Spende statt eines Cocktails

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Westfalen – Darf man bis an die Schmerzgrenze von Klamauk und Kabarett gehen, wenn man einen moralisch gebotenen Zweck verfolgt?! Dürfen der Hunger und das Elend in Afrika Thema einer ebenso überdrehten wie nachdenklich machenden Satire sein?! Ja man darf und im Fall des Schauspiels “Benefiz. Jeder rettet einen Afrikaner” von Ingrid Lausund ist das auch noch mit Bravour gelungen. Da bleibt einem das Lachen im Halse stecken, und es rumort bedrohlich im eigenen schlechten Gewissen. Und was gut ist: Die Widerhaken dieses Abends sitzen tief im Fleisch. Theater kann doch Wirkungen erzeugen. Wie schön.

Foto: Ingo Kannenbäumer/WBT

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Das Borchert Theater in Münster hat das Stück “Benefiz. Jeder rettet einen Afrikaner” gerade neu inszeniert und mit einer hervorragenden Besetzung auf die Bühne gebracht.

Foto: Ingo Kannenbäumer/WBT

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Fünf engagierte Menschen proben eine lokale Chariy-Veranstaltung für ein afrikanisches Brunnenprojekt. Sie sind nicht gerade prominent – aber hoch motiviert. Und alles scheint sich direkt vor Ort in Münster abzuspielen. So wurde für die fiktive Veranstaltung sogar Lokalmatador Götz Alsmann angefragt, der hat aber abgesagt. Immerhin: “Sehr freundlich”. Also müssen nun alle Beteiligte selber ran. An Betroffenheit und Engagement bestehen keine Zweifel – oder vielleicht doch?!

TitelEin Stück im Stück. Die Zuschauer werden direkt einbezogen, werden zu Komplizen gemacht und am Ende moralisch in die Zange genommen, weil sie doch vorher sich so köstlich über manche Marotte, ja sogar über ihre eigenen Widersprüche haben lachen dürfen. Ungeschoren kommt niemand raus aus der Nummer – die fünf Protagonisten nicht und auch das Publikum nicht. Und das ist letztlich der besondere Clou des Stückes. Denn am Ende der Nummer wird es ernst. Die Schauspieler auf der Bühne stellen buchstäblich die Probe aufs Exempel: Wer hat denn nun im Auditorium die Botschaft verstanden und wer zückt tatsächlich seine Geldbörse? Der Anlass verdient es allemal.

Foto: Ingo Kannenbäumer/WBT

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Es soll bei der Benefiz-Veranstaltung, die gerade geprobt wird, darum gehen, Spendenbereitschaft zu wecken. Für ein ganz konkretes Projekt. Unterstützt werden soll ein Brunnenprojekt in Kenia. In Eletepesi, einem kleinen Dorf in einer der ärmsten Regionen des Landes fehlt es an sauberem Wasser. Wie aber funktioniert das: unterhaltsam über Not und Elend in Afrika reden? Sollte man noch einen “echten” Afrikaner engagieren, damit die Botschaft authentischer rüberkommt? Reden werden geprobt, Wirkungen analysiert, ein Diavortrag wird vorbereitet. Welche Bilder bieten sich an, welche gilt es unbedingt zu vermeiden? Mitunter kommt während der Probe echte Betroffenheit auf und droht, das Spiel der mehr oder weniger professionellen Akteure auszuhebeln.

Natürlich stellt sich unter den fünf Akteueren die Konkurrenzfrage: Wer steht gerade im Rampenlicht, und wer bekommt warum welche Rede- und Spielanteile? Wo bleibt bei allem Engagement die Kunst – und was macht eigentlich die Palme auf der Probebühne? Die fünf Benefiz-Akteure versuchen krampfhaft locker zu bleiben, schließlich soll alles professionell ablaufen. Und so verheddern sie sich heillos in Pauschalisierungen, Vorurteilen und anscheinend unvermeidlichen politisch-korrekten Vermeidungsstrategien. Die kleinkarierten Auseinandersetzungen, die da angezettelt werden, kennt man aus heillosen Diskussionen in politischen Gruppen jeder Coleur. Auch die emotionalen Ausbrüche, die mit Pauken und Trompeten inszeniert werden. Da geraten das politische Engagement und der gute Wille mitunter völlig aus den Fugen. Da wird die korrekte Wortwahl zu einem Popanz, der am Ende das verhindert, was alle eigentlich verbinden sollte.

Foto: Ingo Kannenbäumer/WBT

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Saskia Boden, Anuk Ens, Florian Bender, Sven Heiß und Jürgen Lorenzen reden sich buchstäblich um Kopf und Kragen. Alle füllen ihre Rollen mit immenser Spielfreude und bis in die feine Mimik perfekt aus. Anuk Ens als unterkühlte “Sexbombe” ist hinreissend, an ihr entzünden sich wunderbare Konflikte. Wenn sie während einer der Mitspieler gerade auftritt ihre Augenbrauen leise hochzieht, braucht es keinen Satz mehr. Toll! Und wenn Jürgen Lorenzen am Ende des Stückes zu seiner großen Philippika ansetzt, dann bleibt dem Publikum zu Recht die Spucke weg. Denn plötzlich sind die Zuschauer im Visier – und da helfen kein Lachen und kein Applaus mehr. Der flammende Appell an Barmherzigkeit und Menschlichkeit geht mitten ins Herz.

Foto: Ingo Kannenbäumer/WBT

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Die Regisseurin Tanja Weidner hat ihre Schauspieler ermuntert ihre Rollen nicht nur voll auszfüllen, sondern ein bisschen zu überdrehen. Das kommt wirklich gut und funktioniert, denn so bleibt bis zum letzten Moment eine Doppelbödigkeit, die den Zuschauer nicht einfach in Sicherheit wiegt und entläßt. Die Spendenbox, die am Ende auf das Geld der Zuschauer wartet ist echt. Das Brunnenprojekt im kenianischen Busch braucht dringend unsere Hilfe. (Jörg Bockow)

Wolfgang Borchert Theater / Hafenweg 6-8 / 48155 Münster
www.wbt-muenster.de

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