Großartiger Neustart – das WBT spielt wieder

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Großartiger Neustart – das WBT spielt wieder: Verwundert reiben die Zuschauer sich die Augen. Endlich geht Theater wieder. Vielen erscheint es wie das überraschende Ende eines bösen Traums. Das Wolfgang Borchert Theater in Münster startet dank des hiesigen Modellprojektes mit „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ von Éric-Emmanuel Schmitt aus dem Lockdown.

Großartiger Neustart – das WBT spielt wieder

Großartiger Neustart: „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ von Éric-Emmanuel Schmitt mit Johannes Langer in einer Paraderolle – Foto Klaus Lefebvre

Die stark gefallenen Infektionszahlen in Münster machen es nach der sechsmonatigen Zwangspause endlich wieder möglich, den Spielbetrieb am Borchert Theater wieder aufzunehmen. Spontaneität war allerdings angesagt, den Startschuss gab es wie aus heiterem Himmel. Am vergangenen Donnerstag (20. Mai) ging der erste Teil der Premiere von „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ als großartiger Neustart mit 46 Zuschauern über die Bühne, am darauffolgenden Abend der zweite Teil. Die Premiere hätte nach dem ursprünglichen Spielplan für 2020/21 bereits im vergangenen Dezember über die Bühne gehen sollen.

An diesem Abend, dem großartigen Neustart, spürt man den Hunger nach Kultur auf beiden Seiten. Von der Bühne herunter schwappen Enthusiasmus und die Liebe zum Theater, zur beflügelnden Poesie, zum klingenden Wort, zum inspirierenden Gedanken, zum sensiblen Spiel und zur einfühlsamen Inszenierung. Vom ausgehungerten Publikum wird all das begeistert, dankbar und sehnsüchtig aufgesogen. Es taucht in ein wundervolles Gleichnis und fiebert mit dem Protagonisten Moses (Johannes Langer), der seine Geschichte erzählt. Endlich bekommen die grauen Zellen neues Futter. Am Ende gab es langanhaltenden, frenetischen Applaus – nicht alleine für die großartige Schauspielerleistungen, sondern auch für das Ende der dunklen Zeit.

Großartiger Neustart – das WBT spielt wieder

Großartiger Neustart: „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ von Éric-Emmanuel Schmitt mit Johannes Langer in einer Paraderolle – Foto Klaus Lefebvre

Dass „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ auf dem Programm steht, scheint wie ein Wink des Schicksals. Das Plädoyer für gegenseitige Toleranz könnte aktuell kaum passender sein. Im Nahen Osten sterben im neu entflammten Konflikt zwischen Palästina und Israel wieder Menschen. Bei uns und in vielen anderen westlichen Ländern zeigt der Antisemitismus seine widerwärtige Fratze und bricht Rassismus wie ein eitriges Geschwür auf. Anstatt sich gegenseitig zuzuhören und voneinander zu lernen wie es in der märchenhaften Geschichte Moses und Ibrahim tun, gehen Menschen mit Waffen aufeinander los, weil sie unterschiedliche Überzeugungen und Weltanschauungen nicht tolerieren können.

Chefdramaturgin Tanja Weidner hat das Solostück feinsinnig in einem inspirierenden Bühnenbild inszeniert. Sie vertraut ganz der poetischen Sprache und dem souveränen Spiel von Johannes Langer, der zum ersten Mal alleine einen ganzen Abend bestreitet und dabei in seinem Monolog höchst virtuos in die verschiedenen Rollen schlüpft (Moses, Ibrahim, Vater, Mutter und Prostituierte). Man ist als Zuschauer dabei wie ein junger Schauspieler hinaus ins Rampenlicht tritt und dabei in seiner Rolle über sich hinauswächst. Wundervoll und mitreißend wie Ensemble-Mitglied Langer mit der Sprache umgeht, den Worten Raum und Resonanz verleiht, feine Nuancen setzt, damit sie sich förmlich ins Ohr der Zuschauer hineinwinden. Man darf durchaus gespannt sein wie Johannes Langer nach dieser großartigen Leistung seine künftigen Rollen ausfüllen wird.

Großartiger Neustart – das WBT spielt wieder

Großartiger Neustart: „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ von Éric-Emmanuel Schmitt mit Johannes Langer in einer Paraderolle – Foto Klaus Lefebvre

„Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ ist ein Abend, der einen tief berührt und nachdenklich macht, der durch seine Poesie versöhnlich stimmt und sensibel entläßt. Wundervoll zu was Theater fähig ist! Anschließend möchte man verzaubert und beflügelt die Welt umarmen. Die Worte des Stückes hallen noch lange nach wie es ansonsten nur Musik vermag. Tanja Weidner erzählt im Programmheft, dass ihr während der Proben einmal mehr klar geworden sei, wie „die Suche nach etwas Göttlichem eine starke Antriebsfeder des menschlichen Daseins ist.“ Dabei habe sie einmal mehr gespürt, dass Theater einfach viel mehr als bloße Unterhaltung oder Zeitvertreib ist: „Theater ist für mich kein Freizeitbetrieb des bürgerlichen Publikums. Theater ist der Ort, in dem unsere Seele fliegen lernt und Heimat findet.“

„Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ von Éric-Emmanuel Schmitt ist eine berührende Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, zwei Welten, die zueinander finden und dazu an die Wurzeln des Islam führt.

Borchert Theater startet wieder in die Saison

Großartiger Neustart: „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ von Éric-Emmanuel Schmitt mit Johannes Langer in einer Paraderolle – Foto Klaus Lefebvre

Die Geschichte wird ganz aus der Perspektive von Moses, dem jüdischen Jungen (Johannes Langer) erzählt, den alle in der Pariser Rue Bleue nur Momo nennen. Neugierig erobert sich der Junge auf der Schwelle zum Erwachsenen-werden die Welt, stellt neugierige Fragen und lässt sich auf erste erotische Abenteuer mit einer jungen Prostituierten ein, die ihm beweisen sollen, dass er schon ein Mann ist.

Um das Geld dafür zusammen zu bekommen, beklaut er seinen Vater, bei dem er kaum beachtet und vernachlässigt in einer dunklen Wohnung lebt, seit seine Mutter vor Jahren einfach abgehauen ist. In seiner Straße in dem jüdischen Viertel lernt er den kurdischen, muslimischen Alten, Monsieur Ibrahim, kennen, den alle nur den „Araber“ nennen, weil dieser Tag und Nacht sowie an den Wochenenden seinen kleinen Krämerladen geöffnet hat. Ibrahim war schon immer da. Der seltsame Alte ist aus dem jüdischen Viertel nicht mehr wegzudenken. Als Momo auch etwas aus Monsieur Ibrahims Laden stehlen will, sieht er sich mit einer schwierigen Aufgabe konfrontiert – Monsieur Ibrahim scheint Gedanken lesen zu können. Er hat ihn durchschaut, was der Beginn einer wunderbaren Freundschaft und Beziehung wird.

Großartiges Gleichnis auf der Bühne

Großartiger Neustart: „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ von Éric-Emmanuel Schmitt mit Johannes Langer in einer Paraderolle – Foto Klaus Lefebvre

Moses und Ibrahim freunden sich an und der Jugendliche lernt eine völlig neue Welt kennen, voll Schönheit und Liebe. Monsieur Ibrahim entpuppt sich in den Gesprächen als ein echter Weiser und nimmt schließlich sogar die Rolle eines Vaters für Momo ein. Er begleitet ihn behutsam und mit großer Weisheit dabei, die Welt zu entdecken und Paris zu erkunden. Ibrahim befragt zu allen Fragen des Jungen seinen Koran. Den interpretiert er allerdings aus der philosophischen Perspektive des Sufismus. So gelesen steckt der Koran, jenseits aller orthodoxen oder extremistischen Lesart, voller Weisheit, ist nachdenklich und klug. Ibrahim steht mit seinem Koran für Weltoffenheit, Toleranz und Frieden. Für was kann man in diesen Zeiten nachdrücklicher eintreten?!

Mit  „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ führt das WBT die lange Geschichte der Inszenierungen eines Stoffes des französischen Autors Éric-Emmanuel Schmitt fort. Zuletzt wurde Schmitts „Zurück auf Anfang“ 2016 als Deutschsprachige Erstaufführung auf die Bühne gebracht. Schmitts Literaturvorlage ist ein beliebter Theaterstoff und wurde 2003 mit Omar Sharif verfilmt. Das Stück ist Teil einer Trilogie über die verbindende Spiritualität der großen Weltreligionen. (Jörg Bockow)

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