Steinreiches Westfalen

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Das Felsenmeer bei Hemer ist direkt vom Sauerlandpark aus zu erreichen; Foto: Märkischer Kreis/ Hendrik Klein

Ungewöhnliche, steil aufragende Felsformationen haben es den Menschen von alters her angetan. Welche Orte eignen sich besser für geheimnisvolle Geschichten, für unheimliche Begegnungen, für sagenhafte Erscheinungen? Selbst Annette von Droste-Hülshoff war einigermaßen angetan, als sie durchs wildromantische Hönnetal wanderte.

Ganz im Norden Westfalens, zwischen Ibbenbüren und Tecklenburg, liegen die Dörenther Klippen. Die frei stehenden, bis zu 40 Meter hohen Felsformationen bestehen aus kreidezeitlichem Sandstein und sind vor etwa 120 Millionen Jahren entstanden. Seit 2003 ist ein fast 60 Hektar großes Gebiet rund um die Dörenther Klippen als großes Naturschutzgebiet ausgewiesen.

Bekanntester Fels ist das „Hockende Weib“, ein Felsgebilde im westnordwestlichen Abschnitt der Klippenkette, das in der Tat einer hockenden Frau ähnelt. Mit ihr verbindet sich, wie könnte es anders sein, eine Sage: In grauer Vorzeit soll an dieser Stelle eine Frau zu Stein geworden sein, nachdem sie ihre Kinder gerettet hatte. Sie soll als Mutter mehrerer Kinder in der Nähe der Klippen gelebt haben. Damals sollen die Meeresfluten häufig bis an die Berge gereicht haben. Einmal stiegen die Fluten ungewöhnlich schnell und hoch – die Mutter rettete ihre Kinder auf ihren Schultern und wurde anschließend zu Stein. Sagen sind nicht immer lebensnah, denn wie sollen die Kinder allein ohne Mutter überlebt haben? Vielleicht hat ihr Vater sie aufgezogen? Wer weiß das schon …

Das um 1150 entstandene Kreuzabnahmerelief an den Externsteinen ist ein Kunstwerk von europäischem Rang; Foto: Peter Kracht

In Hemer wartet das eindrucksvolle Felsenmeer auf den Besucher. Es ist durch Naturgewalten entstanden – aber auch durch menschliches Zutun: Schon um 1000 n. Chr. sollen Menschen hier nach Erzen gegraben haben. Das Felsenmeer liegt direkt neben dem Sauerlandpark und über einen Holzsteg taucht der Besucher in die Vergangenheit ein. Natürlich gibt es hier auch eine Sage, die einige „Riesen-Leben“ forderte.

Die Sage erzählt, dass sich im heutigen Gebiet um den Sundwiger Wald und damit im heutigen Felsenmeer in grauer Vorzeit Zwerge niedergelassen hatten. Unter den Felsen suchten sie nach Gold, Silber, Edelsteinen und was es sonst noch Wertvolles auszugraben gab. Chef des Zwergenvolkes war der berühmte Zwergenkönig Alberich, der wohl emsig Schätze gehortet hatte.

Doch: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt!“ In diesem Fall war es eine Horde wilder Riesen, die sich dachte, hier leichte Beute zu machen. Doch weit gefehlt: Als die Riesen zum Sturm auf die Felsenburg der Zwerge ansetzten, kamen sie aufgrund ihrer Größe nur bis in die große Festhalle – die Schätze waren noch weit weg und unerreichbar. Die Zwerge hatten sich in den hinteren Winkel ihrer Burg zurückgezogen und Alberich, nicht nur Chef, sondern auch des Zauberns kundig, sprach angesichts der akuten Bedrohung ein paar zauberhafte Worte und die Decke stürzte über den Riesen zusammen. Das war das Ende des riesigen Frevels – und die Geburtsstunde des Felsenmeeres …

Nicht weit entfernt, zwischen Menden und Balve, verläuft das enge Hönnetal. Durch das Tal fließt die Hönne – aber nicht immer oberirdisch: Das wildromantische Tal zählt zu den bedeutenden Karstgebieten in Deutschland. Hier finden sich mehrere, von Mensch und Tier genutzte Höhlen aus der Frühzeit und genau durch das Tal verlief jahrhundertelang die Grenze zwischen dem (katholischen) Kurköln und der protestantischen Grafschaft Mark. Im Hönnetal und in der direkten Umgebung werden schon seit dem 19. Jahrhundert größere Kalksteinbrüche betrieben. Neben der heutigen Bundesstraße, die durch das enge, dunkle Tal unterhalb der Burg Klusenstein führt, gibt es seit 1912 die Hönnetalbahn, die von Unna nach Neuenrade fährt.

Das “Hockende Weib” ist der bekannteste Fels der Dörenther Klippen; Foto: Münsterland e.V

Westfalens große Dichterin Annette von Droste-Hülshoff und ihre Reisebegleiter waren sichtlich beeindruckt, als sie 1841 hier Station machten: „Es ist eine romantische Wanderschaft; das Tal klemmt sich immer wilder und düsterer endlich zur engen Schlucht zusammen; die schmale Hönne rauscht pfeilschnell unten über kantige Felsbrocken, aufbrodelnd und Streichwellen über den Fußweg schleudernd, bis endlich aus tiefem Kessel uns das Gebrause und Schäumen einer Mühle entgegen stürmen. Hier ist die Fährlichkeit überwunden, eine kühne und kuppige Felswand springt vor uns auf, drüben ragen die Ringmauern und Trümmer einer alten Burg, aus der ein neues Wohnhaus wie ein wohlhäbiger Pächter einer alten Ritterherrlichkeit hervorlugt“, heißt es in dem bekannten Buch „Das malerische und romantische Westphalen“ über die Felsformationen.

Im alten „Fürstenthum Lippe“ wartet ein weiteres Natur- und Kulturdenkmal, das die Menschen seit jeher fasziniert: die Externsteine bei Horn-Bad Meinberg, um die sich so manche Sage, Erzählung und Vision rankt. Bis zu 40 Meter ragen die charakteristischen Felsformationen in die Höhe. Im Zuge der Gebirgsbildung vor etwa 70 Millionen Jahren wurde der ursprünglich flach lagernde Sandstein im Bereich des Teutoburger Waldes senkrecht aufgepresst. Das umgebende Material erodierte – nur die wild zerklüftete Felsformation blieb stehen. Die Nutzung der Externsteine in der Geschichte ist bis heute umstritten: Fachhistoriker wie Heimatforscher „beharken“ sich seit Jahrzehnten, ohne dass sich neues Wissen auftäte. So gibt es etliche Theorien: Einst sollen die Externsteine ein heidnischer Platz gewesen sein, der dann christlich überformt wurde. Das müsste im frühen Mittelalter passiert sein. Andere Forscher vermuten, dass hier die siegreichen Germanen nach der Varusschlacht gefangen genommene römische Offiziere den Göttern geopfert hätten. Auch soll es sich um ein frühes Observatorium oder einen Kalender gehandelt haben. Allein: Archäologische „Belege“ gibt es dafür nicht.

Das kunsthistorisch wichtigste „Exponat“ ist das Kreuzabnahmerelief, das nach allgemein anerkannter Lehrmeinung um 1150 geschaffen wurde. Es ist in seiner Art einmalig und ohne Zweifel ein Kunstwerk von europäischem Rang. Außerdem finden sich künstliche Grotten, eine Kuppelgrotte, ein offenes Felsengrab und die Höhenkammer mit einer (möglichen) Altarnische. All dies trägt zu der Deutung bei, dass es sich bei der Anlage um die im Hochmittelalter nachgebildeten heiligen Stätten Jerusalems handeln könnte.

Der Tourismus entdeckte früh die Externsteine, aber auch andere Gruppierungen, esoterische Kreise wie rechte Kameradschaften trafen sich bis in die jüngste Vergangenheit an den Steinen. Durch die Öffnung in der Mitte der Felsgruppe verlief übrigens einige Jahre die Fernverkehrsstraße Nr. 1 (Aachen-Königsberg), die spätere Reichsstraße 1 – und von 1912 bis 1935 verkehrte eine Überlandstraßenbahn von Paderborn über Horn nach Detmold, die bei den Felsen eine Haltestelle hatte.

Ein schmaler Pfad führt auf den 45 Meter hohen Feldstein der Bruchhauser Steine; Foto: Peter Kracht

Etwa einen Kilometer nordöstlich von Olsberg-Bruchhausen erhebt sich der 727 Meter hohe Istenberg. Die Höhe ist nichts gegen den nur wenige Kilometer entfernten Langenberg (843 Meter), aber grandios ragen vier große Porphyrfelsen in den Sauerländer Himmel: Der südlichste Fels mit dem Gipfelkreuz ist der Feldstein (45 Meter), im Nordwesten liegt der Ravenstein (72 Meter), im Norden der tiefstgelegene Bornstein (92 Meter) und benachbart im Osten der Goldstein (60 Meter). Entstanden sind sie vor etwa 370 Millionen Jahren – und sie sind Reste von Vulkanismus.

Das Gebiet der Vulkanfelsen ist ein riesiges Naturschutzgebiet. Hier wachsen Pflanzen, die ein botanisches Kleinod internationalen Ranges darstellen. Daher wurden die Bruchhauser Steinen auch im Jahr 2017 vom NRW-Umweltministerium zum „Nationales Naturmonument” erhoben, das erste in Nordrhein-Westfalen und erst das zweite in der Bundesrepublik überhaupt!

Die Felsformationen sind aber noch mehr als nur die vier riesigen Vulkanfelsen aus dem Erdaltertum. Hier finden sich Zeugnisse von Menschen aus der Eisenzeit um 500 Jahre v. Chr. Bei Grabungen wurden mehrere Wallanlagen entdeckt – die viele Fragen aufwarfen, die bis heute nicht beantwortet sind: Wer hat die Wälle gebaut und warum? Wer oder was sollte von ihnen geschützt werden? Auch das Geheimnis um die Wällte trägt dazu bei, die Bruchhauser Steine zu einem ganz besonderen Ort mit einer eindrucksvollen Atmosphäre zu machen. Viele Mythen ranken sich um die vier majestätischen Felsen, etliche Theorien über frühere Bewohner wurden schon zu Papier gebracht, doch die Felsen behalten ihr Geheimnis weiterhin für sich, so manche Frage muss deshalb offen bleiben – und das ist gut so!

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