Kiepenkerl-Blog: Lügenpresse – halt die Fresse!

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So schallt es seit 2014 immer wieder durch die Straßen von Dresden. Die Parole ist mittlerweile im gesamten Bundesgebiet zu hören, wenn die Protestbewegung Pegida, Parteimitglieder der AfD oder andere rechtspopulistische Gruppierungen öffentlich protestieren. Auf diese Weise drücken sie ihre Unzufriedenheit mit dem deutschen Journalismus aus. Einige fühlen sich missverstanden, andere zu Unrecht in eine rechtsradikale Ecke gedrängt und die meisten sehen ihre Ansichten in der Berichterstattung nicht angemessen vertreten. Unisono behaupten sie, dass die Medien entscheidende Sachverhalte verdrehen und wesentliche Informationen unterdrücken.

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Foto: Opposition24.de [CC BY 2.0], via Wikimedia Commons

 Es ist davon auszugehen, dass viele Protestierer, die den Begriff „Lügenpresse“ lauthals skandieren, nicht wissen, dass dieser zunächst von Regierungen gegenüber der Bevölkerung genutzt wurde, um bestimmte Ziele durchzusetzen oder unangenehme Vorgänge zu vertuschen.

Während des Ersten Weltkriegs wurde das Wort „Lügenpresse“ im deutschen Sprachraum erstmals zum häufig genutzten Begriff. Der Grund war, dass das Deutsche Reich durch die Verletzung der belgischen Neutralität und die folgenden Kriegsgräuel gegen die belgische Zivilbevölkerung propagandistisch in die Defensive geraten war. Als Reaktion des Kaiserreichs wurde die Auslandspresse in den deutschen Medien als „Lügenpresse“ diffamiert.

Auch die Nationalsozialisten nutzten das Schlagwort im Rahmen ihrer antisemitischen Verschwörungstheorie zur Herabsetzung von Gegnern als Kommunisten und Juden. Nach der Machtergreifung und der Gleichschaltung der Inlandspresse wurden die Medien der späteren Kriegsgegner als „Lügenpresse“ geschmäht.

Ab 1945 nutzten DDR-Agitatoren das Schlagwort im Rahmen des Kalten Krieges zur Verunglimpfung westlicher Medien. Im Schwarzen Kanal (ein agitatorisches Magazin des DDR-Fernsehens) war die stereotype Redewendung von der „kapitalistischen Lügenpresse“ wichtiger Bestandteil der Propaganda gegen den Westen. Das Neue Deutschland bezeichnete westdeutsche oder amerikanische Publikationen noch bis Anfang der 1970er Jahre als Tatsachen verdrehende Erzeugnisse. Kein Wunder, dass die „Lügenpresse“-Anhänger vermehrt aus Ostdeutschland stammen, denn dort besteht traditionell eine erhöhte Skepsis gegenüber traditionellen Medien.

In der Türkei wird von „Lügenpresse“ nicht mehr gesprochen. Nach dem Putschversuch greift der Staat zu willkürlichen Verhaftungen und zur Schließung von regierungskritischen Redaktionen und Einrichtungen. Die öffentliche Meinung wird von Recep Tayyip Erdogans Claqueuren bestimmt. Gerichtliche Anordnungen sind intransparent und Gerichtsverhandlungen ziehen sich hin, denn regierungskritische Richter wurden massenweise entlassen. Es verstärkt sich der Eindruck, dass es sich bei den Säuberungen von Presse, Rundfunk und Fernsehen um einen persönlichen Rachefeldzug von Erdogan gegen den Prediger und früheren Geschäftspartner Fethullah Gülen handelt, der in den USA lebt.

„Lügenpresse“ ist der Lieblingsbegriff von Pegida, AfD und Co. und als solcher zwar wieder brandaktuell, aber eben keineswegs neu. Ihm haftet allerdings eine unschöne Vergangenheit an, dessen sich diejenigen, die ihn am lautesten schreien, entweder nicht bewusst zu sein scheinen, oder aber sie haben absolut nichts aus der Vergangenheit gelernt. Um die Gefährlichkeit des Begriffs zurück in die Gedächtnisse zu rufen, hat eine Jury aus Sprachwissenschaftlern und Journalisten die „Lügenpresse“ zum „Unwort des Jahres 2014“ gewählt. In der Begründung heißt es, dass der Begriff ein „… besonders perfides Mittel derjenigen sei, die ihn gezielt einsetzen. Dass Mediensprache eines kritischen Blicks bedarf und nicht alles, was in der Presse steht, auch wahr ist, steht außer Zweifel“. Es geht vielmehr darum, dass die Medien pauschal diffamiert werden, die sich mehrheitlich bemühen würden, einer „… gezielt geschürten Angst vor einer vermeintlichen Islamisierung des Abendlandes sachlich zu begegnen, indem sie gesellschaftspolitische Themen differenziert darstellten. Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist.“

Dies deklarierte die Jury des „Unwort des Jahres“ mit erhobenem Zeigefinger bereits Anfang 2015. Doch nach wie vor taucht der Begriff regelmäßig in der Medienwelt auf. Das liegt unter anderem an den Möglichkeiten des Internets. Web 2.0 bietet eine rege Diskussionsplattform und spielt vor allem bei der Meinungsbildung junger Menschen eine wichtige Rolle. Weil im Internet jeder veröffentlichen kann, was er will, können Pegida, AfD und Rechtspopulisten es gezielt als politisches Kampfmittel gegen angebliche Versäumnisse der Politik einsetzen. Dass viele Bundesbürger den Parolen unkritisch folgen, zeigen die Wahlerfolge und die Umfrageergebnisse für die AfD. Dies ist eine klare Gefahr, die das Internet birgt. Doch nicht zu vergessen sind auch die damit einhergehenden Chancen: Gegner und Aufklärer der „Lügenpresse“ können online ebenfalls das Wort ergreifen – ein Beispiel dafür ist dieser Blog.

 

 

 

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