„Die Turing-Maschine“ im Wolfgang Borchert Theater

Er war eine tragische Figur: Der Brite Alan Turing. Das Wolfgang Borchert Theater lässt mit seinem neuen Stück „Die Turing-Maschine“ dessen spannungsvolles und bewegtes Leben in einigen, wenigen Schlüsselszenen Revue passieren. Die Biographie des genialen Mathematikers, manischen Tüftlers und schrulligen Außenseiters erscheint in einer überschaubaren Abfolge von Ereignissen wie unter einem Brennglas immer zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen der Verspieltheit eines Kindskopfes und einem höchst verletzlichen Sensibelchen.

Die Turing-Maschine läuft am Hafen in Münster

Alessandro Scheuerer in der Rolle des Mathematikers Alan Turing in “Die Turing-Maschine” im Wolfgang Borchert Theater – Foto Klaus Lefebvre

„Die Turing-Maschine“ ist die Geschichte eines Genies, das der Welt durch Forschungswillen und Wissbegierde eine der größten Errungenschaften der Menschheit hinterließ, mit seinen Sehnsüchten den Zwängen der Zeit jedoch zum Opfer fiel.

Die Turing-Maschine

Florian Bender in “Die Turing-Maschine” im Wolfgang Borchert Theater – Foto Klaus Lefebvre

Das Stück des französischen Schriftstellers und Dramatikers Benoît Solès feierte in der vergangenen Woche seine Premiere in Münster. Das WBT ist das zweite deutsche Theater, das das Stück nach seiner vielbeachteten Uraufführung in Paris spielen darf. Für viele mag die Person Alan Turing bis zu diesem Abend gänzlich unbekannt gewesen sein. Eine echte Bildungslücke, denn der britische Mathematiker, Logiker und Kryptograph war einer der herausragendsten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts und gilt als Urvater des Computers und der Künstlichen Intelligenz. Seine vor mehr als 70 Jahren aufgeworfene Frage, ob denn Maschinen denken und fühlen könnten, bewegt heutige Mathematiker und Computerfreaks in gleicher Weise noch immer.

Florian Bender und Alessandro Scheuerer in “Die Turing-Maschine” – Foto Klaus Lefebvre

Das Publikum reagierte auf das eindrückliche Kammerspiel und Psychogramm des seltsamen Wissenschaftlers tief bewegt und begeistert. Daran hatte nicht zuletzt das ebenso reduzierte wie starke Bühnenbild einen großen Anteil. Intendant Meinhard Zanger arbeitete für diese Produktion erneut mit Bühnen- und Kostümbildnerin Stephanie Kniesbeck zusammen, die bereits für „Alles was sie wollen“, „Willkommen“, „Frauensache“ und „Ich werde nicht hassen“ die Ausstattung entwarf. Stephanie Kniesebeck setzt in ihrer Bühnenausstattung auf kurze Videoeinspieler und Filmschnipsel, die allerdings nur durch kurze fast abstrakte Bilder und Szenen eine Art Gedankenfolie anspielen und kurze Assoziationen bieten. Das ist überragend gelöst, um den Zeitgeist und die Denke des Mathematikers zu visualisieren und miteinander zu verschmelzen.

Am Ende gab es langanhaltenden Applaus für eine ebenso kluge wie sensible Inszenierung, die voll und ganz auf die Charaktere vertraut und nicht zuletzt für die beiden herausragenden Schauspieler Florian Bender und Alessandro Scheuerer.

Die Turing-Maschine im WBT

Alan Turing auf der Suche nach Liebe und Zärtlichkeit in “Die Turing-Maschine” – Foto Klaus Lefebvre

Florian Bender brilliert in „Die Turing-Maschine“ einmal mehr in gleich drei verschiedenen Rollen: Er schlüpft in die Rolle des pedantischen Ermittlungsbeamten Mick Ross, des schwulen Freundes und zwielichtigen Kellners im Hotel Continental, Arnold Murray sowie in die Rolle von Hugh Alexander, den Vorgesetzten von Alan Turing in der geheimen Dechiffriereinheit von Bletchley Park, der dem Einzelgänger permanent Druck macht. Scheuerer, gerade erst im Ensemble angekommen, spielt in „Die Turing-Maschine“ seine erste Hauptrolle. Seinem eindringlichen Spiel kann man sich kaum entziehen. Man fühlt mit diesem Alan Turing mit.  Scheuerer verwandelt sich förmlich in seinen bemitleidenswerten Protagonisten. Man würde sich kaum wundern, wenn man den Schauspieler nur mit Schlafanzug bekleidet und mit einer Gasmaske gegen seinen Heuschnupfen am Hafenbecken wie weiland Alan Turing entlangjoggen sähe.

Immer an der Grenze zum Wahnsinn verfolgte Turing seine Ideen und setzte seine kindliche Betrachtung der Welt als Motor für seine unglaubliche Kreativität ein. Er war beispielsweise ein großer Fan von Disneys Märchenverfilmung „Schneewittchen“, die sein Denken und seine Vorstellungen stark beeinflusste. Immer wieder hat er den Zeichentrickfilm im Kino gesehen, sich dabei amüsiert aber auch seinen tieferen Bedeutungszusammenhang zu verstehen gesucht. Wie ein Leitmotiv zieht sich das Symbol des Apfels durch sein Leben und das tödliche Cyankali hortet er schon früh wie ein Rettungsanker in einem Suppenteller in seiner Wohnung. „Tauch‘ den Apfel hierhinein und der Tod wird in ihm sein“, wird zu einer Art Mantra in seinem Leben.

Die Turing-Maschine

Florian Bender als der homosexuelle Freund  und Alessandro Scheuerer in der Rolle des Mathematikers Alan Turing in “Die Turing-Maschine” im Wolfgang Borchert Theater – Foto Klaus Lefebvre

Das Genie von Alan Turing wurde erst Jahrzehnte später gewürdigt. Seine historische Leistung lange verschwiegen. Sein persönliches Schicksal berührt einen als Zuschauer zutiefst. Dabei war Alan Turing der Schöpfer der legendären „Turing-Maschine“, mit der man komplizierteste Codes entschlüsseln kann. Turing war also einer der ersten modernen Hacker, der die digitale „Denke“ bereits voll verinnerlicht hatte. Ihm gelang es durch unglaubliche Beharrlichkeit und seinen Glauben an die Macht der Zahlen, den Enigma-Code der deutschen Wehrmacht zu knacken. Eigentlich war das eine historische Großtat, die kaum hoch genug eingeschätzt werden kann, zumal sie den Zweiten Weltkrieg vielleicht um Jahre verkürzen konnte und vermutlich Millionen Menschen vor dem Tod gerettet hat. Doch statt Anerkennung und öffentlicher Auszeichnung war er gezwungen ein zurückgezogenes, eher trauriges Leben im Verborgenen und am Rande der Gesellschaft zu führen.

Am Ende des Lebens: Alan Turing beißt in den vergifteten Apfel – Foto Klaus Lefebvre

Turing war zwar als Visionär und Tüftler der Mann zur rechten Stunde, als Mensch mit seinen Träumen, seinen Schrullen und seiner Homosexualität lebte er aber zur falschen Zeit. Homosexualität stand in Großbritannien zu jener Zeit unter Strafe – übrigens in Deutschland bis in unsere jüngere Vergangenheit auch. Aufgrund seiner Homosexualität wurde er zu einer chemischen Kastration verurteilt. Die Alternative: Jahre im Gefängnis schlug er aus, weil er dort nicht hätte weiterforschen können.

Durch die menschenunwürdige Hormonbehandlung wurde Turing schließlich depressiv. Trauriger kann man ein großes Leben nicht beenden – Alan Turing beging 1954 mit nur 42 Jahren Selbstmord. Erst im Jahre 2013 (!) sprach Königin Elisabeth II. postum ein „Royal Pardon“ aus. Und im Frühjahr dieses Jahres erschien auf der neuen 50-Pfund-Note das Konterfei des berühmten Mathematikers. Normalerweise weht vom Dach der britischen Notenbank der Union Jack. Nicht so am Tag der Herausgabe dieser neuen Banknote: Die Bank of England hatte statt der britischen Nationalflagge die Regenbogenfahne gehisst. Eine späte Rehabilitation und Würdigung, von der Turing leider nichts mehr mitbekommen hat. „Die Turing-Maschine“ im Wolfgang Borchert Theater muss man gesehen haben! (Jörg Bockow)

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