Mindestlohn statt Aufstocker: Die FDP hat vergangenes Jahr bei der Bundestagswahl den Einzug ins Parlament verpasst. Jetzt kommt der flächendeckende Mindestlohn. Ein Sieg der Marktwirtschaft über die Bevormundung durch den Staat. Aufstocker, die Vollzeit im Niedriglohnsektor beschäftigt sind, atmen auf. Für sie besteht die Chance, ohne bürokratische Gängelung vom Lohn ihrer Arbeit leben zu können. Zur Sicherung ihres Existenzminimums müssen sie nicht mehr ins Jobcenter. Das ist ein richtiger Schritt, um das soziale Unwort aus dem Lebensalltag vieler Menschen und dem Sprachgebrauch zu verbannen.
Die Aufstockung von Niedriglöhnen aus öffentlichen Mitteln ist vertretbar, so lange dadurch die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Betrieben gestärkt wird, die Arbeitsplätze in Deutschland erhalten und sichern. Nicht hinnehmbar ist, dass bestimmte Branchen die Aufstocker-Subventionierung durch staatliche Transferleistungen bereits bei der Kalkulation ihrer Preise berücksichtigen, um im Binnenmarkt konkurrenzfähiger zu sein. Dadurch wird in zahlreichen Branchen eine Dumpinglohnspirale in Gang gesetzt, die fairen Wettbewerb verhindert. Am Ausbeutungs-Pranger stehen viele Friseure, Schlachtbetriebe, Taxiunternehmen, Gaststätten, Hotels, Wäschereien, Reinigungen, Kurierdienste und Kinos.
Wenn alle Marktteilnehmer den flächendeckenden Mindestlohn zahlen und kalkulieren müssten, würde Wettbewerbsgleichheit geschaffen. Bei fairen Löhnen in den Branchen verringert sich die Nachfrage nur marginal. Allerdings ist die Verlagerung von Arbeitsplätzen hin zu leistungsfähigeren Betrieben nicht ausgeschlossen. In diesem Sinne wäre die Lohnaufstockung längst ein Fall fürs Kartellamt gewesen. Denn die Idee der natürlichen Freiheit der gesellschaftlichen Ordnung von Adam Smith ist bei der Lohnfindung seit langem auf den Hund gekommen.
Die von Ludwig Erhard propagierte Soziale Marktwirtschaft ist seit Jahren auf dem Rückzug, obwohl sie 1990 im Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR als gemeinsame Wirtschaftsordnung festgeschrieben wurde. Das liegt einerseits an den globalisierten Märkten, andererseits fehlen verbindliche Leitlinien für die Entwicklung des Binnenmarktes. Der hinreichend hohe Mindestlohn ist ein Schritt in die richtige Richtung. Er senkt staatliche Sozialausgaben und stärkt die Binnennachfrage. Als Nächstes sollte der Schutz von Leiharbeitern und Scheinselbständigen auf der Agenda stehen.
Mit der FDP haben die Lobbyisten einen willfährigen Ansprechpartner für unternehmens- oder branchenbezogene Eingriffe in die Marktwirtschaft verloren. Jetzt müssen sich die Sachwalter von Sonderinteressen wieder auf ihre rhetorische Basis besinnen: Es ist ein Mensch in seines Geistes Bildung nicht weit gekommen, wenn er nicht für die schlechtesten Dinge die besten Argument hat.
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