“Ledwina” das Manuskript der Annette von Droste-Hülshoff ist jetzt öffentlich zugänglich: Es handelt sich um die einzige erhaltene Handschrift des unvollendeten Romans “Ledwina”.
Das Droste-Forum e.V. hat das rund 200 Jahre alte Manuskript in Kooperation mit der Droste-Forschungsstelle bei der Literaturkommission für Westfalen aus Privatbesitz angekauft und stellt es auf Dauer dem Westfälischen Literaturarchiv im LWL-Archivamt zur Verfügung. Ermöglicht wurde der Ankauf durch die großzügige Förderung der Kulturstiftung der Länder, der Nordrhein-Westfalen-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege (die Teileigentum erwirbt) und der Kunststiftung NRW. Am Mittwoch (18.12.) hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) das Manuskript bei einem Festakt im Erbdrostenhof präsentiert.
Das Manuskript entstand wahrscheinlich zwischen 1820 und dem Winter 1825/1826. Annette von Droste-Hülshoff schildert darin die junge, von Krankheit gezeichnete Ledwina, die aus dem westfälischen Landadel stammt und als sensible, phantasievolle Persönlichkeit nach ihrem Ort im Leben sucht. Der Roman ist stark autobiographisch geprägt und registriert die Spannungen zwischen der traditionellen Gesellschaftsordnung und der beginnenden Moderne in einem Westfalen, das vor tiefgreifenden Veränderungen steht.
LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger dankte dem Droste-Forum und den Stiftungen für den Ankauf und die Leihgabe. “Annette von Droste-Hülshoff ist die bedeutendste deutschsprachige Dichterin des 19. Jahrhunderts. Das einzige existierende Manuskript ihres frühen Romans ‘Ledwina’ ist ein Kulturschatz, der weit über Westfalens Grenzen hinaus identitätsstiftend ist. Es ist das Werk einer jungen Schriftstellerin, der es schließlich gegen alle Widerstände gelang, in den männlich dominierten Kanon aufgenommen zu werden”, so Rüschoff-Parzinger. “Wir freuen uns, dass dieses Manuskript jetzt im Westfälischen Literaturarchiv gesichert wird, wo bereits der größte Teil von Drostes literarischem Nachlass liegt. Der LWL engagiert sich mit dem Westfälischen Literaturarchiv, der Droste-Forschungsstelle und dem Center for Literature auf Burg Hülshoff dafür, Münster weiter als Zentrum der Droste-Forschung und -Vermittlung zu profilieren.”
“Ledwina” ist ein zentraler Text für die Entwicklung von Drostes Schreiben, wie Dr. Jochen Grywatsch, Vorsitzender des Droste-Forums, betonte: “Droste erkundet in ‘Ledwina’ neue poetische Verfahren, die auf die Gesellschaftsromane des Realismus am Ende des 19. Jahrhunderts vorausweisen. So wird die Handlung immer wieder durch lange Gespräche im Familienkreis unterbrochen, ähnlich wie in den Romanen Theodor Fontanes, der sich übrigens bewundernd über ‘Ledwina’ äußerte.” Droste setze sich in ihrem Roman außerdem intensiv mit der Frage auseinander, wie weibliche Autorschaft in einer Gesellschaft möglich sei, die sich im Umbruch zur Moderne befindet. Seit der Frauenbewegung der 1970er Jahre werde “Ledwina” deshalb als Markstein in der weiblichen Literaturgeschichte in deutscher Sprache eingestuft.
Erst 1886 wurde “Ledwina” posthum gedruckt und seither mehrfach ediert, nach höchstem philologischem Standard in der Historisch-Kritischen Droste-Ausgabe (1978-2000). Das Manuskript umfasst 48 Seiten, von denen 40 beschrieben sind. “Die vielen Bearbeitungsspuren zeigen, wie intensiv Droste an ihrem Text gefeilt hat”, so Dr. Anke Kramer, Leiterin der Droste-Forschungsstelle bei der Literaturkommission. “Energische Streichungen, Überschreibungen, Ergänzungen und Korrekturen geben Einblick in Drostes Arbeitsprozesse.”
Das Manuskript ist nicht nur wegen Drostes berüchtigt kleiner Schrift schwer zu lesen. Feuchtigkeitsflecken, Risse und Tintenfraß machen es stellenweise unleserlich. Prof. Dr. Marcus Stumpf, Leiter des LWL-Archivamts, erklärte: “Der Erhaltungszustand des Manuskripts ist fragil. Das Westfälische Literaturarchiv im LWL-Archivamt bietet bestmögliche Bedingungen für seine Konservierung und, wo nötig, Restaurierung. Außerdem haben wir das Manuskript sofort nach seiner Ankunft im Archiv zur Sicherung digitalisiert und machen es in Kürze auf archive.nrw online für die internationale Öffentlichkeit zugänglich.”
Annette von Droste-Hülshoff hatte das Manuskript bei ihrem Tod 1848 auf der Meersburg bei sich, es wurde ihrem Meersburger Nachlass jedoch im frühen 20. Jahrhundert entnommen und gelangte in Privatbesitz. Durch den Ankauf kann “Ledwina” nun nach rund 100 Jahren in den Meersburger Nachlass zurückkehren, der seit 2018 als Dauerleihgabe der Staatsbibliothek Berlin im Westfälischen Literaturarchiv liegt.
Speak Your Mind