Kiepenkerl-Blog: Bier und Gesang

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Foto:Pixabay

Beim mittelalterlichen Reinheitsgebot für Bier spielte die Keuschheit der eingesetzten Rohstoffe eine wichtige Rolle. Für die zölibatären Braumeister hinter den Klostermauern war ethisch entscheidend, dass sich die Hefe im Gärbottich völlig keusch durch Zellteilung vermehrte. Als einhäusige Pflanze war Gerste sexuell ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Und vom Hopfen wurden aus Geschmacksgründen nur die weiblichen Dolden verwendet. Vielleicht war die Rezeptur aber auch darauf angelegt, die traute Zweisamkeit von Mutter- und Tochterhefen vor der Anwesenheit von männlichen Geschmacksprotzen zu schützen. Noch heute geht es in Hopfengärten züchtiger zu als in manchem Frauenkloster – jedem enttarnten männlichen Spross wird sofort der Garaus gemacht.

Die Nichtbeachtung des Reinheitsgebots wurde im Mittelalter als Bierfrevel bezeichnet. Bierfrevel ist für junge Menschen heute in Kneipen vorrangig ein quantitatives Problem. Die Intensivanwender treten meist unisexuell in Gruppen auf. Wichtig ist am Ende, dass die Kneipanten noch Herr ihrer Sinne und des aufrechten Ganges sind. Dann kann das Reinheitsgebot auch an stillen Örtchen beachtet werden.

Beim Biergenuss singen Studenten meist Lieder, die traditionell von Themen handeln, die junge Leute interessieren, wenn sie fern der Heimat der Aufsicht ihrer Eltern entkommen sind. Im 19. Jahrhundert, der Entstehungsperiode vieler Studentenlieder, wurde gern das Feiern, Trinken und Wandern besungen

Und Gaudeamus igiturgehört zur alten Singkultur. Auch sonst wird meist ganz ungezwungen höchst elitär Latein gesungen. Bei Licht besehen singt der Haufen den ganzen Abend nur vom Saufen. Niemanden juckt‘s, was er da singt, wenn es nur erhaben klingt.

Auch ernste Verse wurden gelegentlich in Noten gesetzt. Doch welcher studentische Kneipengänger kennt noch die historischen Wurzeln des Liedes „Oh alte Burschenherrlichkeit“?

„Wo sind sie, die vom breiten Stein
nicht wankten und nicht wichen,
die ohne Spieß bei Scherz und Wein,
den Herr‘n der Erde glichen?

Der breite Stein war die Pflasterung in der Straßenmitte. Links und rechts davon gab es keine Befestigungen. Bei Regenwetter waren die Seitenstreifen durch Fuhrwerke zerfahren und schlammig. Derjenige, der vom breiten Stein nicht wich, zwang den Entgegenkommenden, in den Morast zu treten. Das Vorrecht des trockenen Fußes wurde häufig von Studenten beansprucht.Wer nicht unaufgefordert auswich, handelte sich schnell eine Kontrahage ein.

Schlimmeres noch ist aus der griechischen Mythologie überliefert: König Ödipus wurde wegen der Vorfahrtsregel auf dem breiten Stein zum Vatermörder. In einer hohlen Gasse akzeptierte König Laios von Theben die korinthische Vorfahrt seines Sohnes nicht und wurde im Duell von ihm getötet. Nach Sigmund Freud war die Sache aber viel komplexer. Deshalb spricht man vom Ödipus-Komplex.

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