Totentanz in Münster: Die Ansprache an das Publikum ist direkt und unverblümt: “Ich muss sterben. Du da – ja, du mit der Brille – musst sterben. Ihr alle müsst sterben.” Die Tänzerin tritt ans Mikrofon und spricht das aus, was jeder im Zuschauerraum weiß und viele doch so gerne verdrängen. Der Tanzabend “4 Feet Under” am Theater Münster hat den Tod zum Thema. Der Tod ist das Gegenteil zum Leben. Oder ist es vielleicht doch so, dass wir noch intensiver, besser, bewußter leben könnten, wenn wir uns unseres Todes bewußter würden?
In “4 Feet Under” geht die Choreographin Charlotta Öfverholm gemeinsam mit den Tänzerinnen und Tänzern der Kompanie am Theater Münster der Frage nach, was der Tod für uns bedeutet.
Unser Dasein ist so kurz und kostbar im Vergleich zur zeitlichen Existenz der Erde, dass diese Endlichkeit für viele Menschen nur schwer zu begreifen ist. Wie gehen wir im täglichen Leben mit dieser Vergänglichkeit um? Oder befassen wir uns erst gar nicht mit diesem Thema und genießen einfach das Leben?
Als physical theatre bezeichnet Charlotta Öfverholm ihren Totentanz, der sich neben der extrem kraftvollen Bewegungssprache durch eine Mischung von Tiefsinn, Ironie, Brutalität und Humor auszeichnet. Die Auseinandersetzung mit existentiellen Themen erlaubt dem Zuschauer eine starke Identifikation mit dem Geschehen auf der Bühne, ebenso wie sie den Tänzern die Möglichkeit bietet, ihre eigenen Geschichten, Erinnerungen und Bewegungen neu zu entdecken.
“4 Feet Under” ist eine Collage. Nicht bunt, sondern monochrom, dabei voller Angriffslust düster, bedrängend und bedrohlich. Videoprojektionen, Musikeinspielungen, ein Geräusch- und Tonteppich, Sprache und Bewegung lösen Emotionen aus, stellen Fragen, die das Publikum unvermittelt und direkt erreichen. Die Körpersprache ist dabei so unmittelbar und so archaisch wie es vielleicht nur Gerüche und Düfte sein können. Jenseits der Kontrolle durch den Kopf, lösen diese starke Gefühle aus.
Die Szenen handeln von der existenzialistischen Unausweichlichkeit des Sterbens, von unserer Angst vor dem Tod, von Mord und Totschlag und von der undurchdringlichen Finsternis nach dem Sterben. Es sind vor allem die Gruppentänze der 12 Tänzer und die bis ins Detail synchronisierten Bewegungen, die einem den ein oder anderen Schauer über den Rücken schicken. In Erinnerung bleiben auch jene Bewegungssequenzen und Szenen, in denen sich voller Angst und voller Mitgefühl Menschen aneinander schmiegen, um sich gegenseitig Geborgenheit und Schutz zu vermitteln.
Doch es geht in “4 Feet Under” nicht nur düster und bleiern-schwer zu, sondern in einigen absurden und geradezu verrückten Sequenzen springt den Zuschauer immer wieder das pure Leben an. Charlotta Öfverholm sagt dazu: “Neben traurigen und berührenden Szenen gibt es auch heitere und ironische Sequenzen. Gerade die Mischung aus Tiefsinn und Humor finde ich faszinierend.”
Viele starke Bilder bleiben am Ende hängen: Der Alptraum des Sterbens hat seine Choreographie. Das in schmerzhafter Zeitlupe gezeigte Sterben eines, der durch einen Schuss mitten aus dem Leben gerissen wird. Schmerz liegt dabei in jedem minutiösen Detail des Bewegungsablaufes. Oder das Schlussbild, in dem alle sich ihres Mantels und damit gewissermaßen ihrer sterblichen Hülle entledigen, um dann gemeinsam ins Nichts zu verschwinden. So endgültig dieser Weg, so hoffnungsvoll der Ausblick. Denn alle schreiten – gewissermaßen nackt und bloß – ins gleissende Licht. Das Premierenpublikum war begeistert: Standing ovations für die Choreographin und ihre Kompagnie, die bei dem Theater-Totentanz sanft und kraftvoll, artistisch und sensibel ihr Bestes gegeben hat.
“They say that every atom in our bodies, was once part of a star. Maybe I am not leaving. Maybe I am just going home”, zitiert Charlotta Öfverholm Vincent, Gattaca. Und so löst “4 Feet Under” das ein, was gewissermaßen zwischen den Zeilen immer wieder durchblitzt: Dieser Totentanz ist ein starkes Plädoyer fürs Leben. Sehenswert! (Jörg Bockow)
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