Im Staate Dänemark: Hamlet in Münster

Münster im Staate Dänemark: Wenn Recklinghausen nicht so nah wäre, dann hätte die münsteraner Version des Shakespeare Klassikers “Hamlet” alles, was eine Aufführung während der Ruhrfestspiele rechtfertigen würde.  Der “Hamlet”, von Frank Behnke in an den Städtischen Bühnen Münster inszeniert, ist jedenfalls großes Theater: modern und kein altbackenes Klassikertheater, mit geschickten, teils witzigen Anspielungen, spektakulär und vor allem: aufwühlend.

Im Staate Dänemark

Die Familie wartet ab, was Hamlet in seinem Wahnsinn wohl anstellen wird. – Foto Marion Bührle, Theater Münster

Die Inszenierung ist einmal mehr ein eindrucksvolles Exempel für den neuen Wind, der jetzt an Münsters Stadttheater weht. Das sieht man nicht zuletzt am langen Applaus,  Standing Ovations und vor allem an deutlich mehr jüngeren Zuschauern, die neudings ins Theater an der Neubrückenstraße finden. Schauspieler wie Florian Steffens kommen gut an. Solche Mimen braucht das Theater, um rund um Dom und Überwasserkriche zum Stadtgespräch werden zu können.

Florian Steffens spielt den “Hamlet” als halb Wahnsinnigen im Staate Dänemark, der auf Rache für seinen ermordeten Vater sinnt. Wie schon vor einem Jahr in die “Räuber” verbindet Steffens seine sprachliche Performance mit einem physischen Auftritt voller Kraft und Energie. Steffens tobt über die Bühne, wirbelt in einer Szene splitterfaser-nackt herum, kämpft mit dem Säbel, dass die Funken sprühen und gräbt sich in die Friedhofserde, dass Todessehnsucht und Verzweiflung körperlich fühlbar werden.

Im Staate Dänemark

Hamlet ist schier wahnsinnig geworden – Foto Marion Bührle, Theater Münster

Der König ist unter merkwürdigen Umständen zu Tode gekommen, die Königin schon wieder verheiratet – mit dem Schwager Claudius, dem neuen, äußerst diplomatischen Herrscher, smart, aalglatt, egozentrisch und letztlich total feige. Prinz Hamlet, Sohn des Verstorbenen, kehrt vom Studium aus Wittenberg nach Helsingör heim, um an der Trauerfeier für den Vater teilzunehmen. Aus Claudius ist inzwischen der Stiefvater geworden, der Hamlet für sich vereinnahmen will, ohne auf dessen verletzte Gefühle, Verwirrung und Trauer nur irgendwelche Rücksichten zu nehmen.

Der Geist von Hamlets Vater, in der kongenialen Inszenierung gleich von einem Duzend älteren Herren verkörpert, spricht von Mord und fordert Rache. Hamlet, überfordert und verzweifelt, mimt den Wahnsinnigen, um so hinter das Spiel der Intrigen zu kommen und die Täter und Mitwisser zu provozieren. Überall scheint Gefahr und Intrige zu lauern, im Hofstaat, bei seinen Freunden, sogar bei seiner geliebten Ophelia. Oder leidet Hamlet selbst unter Paranoia und unter dem Druck erwachsen zu werden, handeln zu müssen, obwohl er nicht weiß, wie? Was ist wahr und was ist Täuschung, welche Weltsicht ist die richtige? Hamlet tut lange gar nichts – und dann reißt er die ganze Welt mit in den Abgrund. Am Ende steht ein Massaker, dass alle richten wird. Was bleibt ist Schweigen.

Im Staate Dänemark

Der Geist flüstert Hamlet ein, Rache zu nehmen – Foto Marion Bührle, Theater Münster

Shakespeares berühmtester Protagonist (1602 erstmals auf der Theaterbühne) ist eine moderne Figur, die an der Realität im Staate Dänemark zu zerbrechen droht. Ein zu sensibler junger Mensch, der sich fragt, ob Identität nur durch das eigene Handeln zu erlangen sei: Macht erst die (politische) Tat uns mündig? Macht jede Tat uns schuldig? Die Inszenierung wirft viele Fragen auf. Das Stück bietet eine Menge Assoziationen.

Am Ende steht ein Massaker, das keiner überleben wird. - Foto: Marion Bührle, Theater Münster

Am Ende steht ein Massaker, das keiner überleben wird – Foto Marion Bührle, Theater Münster

Das Bühnenbild ist reduziert auf wenige, dafür aber umso eindrucksvollere  Elemente. Es konzentriert den Blick auf das Wesentliche und fokussiert auf das zeitlose Geschehen. Es ist eben auch eine ernüchtende Zustandsbeschreibung. Denn das Ränkespiel und die mordlüsterne Intrige um Macht und Machterhalt, scheinen ein ewiges Thema zu sein. Assoziationen zu aktuellen politische Konstellationen und die Menschenverachtung, die sich überall auf der Welt breit macht, sind denn auch gewollt und gekonnt angespielt. Die über 400 Jahre alte Tragödie ist so aktuell wie eh und je.

Die Besetzung gibt jeder Rolle den Raum für großes Spiel – bis zu den großartig besetzten “Freunden” und irrwitzigen Totengräbern Rosenkranz & Güldenstern (Ronny Miersch & Maximilian Scheidt). Man spürt förmlich, dass das Ensemble gerne den Ball aufgreift, der ihm hingeworfen wurde. Alle sind hochmotiviert.  (Jörg Bockow)

www.theater-muenster.com

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