Borchert Theater: Kwant gegen Kant

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Die Zukunft hat längst begonnen: Alexa, Siri und Cortana lesen uns unsere Wünsche von den Lippen ab, kaum haben wir den Mund aufgemacht. Die Sprachassistenten sind Spielzeug, Erfüllungsgehilfe und Aufzeichnungsgerät in einem. Alles, was wir äußern wird gnadenlos gespeichert, Fragen werden unmittelbar beantwortet und Aufträge prompt erledigt. Im Hintergrund wird alles festgehalten und verarbeitet. Die Sprachassistenten sind Teil der großen Datenkrake Big Data, die Rohdaten sammelt, die immer und immer wieder mit neue Algorithmen durchsucht und verarbeitet werden können. Das ist kein Blick in die „schöne neue Welt“, sondern das ist längst nüchterne Realität. Die Sprachassistenten tun ihre Arbeit und sie sind Anfang von etwas, dessen Auswirkungen wir nicht kennen. Aber wir können sie uns ausmalen und vorstellen.

“Die Mitwisser” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Ivana Langmajer – Foto: Klaus Lefebvre

Wie wäre es, wenn uns tatsächlich dienstbare Geister umgäben, die uns nicht nur alles von den Lippen ablesen, sondern im realen Leben für uns alles erledigen? Roboter sind ein lange gehegter Traum der Menschen. Den Pflegeroboter gibt es bald. Selbstfahrende Auto werden schon ausprobiert. Die Roboter in den Maschinenhallen der Autoindustrie tun längst ihre Arbeit. Sie vernichten Arbeitsplätze en gros. Toll, man muss sich nicht mehr die Hände schmutzig machen, die dienstbaren Geister sind schon zur Stelle. Doch diese düstere Vorahnung könnte in einem Horrorszenario münden oder in jener Idiotie, die uns Autor Philipp Löhle in seinem Stück „Die Mitwisser“ vor Augen hält.

“Die Mitwisser” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Heiko Grosche, Rosana Cleve und Florian Bender – Foto: Klaus Lefebvre

Der Autor lässt die Entwicklung der Digitalisierung zu einer absurden Farce zusammenschnurren. Das Wolfgang Borchert Theater hat das Stück in dieser Spielzeit auf dem Plan. Das verspricht einen amüsanten Abend, bei dem den Zuschauern mehr als einmal das Lachen im Halse stecken bleibt. Haben wir noch genügend Zeit, die Zeit anzuhalten und um unsere Freiheit und Menschlichkeit zu kämpfen. Auf dem Plan steht: Kwant gegen Kant.

“Die Mitwisser” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Jürgen Lorenzen und Ivana Langmajer – Foto: Klaus Lefebvre

Theo Glass ist ein Spielkind wie es heuer ganz viele gibt. Immer das Smartphone in der Hand. Sie setzen auf alle Errungenschaften der elektronischen Technik. Smarte Assistenten steuern die Haustechnik, das Navigationsgerät weist im Auto den rechten Weg. Theo hat sich einen Kwant zugelegt. Kwant mit dem Namen “Josef K.” (frei nach Franz Kafka!) ist ein ebenso fleißiger wie lernfähiger Assistent wie er im Buche steht und natürlich mit “Künstlicher Intelligenz” begabt: Butler und Zauberlehrling in einem. Auf dem Kopf trägt er als Erkennungszeichen eine schwarze Melone. Nur ein Wort und schon ist der freundliche Kwant zur Stelle. Er kann Kaffee machen und weiß gleichzeitig, wo es die beste Kaffeemaschine zu kaufen gibt – und bestellen kann er sie bei Amazon, Zalando oder wem auch immer auch gleich. Als Theo ihn mit zur Arbeit nimmt entpuppt sich Kwant als allwissender Redakteur. Die Arbeit als Enzyklopädist beim Internationalen Institut des allgemeinen Wissens geht ihm fortan ganz einfach von der Hand, weil Kwant ihm die richtigen Texte und alle Informationen souffliert. Dass er sich damit auch sein Grab als Arbeitskraft schaufelt, wird ihm erst klar als es längst zu spät ist. Das Institut des allgemeinen Wissens wird von mehreren Kwants übernommen. Wie praktisch, dann gibt es keine Fehler mehr. Alles wird „kwantifiziert“.

Alle Kwants dieser Welt zusammen: “Die Mitwisser” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater – Foto: Klaus Lefebvre

Ungemach droht Theo in seiner Beziehung, denn Anna ist längst nicht so begeistert vom elektronisch gesteuerten Butler wie Theo. Jedenfalls anfänglich. Denn schließlich wird auch sie bekehrt und von den scheinbaren Vorteilen überzeugt. Plötzlich hat sie einen Kwant an ihrer Seite. Er avanciert zum perfekten Lebenspartner wie man ihn sich nicht ausmalen könnte. Dem Kwant gehört die Welt – bis die Kwants alles und alle beherrschen und die Menschen nur noch die Erfüllungsgehilfen der digitalen Herrscher sind. Gegen „Big Brother“ wird es immer schwer sich seiner Freiheit zu behaupten. Individualität und Autonomie sind keine Optionen mehr. Sie sind nur der Sand im funktionierenden Getriebe.

“Die Mitwisser” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Johannes Langer, Ivana Langmajer und Florian Bender – Foto: Klaus Lefebvre

Als Theo Glass zu Bewusstsein kommt, ist es zu spät. Längst ist er entlassen, seine Frau hat sich von ihm getrennt, er ist zum mittellosen Stadtstreicher geworden, der vor den Kwants auf der Flucht ist. Ein letztes Aufbegehren führt in ein Fernsehstudio, wo er vor laufender Kamera seine Erkenntnisse verbreiten und die Menschen warnen will. Selbstverständlich ist der Sender längst in der Hand der Kwants. Seine Zweifel kommen nicht an, draußen verhallen seine Warnungen ungehört, weil sich doch in Wirklichkeit niemand fürchtet. Wir alle haben doch gar nichts zu verbergen – aber alles zu verlieren.

Die nächste bitte rechts: In “Die Mitwisser” von Philipp Löhle im Wolfgang Borchert Theater mit Jürgen Lorenzen und Florian Bender – Foto: Klaus Lefebvre

Monika Hess-Zanger hat das Stück von Philipp Löhle als eine kabarettistische Nummernrevue inszeniert. Nach jedem Gag folgt ein Blackout, der zum Nachdenken reicht und kleine Widerhaken setzt. Die Pointen purzeln nur so von der Bühne. Das Ensemble agiert mit so großer Spielfreude, dass es eine reine Freude ist. Der größte Haken an dem Stück ist: Alle wissen um die Bedrohung, doch niemand tut etwas. Die Frage ist, ob man um seiner Autonomie und Freiheit Willen, auf die elektronischen Helferlein verzichten mag? Johann Wolfgang von Goethes Ballade “Der Zauberlehrling” ist allgegenwärtig. (Jörg Bockow)

Nächste Vorstellung am: 4. Mai 2019 um 20 Uhr.

Wolfgang Borchert Theater / Am Mittelhafen 10 / 48155 Münster

Tickets 0251 – 40019

www.wolfgang-borchert-theater.de

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