„Die Steilwand“ im Borchert Theater Münster

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„Die Steilwand (FitzRoy)“, eine psychologische Komödie aus der Feder des katalanischen Autors Jordi Galceran feierte in dieser Woche im Wolfgang Borchert Theater Münster ihre Premiere.

„Die Steilwand“ im Borchert Theater Münster

“Die Steilwand” im Wolfgang Borchert Theater Münster mit Ivana Langmajer, Erika Jell, Rosana Cleve und Iris Boss – Foto Tanja Weidner

„Die Steilwand (FitzRoy)“, die zweite Produktion in der neuen Spielzeit, ist die deutschsprachige Erstaufführung des Stückes und bietet einen unterhaltsamen Abend mit einigen überraschenden Wendungen.

Die Regie dieser amüsanten Hängepartie führte Intendant Meinhard Zanger mit sicherem Gespür für die spielerische Umsetzung der im Textbuch angelegten Pointen. Dabei kann er voll auf die Spielfreude seiner wieder aufs Neue ambitionierten Ensemblemitglieder Rosana Cleve, Ivana Langmajer und Erika Jell vertrauen. Sie werden von Gastschauspielerin Iris Boss in der Rolle der Psychologin, Autorin und Motivationstrainerin wundervoll ergänzt.

„Die Steilwand“ im Borchert Theater Münster

“Die Steilwand” im Wolfgang Borchert Theater Münster mit Ivana Langmajer und Erika Jell – Foto Tanja Weidner

Die vier Darstellerinnen entfalten die sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten differenziert und lassen so die Komödie zu einem Lehrstück werden, die eine ebenfalls mögliche Interpretation des Stückes als Boulevardposse weit hinter sich lässt. Auch wenn das Stück eigentlich in den luftigen Höhen von Patagonien spielt, Zanger inszeniert es als Kammerspiel und lässt die Expedition der vier Protagonisten in einem gruppendynamischen Experiment gipfeln, dessen Ende ebenso überraschend wie überzeugend ist.

„Die Steilwand“ im Borchert Theater Münster

“Die Steilwand” im Wolfgang Borchert Theater Münster mit Erika Jell – Foto Tanja Weidner

Alle Achtung – Kathi, Julia, Laura und Anna haben sich einen richtigen Brocken vorgenommen: Die vier erfahrenen Bergsteigerinnen wollen als erste Frauenseilschaft den legendären Fitz Roy besteigen und damit Bergsteigergeschichte schreiben. Der imposante Koloss ist ein 3406 Meter hoher Granitberg in den argentinisch-chilenischen Anden. Bis zu einem Plateau auf etwa 3.000 Metern haben sie es gemeinsam bereits geschafft. Vor ihnen liegt die letzte, allerdings auch schwierigste Etappe: Eine knapp 500 Meter hohe Steilwand, die sie in einem engen Zeitfenster erkraxeln müssen, denn die Wetterverhältnisse sind an diesem Bergmassiv immer wieder wechselhaft und sehr trügerisch. Die vier Bergsteigerinnen haben für den gefährlichen Aufstieg und den ebenso mühevollen Abstieg kaum 24 Stunden Zeit.

“Die Steilwand” im Wolfgang Borchert Theater Münster mit Iris Boss und Ivana Langmajer – Foto Tanja Weidner

Auf dem Hochplateau warten sie auf besseres Wetter und sie langweilen sich. Am liebsten wollen sie sofort aufbrechen, um den vor ihnen liegenden Gipfel zu erstürmen. Nervös kontrollieren sie immer wieder ihre Ausrüstung und schlürfen Tee. Mit Geschichten und derb-frivolen Satzergänzungsspielen vertreiben sie sich die Zeit, während Philip, der Mann von Anna (Ivana Langmajer) am Funkgerät die Wetterverhältnisse klärt und irgendwann dann tatsächlich zum Aufbruch bläst und grünes Licht gibt. Regisseur Meinhard Zanger leiht Philip seine Stimme.

“Die Steilwand” im Wolfgang Borchert Theater Münster mit Erika Jell und Rosana Cleve – Foto Tanja Weidner

Doch ehe es losgehen kann, bringt Julia (wunderbar differenziert gespielt von Erika Jell) die Gruppe in Not und löst eine Auseinandersetzung aus. Plötzlich treten bei Julia Schwindelanfälle auf und sie zeigt überraschende Probleme sich zu artikulieren. Die drei anderen sind alarmiert und werfen die Frage auf, ob sie der Anstrengung des Aufstiegs in der Steilwand gewachsen ist oder vielleicht sogar die ganze Gruppe in Gefahr bringt. Es geht um Leben und Tod. Es entspinnt sich eine heftige Diskussion um Verantwortung, Vertrauen und die unterschiedlichen Motive ihres Engagements. Wer hat das Vorrecht, den Fitz Roy zu bezwingen?

„Die Steilwand“ im Borchert Theater Münster

“Die Steilwand” im Wolfgang Borchert Theater Münster mit Erika Jell, Iris Boss, Rosana Cleve und Ivana Langmajer – Foto Tanja Weidner

Zusammen mit dem Funker Philip entscheidet Kathi als die verantwortliche Expeditionsleiterin, dass eine der drei Freundinnen Julia auf dem durchaus ebenfalls gefährlichen Weg hinunter begleiten soll und nur die verbleibenden zwei den finalen Aufstieg wagen. Doch wer soll mit Julia gehen und wer soll die letzte Herausforderung annehmen dürfen. Es entsteht eine explosive gruppendynamische Spannung, in der plötzlich ganz neue Konstellationen und Spannungen offenbar werden. Aus den Freundinnen werden im doppeldeutigem Sinne Rivalinnen.

Julia gesteht den anderen, dass nicht ein chinesischer Sponsor die Exkursion finanziert, sondern sie hinter dem Rücken der anderen ihr Sparbuch geplündert hat, um sich mit Hilfe ihrer Freundinnen gewissermaßen auf den letzten Metern einen langgehegten Lebenstraum zu erfüllen. Denn Julia eröffnet den Mitstreiterinnen eine bittere Wahrheit. Sie hat erste Anzeichen von Multiple Sklerose und bevor sie sich einer solchen Herausforderung nicht mehr stellen kann, will sie hinauf auf den Fitz Roy – auch um den Traum ihrer Eltern zu verwirklichen und ein Versprechen zu erfüllen.

Die Situation zwischen den Freundinnen spitzt sich zu – nicht zuletzt befeuert vom Funker Philip, denn der hatte mit Laura (Rosana Cleve) hinter dem Rücken seiner Frau Anna (Ivana Langmajer) eine Affäre. Diese überraschende Eröffnung führt die Gruppe in einen kaum lösbaren Konflikt, der das ganze Unternehmen droht zum Scheitern zu bringen. Julia erklärt zum Entsetzen der anderen, dass sie, selbst wenn dies ihr Leben kosten würde, den Aufstieg alleine wagen will. Dabei wird das verbleibende Zeitfenster immer enger….

Meinhard Zanger arbeitet in dieser Produktion wieder mit der russischen Bühnen- und Kostümbildnerin Olga Lageda zusammen, die zuletzt die Kostüme für das Open-Air-Spektakel „The Black Rider“ entwarf und seit 2017 regelmäßig am Haus Produktionen ausstattet, darunter „Heisenberg“ und „Mutter Courage und ihre Kinder“ sowie für die russisch-deutsche Koproduktion „Die Schroffensteins – Eine Familienschlacht“. Das wunderbar stilisierte, ja fast abstrakte Bühnenbild bietet der Phantasie viel Raum und ist zugleich Projektionsfläche für das Publikum. Denn bei dem Stück geht es nicht um eine naturalistische Umsetzung eines Bergsteigerdramas, sondern um die Innenwelt der Protagonisten und wie sie sich möglicherweise auf dem Höhepunkt der explosiven Gruppendynamik noch einmal neu erfinden und zu einer überraschenden Lösung kommen. „Die Steilwand (FitzRoy)“ ist eine klug angerichtete Komödie im beflügelnden Höhenrausch.  (Jörg Bockow)

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