Münster – Das Tanztheater in Münster hat einen neuen Taktgeber und Vortänzer: Hans Henning Paar inszeniert modern, kraftvoll, dynamisch, mitunter recht sportiv und akrobatisch, und er streut zugleich noch eine Menge klassischer Einsprengsel ein. Das hat was. Auf jeden Fall inszeniert er völlig anders als sein Vorgänger am Theater Münster, der in sich gekehrte, stets zweifelnde und geheimnisvolle Daniel Goldin.
Hans Henning Paar hat mit seinem “Macbeth” seinen Hut in den Ring geworfen und mit einem Schlag sämtliche Abschiedstränen weggewischt. Oder waren es doch nur große, dicke Krokodilstränen?!
In den ersten Wochen nach Daniel Goldins letzter sehr selbstverliebter, teils anmaßender und ziemlich böser “Finissage” überwog in Münster die Skepsis gegenüber dem angekündigten Neuankömmling. Es wurden Gerüchte geschürt, dass mit der neuen Intendanz auch klassisches Ballett an den Städtischen Bühnen Einzug halten sollte. Die Titel “Schwanensee” und “Nussknacker” hingen wie rote Tücher in der Luft.
Doch der Einstieg von Choreograf und Regisseur Hans Henning Paar im Tanztheater Münster mit seiner getanzten Version des Königsdramas „Macbeth“ hat alle Unkenrufe Lügen gestraft. „Macbeth“ ist ein fulminanter Neubeginn für das Tanztheater Münster, überraschend zeitgenössisch und anders als alles Vorherige. Das macht Lust auf weitere Stücke. Das Münsteraner Publikum begrüßte den Neuen mit einem langanhaltenden stürmischen Applaus. Hans Henning Paar ist angekommen.
Der Münsteraner „Macbeth“ ist getanzte Tragödie, ein blutiges Drama ohne Worte mit viel moderner Musik und heftigen Bewegungen. Schon das ist eine Herausforderung. Schließlich ist der Stoff bekannt, an Personen und Ablauf nicht zu rütteln. Die Frage also: Auf was hat sich Hans Henning Paar kapriziert? Wo legt er seine Akzente?
Paar hat das Drama reduziert und verdichtet. Von 26 Szenen sind 14 übrig geblieben. Ihm geht es um die Verführung von “Macbeth” und den Wandel seiner Persönlichkeit. Eine der Schlüsselszenen ist der Tanz mit dem blanken Stahl, dessen Klinge schließlich wieder und wieder durch Kehle und Körper des Königs gleitet. Eindrucksvoller kann man Wahn und Wirklichkeit, Machtbesessenheit und Blutrausch nicht mehr ausdrücken.
Paar zeigt so plakativ wie eindrucksvoll wie durch die Einflüsterungen der Lady Macbeth und die missverständlichen Weissagungen der drei Hexen aus „Macbeth“ ein machtbesessener Herrscher wird. Er scheut sich um der Macht willen nicht vor einem feigen Meuchelmord seines Königs, setzt sich selbst die Krone auf, um anschließend sein Volk in sein tyrannisches und barbarisches Gefängnis zu sperren. An dieser Deformation der Persönlichkeit hat Lady Macbeth einen großen Anteil. Sie weckt die Geister, die sie und schließlich auch er nicht mehr los werden. Doch Freveltaten und Exzess rächen sich. Während seine einst willensstarke Frau an ihrer Schuld zugrunde geht und dem Wahnsinn verfällt, der sie schließlich zum Selbstmord drängt, vereinsamt und verzweifelt Macbeth zusehends.
Das Ende von „Macbeth“ ist vorgezeichnet – nicht erst durch den dramatischen Text von William Shakespeare – sondern der Erfahrung nach vom Lauf der Geschichte und vom Leben selbst. Sie nämlich richten früher oder später über alle Diktatoren. Ihr Schicksal ist vorherbestimmt. Kein Tyrann und kein Diktator stirbt glücklich und zufrieden. Das Ende von „Macbeth“ ist verdientermaßen einsam und grausam.
Hans Henning Paar spielt bewusst mit Assoziationen an die mörderischen Diktatoren unserer Tage. Wir erinnern uns an Schlächter wie Nicolae und Elena Ceauşescu, an Idi Amin, Robert Mugabe, Saddam Hussein, Muammar al-Gaddafi und an Baschar al-Assad, dessen unrühmliches Ende noch aussteht. Die Botschaft ist unmissverständlich, allerdings sie ist wohlfeil und tut niemandem weh.
Paar hat das Ganze auf großer Bühne inszeniert. „Macbeth“ ist kein Kammerspiel, sondern großes Theater. Da wirbeln, fliegen und stampfen die Tänzerinnen und Tänzer. Die meisten Szenen sind martialisch und gewalttätig, mitunter erinnern sie an Kampfsportarten wie Karate und Taekwondo.
Die Kulisse ist abstrakt und sparsam, aber entfaltet starke Wirkungen. Anna Siegrots hat ein faszinierendes Bühnenbild entworfen, indem sich eine Wand voller beweglicher Stangen vom Schnürboden auf die Bühne herabsenkt. Die Stangen bieten einen phantastischen Projektionsraum – mal symbolisieren sie die Weite einer Landschaft, dann einen Wald, den man vor lauter Bäumen (Stangen) nicht mehr sehen kann und schließlich die klaustrophobische Enge des Wahns und unvermeidlichen Untergangs. Eine grandiose Idee, die mit viel handwerklichem Geschick umgesetzt worden. Absehbar ist das Ende, bei dem „Macbeth“ unter den gigantischen Mikadostäben begraben wird. Sehr eindringlich!
Die Wirkung der Inszenierung entsteht aus dem kongenialen Zusammenspiel von überzeugenden Tänzern, einem höchst funktionalen Bühnenbild und einer Musik, die wie ein Klangteppich das Ganze untermalt. Die Musik kommt nicht vom Band, sondern wird live vom Sinfonieorchester gespielt. Es sind minimalistische Stücke von Xenakis, Julia Wolfe, Pärt und Phil Glass. Thorsten Schmid-Kapfenburg hat die schwierige Aufgabe, dem Stück seinen Rhythmus und sein Tempo zu verpassen.
Cornelius Mickel gibt die Titelrolle in all ihren Nuancen und Abstufungen des Charakters und der Deformationen seiner Persönlichkeit. Das ist stimmig und mitreißend. Die Japanerin Ako Nakanome ist eine kühle und berechnende Lady Macbeth. Wunderbar anzusehen. Sie ist von ihrer Tanztechnik her und ihrer eleganten, fernöstlich-geheimnisvollen Performance der Star der Aufführung. Wir sind schon jetzt gespannt, in welchen Rollen sie uns demnächst im Tanztheater Münster verzaubern wird. (Jörg Bockow)
Termine: 11. Januar 2013 um 19:30 Uhr im Kleinen Haus
Theater Münster / Neubrückenstr. 63 / 48143 Münster
Telefon 0251 – 59 09-0 www.theater-muenster.de
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