehirn, wofür sie das alles erfahren müssen – wofür sie eigentlich “bestraft” werden. Und in Deutschland werden sie nur bedingt willkommen geheißen, geschweige denn integriert. Ihnen wird, wenn es gut geht, ein Bleiberecht eingeräumt – zeitlich begrenzt. Vielen Menschen in der Bundesrepublik sind die Flüchtlinge eine Last, die sie eigentlich schnellstens wieder loswerden wollen.

HIOB im Wolfgang Borchert Theater mit Rosana Cleve, Jürgen Lorenzen und Ivana Langmajer – Foto Klaus Lefebvre

Die Inszenierung überzeugt durch ein abstraktes, sehr wirkungsvolles Bühnenbild, das mit wenigen aber starken Requisiten auskommt. Um eine einfache Sitzbank spielt sich im ersten Teil das komplette Familienleben der Singers ab. Sie ist Tisch und Bett in einem. Hier wird geschlafen, gegessen, geliebt, gebetet und geboren. Im zweiten Teil reicht ein geschwungener Perlenvorhang, der sich über die ganze Bühne spannt, das moderne Leben in Amerika zu visualisieren. Mal dient er als Kulisse für das mondäne Warenhaus, dann als Heim und schließlich sogar als Tanzsaal. Für dieses Design ist einmal mehr Annette Wolf verantwortlich, die auch die Kostüme entworfen und die bleiche Gliederpuppe gestaltet hat, mit der der kleine Menuchim dargestellt wird. Annette Wolf hat einmal mehr bewiesen zu was sie fähig ist. Bravo!

Das überaus spielfreudige Ensemble des WBT ist mit HIOB aus der Sommerpause zurück und setzt mit überzeugenden Schauspielerleistungen ein starkes Zeichen. Großartig besetzt sind die Hauptrollen: Jürgen Lorenzen, Ivana Langmajer und nicht zuletzt Rosana Cleve. Wieder einmal brillieren Florian Bender, Alessandro Scheuerer und Gregor Eckert gleich in mehreren Rollen – eine Spezialität der Bühne, womit das WBT aus ihrer „Not“ längst eine Tugend gemacht hat. Mangel an Darstellern, die gibt es am Hafen schon lange nicht mehr. Die Erfolgsgeschichte des Borchert Theaters setzt sich mit HIOB nahtlos fort.

Die Premiere von HIOB nach dem Roman von Joseph Roth war ein emotionaler, tief bewegender Theaterabend, der in seinem zeitlosen, existenzialistischen Grundton noch lange nachhallt. Sehenswert! (Jörg Bockow)

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