Münster – Neue Arbeiten des Künstlers Ralf Schindler präsentiert die Ausstellung „Farben, Formen und Strukturen“ in der Raphaelsklinik in Münster. Viele der im Klinik-Foyer ausgestellten Kunstwerke sind noch nirgends gezeigt worden, sie erblicken gewissermaßen gerade erst das Licht der Welt.
Die Vernissage im Foyer der Klinik fand am 29. September in Anwesenheit des Künstlers Ralf Schindler statt. Musikalisch begleitet wurde die Vernissage durch Jürgen Prasse (Saxophon) und Joachim Puppa (Flügel).
Anregungen für seine meist großformatigen Arbeiten findet Ralf Schindler an Orten, wo heute keiner mehr hingeht: Vorzugsweise verlassene Industrieanlagen und vorrottende Gemäuer. Inspirationen findet er bei ausrangierten Gegenständen, die heute keiner mehr haben möchte: Dank ihrer Verwitterung haben alte Gemäuer und alte Gegenstände eine ganz eigene Aura. Ihre Patina erzählt ganz eigene Geschichten. Ganz ähnlich wie bei Antiquitäten, die wir lieben, weil sie von Geschichte erzählen.
Die Raphaelsklinik wurde am 10. Juli 1908 unter der Trägerschaft der Clemensschwestern in unmittelbarer Nähe ihres Mutterhauses, dem Clemenskloster eröffnet. Sie besaßen zu jener Zeit bereits etwa 100 Jahre Erfahrung in der Krankenpflege, arbeiteten jedoch unter fremder Regie in unterschiedlichen Einrichtungen. Mit der Gründung der Klinik konnten sie somit erstmals ihr Wissen in einem eigenen Krankenhaus anwenden. Seit einigen Jahren veranstaltet die heute zur Alexianer-Stiftung gehörende Raphaelsklinik, die zu einem der besten Krankenhäuser in Westfalen gehört, regelmäßig Kunstausstellungen im Eingangsbereich ihres denkmalgeschützten Hauptgebäudes aus den 20er Jahren. Unter anderem wurden hier schon Acrylfarbe-Bilder von Anja Helfen, Fotografien von Christoph Brandl, Tier-Gemälde von Annette Isfort, Bilder der Malerin Olga-Maria Klassen, quadratische Landschaftsgemälde von Rainald Papen, Cartoons von Jörg Hartmann und Tierbilder von Dieter Schiele gezeigt. Auch Lesungen zum Beispiel mit dem Kabarettisten Christoph Tiemann finden in dem Innenstadt-Krankenhaus zwischen den belebten Einkaufstraßen Salzstraße und Ludgeristraße regelmäßig statt. Das Kunstprogramm im Krankenhaus wird nicht nur von externen Besuchern gerne als Ergänzung zum Shopping-Besuch in Münsters Innenstadt genutzt, sondern ist auch für die Beschäftigten und vor allem die Patienten in der Raffaelsklinik eine echte Bereicherung des Klinik-Lebens, die auch in medizinischer Hinsicht positive Effekte hat.
Verwitterte und ramponierte Oberflächen greift Schindler in seinen abstrakten Arbeiten auf. Dabei lässt er sich auf ein Abenteuer ein. Selbstverständlich hat er eine Bildidee und eine Konzeption im Kopf, bevor er mit seiner Arbeit beginnt, aber irgendwann zwingt das Material zum Experimentieren. Denn ab einem bestimmten Zeitpunkt werden die künstlerische Bearbeitung und der kreative Prozess rein intuitiv.
Am Ende des mitunter tagelangen Arbeitsprozesses steht dann ein Ergebnis, das ihn selbst fasziniert und begeistert. In seinen teilweise plastisch angelegten Bildern scheinen sich Geschichten und Geschichte zu verbergen, zeichnet sich Vergänglichkeit ab. Eine Metamorphose hat stattgefunden.
Manche seiner Gemälde scheinen so als habe der Künstler einfach ein Stück Mauerwerk mit einer Flex aus einem alten Gebäude oder einer verlassenen Industrieanlage herausgesägt. Solch ein Stück erinnert einen als Betrachter an den morbiden Charme einer ehemaligen Zechenanlage, eines längst stillgelegten Stahlwerkes oder an eine längst verlassene Industrieanlage. Wer heute im Ruhrgebiet auf dem Gelände der Zeche Zollverein oder in der Jahrhunderthalle Bochum oder im Landschaftpark in Duisburg, eben zwischen den übriggebliebenen Gebäuden und Anlagen einer überkommenen Industriekultur unterwegs ist, der kennt solche Bilder und Ansichten, Szenen und „Kulissen“. Sie entfalten eine ganz eigentümliche und faszinierende Ästhetik.
Die von Schindler auf Leinwand aufgebauten Bilder und Halbreliefs tun so als seien es „ready mades“. Doch jedes Detail auf der Leinwand trägt die Handschrift des Künstlers. Es sind gestaltete Bilder, die bei aller Spannung ästhetisch geordnet erscheinen. Der künstlich aufgebrachte Putz wird im Verlauf der Arbeit bewusst angekratzt, geschmirgelt, aufgeraut und aufgebrochen, als sei er mit irgendwelchen Werkzeugen und Gerätschaften verletzt worden. An manchen Stellen ist der Anstrich aufgeplatzt und schorfig wie die Schuppen einer urzeitlichen Echse.
Ralf Schindler ist ein Meister darin, Spuren der Vergänglichkeit nachzubilden und den Verfall zu imitieren. Angefangen hat er als Künstler vor einigen Jahren mit Seminaren, bei denen er gelernt hat wie man mit Farben das Farbspiel von Rost nachbildet. Damit war bei ihm der Keim gelegt. Mit seinen Fähigkeiten und seiner Erfahrung wäre er vermutlich ein gefragter Mitarbeiter in einem archäologischen Museum oder als Ausstatter und Bühnenbildner beim Film, also an jenen Stellen, wo es darum geht, Kulissen und Modelle wie echt aus einem vergangenen Jahrhundert aussehen zu lassen.
Der Künstler ist oft mit seiner Kamera unterwegs, um Motive zu finden und zu sichern. Ihn interessieren Strukturen und Zeichen der Zeit, die der Zufall hinterlassen hat. Ein Stück Mauerwerk beispielsweise, aus dem ein rostiger Anker oder eine verrottende Armierung herausgucken.
Mit Akribie werden einzelne Elemente daheim im Atelier nachgebildet und herausgearbeitet. Rund die Hälfte eines Kunstwerkes ist von Ralf Schindler vorgedacht, gesteuert und gewollt. Dann allerdings kommt eine Portion Zufall hinzu. Der Künstler wird zum Experimentator. Schindler arbeitet mit der Entdeckerfreude und Experimentierlust, die in früheren Zeiten die Alchemisten bewegt haben. Da werden Materialien miteinander kombiniert und gemischt, um neue Effekte auszuprobieren. Feuchter Mörtel wird schon mal geföhnt, damit durch die Temperaturunterschiede Risse, Schrunden und Wunden, also Zeichen der Vergänglichkeit entstehen. In letzter Zeit arbeitet Schindler gerne mit Bitumen, einem Werkstoff, der sicherlich nur von wenigen Künstlern eingesetzt wird.
„Ich mag die grobe, natürliche Struktur!“, sagt Ralf Schindler. „Mir geht es nicht darum, mit Farbe eine Oberfläche zu gestalten. Vielmehr liebe ich das Experimentieren, das Gestalten und Entwickeln mit vielen, verschiedenen Materialien.“
Schindler hat mit den Jahren viele Erfahrungen gesammelt wie sich die Materialien, die er am liebsten einsetzt, miteinander verhalten. „Auf meinen Leinwänden verbinden sich Gesteinsmehle, Lehm, Sumpfkalk, Sande und Schiefersplitt mit Pigmenten, Öl und Kasein zu schroffen neuen Formen und Strukturen – mal mit großen Furchen, mal als kleine Rinnsale.“ Der Experimentierfreude sind offenbar keine Grenzen gesetzt. Immer wieder fallen Schindler neue Materialien in die Hände, die er in seinen Bildern verwendet und sich dann von dem Ergebnis überraschen lässt. Vor einiger Zeit hat er tiefschwarzen Kaffee als Farbe entdeckt und benutzt, um dann überrascht zu werden, wie bei einem weiteren Arbeitsschritt sich die „Farbe“ verändert und zu neuen Effekten führte. Übrigens hat dieses Kunstwerk noch tagelang nach Kaffee geduftet.
Wichtig ist für den Künstler, dass am Ende jedes Prozesses, Material und Farbpigmente eine beständige Verbindung eingehen. Daher setzt er spezielle Kleber und Binder ein, die nach einer gründlichen Trocknung nicht mehr abbrechen, rieseln oder bröckeln. Mit Sand, Steinmehlen oder auch schon mal Schiefersplitt stellt Ralf Schindler die Untergründe für seine abstrakten Bilder her. Natürlich muss dafür die Leinwand sorgfältig grundiert werden, damit die teilweise kiloschweren Arbeiten darauf dauerhaft haften bleiben.
Denn Schicht um Schicht legt er Spachtelmasse und Farblagen darüber, nur um die so entstandenen Farbflächen später wieder zu bearbeiten. Anschließend wird gekratzt, gebrochen oder geschliffen. Als Künstler bedient er sich ebenso oft eines Pinsels wie eines Spachtels. Dazwischen liegen Tage, in denen die Oberfläche durchtrocknen muss. Wenn Schindler nach einer solchen Pause seinem Werk erneut gegenübertritt, reagiert er spontan auf das, was sich ihm zeigt. Ein Dialog entsteht. Plötzlich weiß er, an welchen Stellen er weitermachen muss. Es ist eine assoziative und intuitive Arbeitsweise, ganz ähnlich wie die Künstler des „Informel“ bei ihren abstrakten Kunstwerken vorgegangen sind.
Ralf Schindler sagt: „In einem künstlerischen Prozess aus Zufällen und bewusst gesteuerten Eingriffen lasse ich Spuren von Vergehen und Vergänglichkeit wieder aufleben. Die so erschaffenen Werke erzählen uns geheimnisvolle Geschichten vom Werden und Verfallen und führen uns zu unseren Ursprüngen.“
Ralf Schindler wurde 1967 in Rhede / Westfalen geboren. Zwar hat er bereits als Jugendlicher Spaß am Malen und Zeichnen, aber seine Berufsausbildung ließ ihn erst einmal einen ganz anderen Weg einschlagen. Er wird Versicherungskaufmann und ist seit seinem Umzug nach Münster bis heute bei einer bekannten Münsteraner Versicherungsgesellschaft tätig.
Autodidaktische Studien bringen ihn wieder in Kontakt mit einem ursprünglichen Faible: der Malerei. Er wiederbelebt die Faszination, die seit seiner Jugend brach gelegen hat. Was zuerst als Hobby beginnt, wird mit der Zeit zu einer echten Leidenschaft. Sie bildet einen Gegenpol zu seiner Berufstätigkeit. Schindler ist Autodidakt. Ab dem Jahr 2009 entwickelt er seine künstlerischen Fähigkeiten durch intensive, weiterführende Studien sowie Seminare und Kunstworkshops an namhaften Kunstakademien weiter. Er besucht die Kunstakademie Bad Reichenhall, die Europäische Kunstakademie Trier und die Kunstfabrik Hannover. Außerdem macht er diverse Malreisen und absolviert Kurse, sowie zahlreiche Seminare an der privaten Kunstschule Musebrink in Essen, um seine künstlerische Ausdrucksweise und seine kreativen Fähigkeiten weiterzuentwickeln.
Seit zwei Jahren ist Ralf Schindler Mitglied der Künstlergemeinschaft pART96 e.V. in Münster. Bei einigen der vergangenen Ausstellungen der Gruppe ist er mit eigenen Arbeiten vertreten gewesen.
Fragt man den Künstler nach dem tieferen Sinn seiner Kunstwerke, nach einer Botschaft gar, dann erntet man einen irritierten und ratlosen Blick. Kunst ist für ihn eine Entdeckungsreise jenseits einer verstandesmäßigen Durchdringung der angekündigten Farben, Formen und Strukturen. Das Verständnis baut auf Wahrnehmung, Erleben und Empfindungen auf. Das ist die Überzeugung des Künstlers Ralf Schindler. Seine Arbeiten laden zum Entdecken ein. Auf diese Dimensionen seiner Kunst ist er besonders neugierig.
Raphaelsklink / Loerstraße 23 / 48143 Münster
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