Johnson steckt im Seemannsgarn – sagt der Kiepenkerl

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Johnson steckt im Seemannsgarn: Der Kiepenkerl kommentiert die aktuelle Lage um Brexit und Corona in Großbritannien.

Johnson steckt im Seemannsgarn sagt der Kiepenkerl

Die Veränderungen zeichnen sich ab: Der Brexit bringt nicht die versprochenen positiven Entwicklungen – Boris Johnson ist längst der Lüge entlarvt und darf dennoch munter weitermachen – Foto Pixabay

„Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“ Das wusste bereits der griechische Philosoph Aristoteles. Nach diesem Motto hat der konservative Premierminister Boris Johnson 2019 in der Wahl die Labour-Party-Hochburgen geschleift und eine satte Mehrheit von 80 Sitzen für die Conservative Party im Unterhaus errungen.

Zum 1. Januar 2021 führte der „blonde Wischmopp“ das Land aus der EU. Er kündigte Milliardeninvestitionen an, um wirtschaftlich abgehängte Regionen auf das Niveau der boomenden Metropole London zu heben. Auch die Stärkung des maroden Gesundheitswesens stand ganz oben auf seiner Agenda. Nichts, so schien es, konnte ihn aufhalten,

Brexit und Fisch waren ein Begriffspaar, das die Medien des Vereinigten Königreichs mehr als vier Jahre beschäftigte. Der Streit um die Fischgründe wurde schließlich zum Streit ums Ganze. Johnson orakelte: Großbritannien werde „die Kontrolle über seine Gewässer zurückerobern“ und wieder ein „unabhängiger Küstenstaat“. Die Realität ab dem 1. Januar 2021 sieht anders aus, denn Johnson hat sich im seinem Seemannsgarn verfangen. Der Chef des Verbandes der Fischereiunternehmen sagte: „Wir stecken weiter in einer neokolonialen Abhängigkeit von der EU – und unsere Regierung ist dreist genug, das als Erfolg zu verkaufen.“

Johnson im Seemannsgarn verfangen

Versprochen ist versprochen: Der Premier bezeichnete das Referendum über den Brexit gern als Sternstunde der direkten Demokratie, als Rebellion der „kleinen Leute“ gegen die gesichtslose EU-Bürokratie – Foto Pixabay

Auch die Muschel- und Austernfischer wurden von den überbordenden Zollformalitäten zur Strecke gebracht. Ein Sprecher der Branche sagte: „Wenn ich mir Boris John Johnson anschaue, sehe ich nur einen Aufschneider und Lügner.“ Der hat für den hohlen Traum von alter Größe des „British Empire“ eine Branche geopfert.“

Der Premier bezeichnete das Referendum über den Brexit gern als Sternstunde der direkten Demokratie, als Rebellion der „kleinen Leute“ gegen die gesichtslose EU-Bürokratie. Doch in der Brexit-Praxis spielt der „Wille des Volkes“ keine Rolle, denn eine kleine Elite nutzt ihn für ihre Interessen. Der faire Deal zu Gunsten der Arbeiter stand nicht auf ihrer Agenda. In der Zeit nach dem Brexit werden die unteren sozialen Schichten im Königreich nicht mehr gebraucht.

Investigative Journalisten haben herausgefunden, dass eine kleine Gruppe gut vernetzter Geschäftsleute und Finanzinvestoren danach strebte, aus Großbritannien „eine Art Singapur des Westens“ zu machen. In dieser deregulierten Steueroase wollten sie ungehindert Finanzgeschäfte betreiben. Damit tut sich eine fundamentale Diskrepanz auf zwischen der politischen Elite, die für den Brexit ist, und den Menschen, die für den Brexit gestimmt haben. Schon bald wird sich zeigen, dass die Wähler durch Stimmenfang massiv hinters Licht geführt wurden.

Nach dem missglückten Brexit-Start und der Corona-Pandemie muss Johnson nun auch um die Einheit Großbritanniens kämpfen. Den Brexit hat er geliefert. Doch den größten Kampf seiner Amtszeit hat er noch vor sich: Er muss das Vereinigte Königreich zusammenhalten.

Corona und seine wirtschaftlichen Folgen sind noch nicht bekämpft, da steht in dem Land der nächste Showdown an: Bei den Wahlen in Schottland und Wales kann im Mai 2021 über den weiteren Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs entscheiden werden. In Schottland und Nordirland wächst die Unzufriedenheit mit der Regierung in London.

Bei den Wahlen zum schottischen Nationalparlament sagen Umfragen einen Erdrutschsieg der Scottish National Party (SNP) voraus, der zugleich eine Abrechnung mit dem ungeliebten Johnson wäre. Auch die Situation in Nordirland spitzt sich seit dem Brexit-Deal immer weiter zu. In den Supermärkten fehlen frische Lebensmittel aus der EU, und an den Häfen wurden wegen Gewaltdrohungen vorübergehend die Grenzkontrollen ausgesetzt. Es wird immer deutlicher, dass das Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU in Bezug auf Nordirland nur äußerst schwer umsetzbar ist.

Nordirland zählt faktisch weiter zum EU-Binnenmarkt, sodass Warentransporte aus dem übrigen Vereinigten Königreich nach Nordirland zum Teil kontrolliert werden müssen. Im Gegenzug gelten Lieferungen nach Großbritannien als Exporte aus der EU. Die Unaufrichtigkeit von Johnson über die Folgen des Brexit hat die Wut bei der probritischen Bevölkerung angefacht. Nach Jahren der Ruhe gibt es wieder gewalttätige Ausschreitungen.

Die britischen Exporteure hadern generell mit der neuen Bürokratie, die zu Lieferverzögerungen und erheblichen Kostensteigerungen führen. So sind die Exporte über den Ärmelkanal um über 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr eingebrochen. Auch London kommt als Bankmetropole nicht ungeschoren davon, denn viele wichtige Aktivitäten werden an europäische Finanzplätze oder in die USA verlagert. Und das Pfund hat über 20 Prozent an Wert verloren.

Johnson muss hoffen, dass sich die wirtschaftlichen Verluste durch den Brexit in Grenzen halten. Leere Supermarktregale in Teilen von Großbritannien und vergammelnder Fisch in britischen Häfen dürften für Johnson Horrorszenarien sein. Ihm bleibt nur die Hoffnung, dass mit einem Abflachen der Corona-Pandemie auch ein Aufschwung der britischen Wirtschaft einhergeht. Gelingt beides, könnte Jonson in die nächste Wahl als der Mann von Bord gehen, der den Brexit lieferte, Corona in Großbritannien besiegte und das Königreich vor dem Zerfall bewahrte.

Auch wenn viele Briten Boris Johnson inzwischen als Regierungschef für ungeeignet halten, könnte ihm eine spezielle Fähigkeit helfen: Er ist ein Meister der Verwandlung. Er hat sich vom Brexit-Skeptiker zum Brexit-Fanatiker gewandelt und vom Corona-Zauderer zu Europas Impfmeister. Ihm muss man auch zutrauen, dass er sich vom Spalter und Polarisierer zum großen Einiger wandelt. Es kann aber auch anders kommen, denn Labour liegt in den Umfragen wieder vor den Torys. Seit April 2020 hat die Arbeiterpartei mit Sir Keir Starmer einen neuen Vorsitzenden. Der stellt Johnson intellektuell in den Schatten und lässt ihn im Unterhaus häufig schlecht aussehen.

 

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