Wisent-Projekt ist Touristenmagnet

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Bad Berleburg – “Nach einem Jahr ziehen wir ein positives Zwischenfazit.“ So bewertet Bernd Fuhrmann das für Westeuropa einzigartige Wisent-Artenschutzprojekt im Rothaargebirge an der Grenze von Sauerland und Wittgensteiner Land. „Das Wissen über die Wisente ist in den vergangenen zwölf Monate enorm gewachsen”, unterstrich der erste Vorsitzende des Trägervereins für die “WisentWelt” bei Bad Berleburg bei einem Pressetermin. “Das erste Jahr hat zahlreiche spannende Ergebnisse hervorgebracht.“

Im April vor einem Jahr waren die ersten Wisente in den Wittgensteiner Wäldern freigesetzt worden. Das Projekt ist nicht unumstritten: Waldbesitzer befürchten Baumschäden durch den Verbiss der mächtigen Wildrinder, andere Kritiker warnen vor gefährlichen Unfällen im Strassenverkehr und vor Angriffen der Wildtiere auf Wanderer und Spaziergänger. Untergründig spielt bei der Diskussion wohl auch der historische Gegensatz zwischen Sauerland und Siegen-Wittgenstein eine Rolle. Die Initiatoren der WisentWelt kommen aus Siegen-Wittgenstein, die meisten Kritiker des Projekts kommen aus dem Sauerland.

Das Wisent-Projekt lockt viele Touristen an

Die Wisente locken viele Touristen an und sind ein wunderbares Fotoobjekt. – Foto: WisentProjekt

„Das Wisent-Artenschutzprojekt in Wittgenstein verläuft weiterhin erfolgreich“, unterstrich Bernd Fuhrmann zum Jahrestag der Freisetzung: „Wir sind mit dem Erreichten sehr zufrieden.“ Die Tiere seien gesund, und zwei Kälbchen wurden im Mai 2013 bereits in Freiheit geboren. Das Projekt zur Erhaltung der vom Aussterben bedrohten größten Landsäugetiere Europas ziehe außerdem ungebrochen große Aufmerksamkeit auf sich. Wissenschaftler aus ganz Europa interessierten sich für die Forschung. Im Herbst 2014 werde ein internationaler Wissenschaftler-Workshop die ersten Ergebnisse der Freisetzungsphase in Bad Berleburg diskutieren. Der Stadt biete sich die große Chance, sich als internationaler Wisent-Standort zu etablieren.

Zahlreiche Maßnahmen sollen die Wisente an der Grenze von Wittgensteiner Land und Sauerland für Touristen attraktiv machen: So gibt es neben der freilebenden Wisent-Herde die „Wisent-Wildnis am Rothaarsteig“, ein Besucherareal mit einer zweiten Herde zum Staunen aus nächster Nähe und die Wisent Hütte, eine außergewöhnliche Gastronomie in uriger und einzigartiger Landschaft. Die “Wisent-Erlebnisausstellung” zeigt mit interaktiven Exponaten Geschichte und Leben der Wisente, im “Naturerlebniszentrum Wisent-Welt” wird Schulklassen und anderen Gruppen Natur- und Umweltwissen vermittelt, und auf dem Abenteuerspielplatz„Kleiner Wisent“ können sich die kleinen Besucher so richtig austoben.

Die Wisente sind laut Bernd Fuhrmann in kurzer Zeit zu einem positiven Markenbotschafter für die Stadt und die Region geworden – damit ist das Projekt ein wichtiger Impulsgeber für das Regionalmarketing im allgemeinen und im besonderen für den Tourismus in Siegen-Wittgenstein und auch im Sauerland. Die aus dem Artenschutzprojekt heraus entstandene „WisentWildnis am Rothaarsteig“ mit einer zweiten Herde für Besucher werde sehr gut angenommen. Seit der Eröffnung (September 2012) bis Ende März 2014 wurden insgesamt rund 53.000 Gäste gezählt. Im Frühsommer steht dort dann die Eröffnung der Wisent-Hütte an. Die Gastronomie, erwartet der Wisent-Verein, wird dem Tourismus weiteren Aufschwung verleihen. Schon jetzt seien rund um die „Wisent-Wildnis“ aus der Freizeitbranche heraus viele innovative Angebote für Touristen entstanden.

Die Tiere fühlen sich sichtlich wohl im Sauerland und vermehren sich. - Foto: WisentProjekt

Die Tiere fühlen sich sichtlich wohl im Sauerland und vermehren sich. – Foto: WisentProjekt

Derzeit besteht die frei lebende Herde aus neun Tieren, berichtete Coralie Herbst, die wissenschaftliche Koordinatorin des Wisent-Projektes von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover: einem Bullen, fünf Kühen, einer Jungkuh und zwei Kälbern. Der im Juni 2012 geborene Quandor wurde im September 2013 Opfer in einem Rangkampf.

Spannend war die Frage, wie sich die Tiere nach der Freisetzung verhalten würden. Darauf konnte Coralie Herbst nun erste Antworten geben: In den vergangenen zwölf Monaten bewegten sich die Tiere auf einer Fläche von rund 5.500 Hektar. „Das entspricht exakt den Angaben in der Literatur und dem, was zu erwarten war“, betonte Herbst.

Vor ihrer Freisetzung waren die Wisente in einem rund 88 Hektar großen Eingewöhnungsareal drei Jahre lang auf ihre Freiheit vorbereitet worden. Dort gibt es auch einen Managementbereich, der nach wie vor genutzt wird, zum Beispiel wenn die Tiere geimpft, narkotisiert und gesundheitlich untersucht werden. Das Streifgebiet der Tiere hatte im zurückliegenden Jahr eine Ausdehnung auf der Ost-West-Achse von maximal zwölf Kilometern und auf der Nord-Süd-Achse von maximal acht Kilometern. Die Wisente hielten sich überwiegend in einem Kerngebiet von rund 700 Hektar auf. Diese Daten zeigen: Die Wisente fühlen sich heimisch, unternehmen Ausflüge, kehren aber immer wieder in ihr angestammtes Kerngebiet zurück.

Wer das Glück hat die Tiere in der freien Wildbahn zu beobachten, der kann sich wirklich freuen. - Foto: WisentProjekt

Wer das Glück hat die Tiere in der freien Wildbahn zu beobachten, der kann sich wirklich freuen. – Foto: WisentProjekt

Ein weiteres wichtiges Thema bei dem Wisent-Projekt am Rothaarkamm ist die Verkehrssicherheit. Dort hat die Auswertung des Wanderverhaltens der Wisente Folgendes gezeigt: An der Bundesstraße 480 hat es keine Überquerungen durch Wisente gegeben – auch bei der B 236 nicht, allerdings waren die Wisente dort bis zu zehn Meter an den Albrechtsplatz herangerückt. An der Kreisstraße 39 wurden die Tiere dagegen mehrfach beim Straßenkreuzen beobachtet. Auf der Kreisstraße 42 wurde eine Überquerung der Gruppe (hin und zurück) festgestellt. Allerdings resultieren aus diesem Verhalten keine Wisent-spezifischen Sicherheitsfragen: Auch andere Wildtiere nehmen diese Wege. Die B 480 ist deshalb bereits mit speziellen Wildwarnreflektoren ausgestattet worden, und an der K 42 in der Nähe der „Wisent-Wildnis“ werden die Autofahrer in Kürze mit Straßenbannern auf Wildwechsel hingewiesen.

Coralie Herbst berichtete auch über die neuesten Erkenntnisse zur Interaktion von Mensch und Wisent. Tests hatten in der Zeit von 2010 bis 2012 gezeigt, dass die durchschnittliche Fluchtauslösedistanz der Wildrinder bei rund 40 Metern liegt. Das konnte 2013 bestätigt werden. Seit der Freilassung gab es vor allem in Online-Netzwerken Berichte, wonach Menschen bis auf zehn Meter an die Tiere herangekommen seien. Dies ist jedoch nicht überprüfbar. Wenn allerdings Menschen versuchten, die Tiere durch Futter anzulocken, sei dies kontraproduktiv. Deshalb erstellt der Wisent-Verein nun eine Anleitung zum Umgang mit Wildtieren insgesamt.

Langfristiges Ziel des Artenschutzprojektes im Rothaargebirge ist es, dass die Wisent-Herde eines Tages einen so genannten herrenlosen Status erhält. Damit wären die Tiere dann aus der Verantwortung des Trägervereins entlassen und gehörten niemandem mehr – wie zum Beispiel ein Hase auf dem Feld.

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