Aufbruch in ein wildes Leben

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Westfalen – Der Aufbruch in ein wildes und schönes, ein sorgenfreies und zügelloses Leben, er scheitert. Er muss scheitern. Ibsens Drama “Hedda Gabler” geht tragisch aus. Nachdem alle Träume und Schäume unerfüllt bleiben und keine neue Hoffnung mehr keimt, tötet sich Hedda, die Titelheldin mit einem Pistolenschuss in die Schläfe. Zumindest das ist konsequent, ehe sie ihr Leben in Lethargie und Langeweile, in Zwängen und Konventionen bei lebendigem Leibe begraben müßte. “Aufbruch und Utopie” lautet das Motto der diesjährigen Ruhrfestspiele.

Hedda Gabler spielt mit Nina Hoss, Alexander Khuon - Foto: Arno Declair /Ruhrfestspiele Recklinghausen

Hedda Gabler spielt mit Eilert Ljövborg. (Nina Hoss, Alexander Khuon) – Foto: Arno Declair /Ruhrfestspiele Recklinghausen

Nina Hoss ist die optimale Besetzung und das gleich im doppelten Sinne: Die aus Film und Fernsehen bekannte Schauspielerin verkörpert die “Hedda Gabler” als Paraderolle und zugleich ist sie eine sichere Spekulation mit ihrem Starimage, was sich für die Eröffnungspremiere eines Festivals besonders gut macht. Nina Hoss ist die unterkühlte, berechnende, egozentrische Blondine, schön, aber unnahbar, rätselhaft und besessen, “femme fatale” und Racheengel in einem. Die diesjährigen Ruhrfestspiele startete am Freitag in Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin mit Ibsens Drama “Hedda Gabler”, ein Start mit hohem Anspruch.

Unter der Regie von Stefan Pucher stehen vom 3. Mai bis 7. Mai 2013 Felix Goeser, Nina Hoss, Margit Bendokat, Anita Vulesica, Bernd Moss, Alexander Khuon und Naemi Simon auf der Ruhrfestspielbühne. Nach ihrer Premiere in Recklinghausen ist die Produktion “Hedda Gabler” ab dem 15. Mai 2013 am Deutschen Theater Berlin zu sehen.

Langeweile und Tristesse wachsen zwischen Hedda und ihrem Mann Jörgen Tesman. (Nina Hoss, Felix Goeser) Foto: Arno Declair /Ruhrfestspiele Recklinghausen

Langeweile und Tristesse wachsen zwischen Hedda und ihrem Mann Jörgen Tesman. Sie bekommt von ihm das verloren geglaubte Manuskrip des Widersachers. (Nina Hoss, Felix Goeser) Foto: Arno Declair /Ruhrfestspiele Recklinghausen

Ibsens Drama ist wohl bekannt und oft gespielt. Es ist ein Klassiker, der nach neuen Bildern, neuen Tönen und einer zeitgemäßen Zuspitzung verlangt. Keine leichte Aufgabe, zumal eigentlich alles bereits irgendwie gesagt ist, nur das letzte Motiv der Titelheldin bleibt ein Geheimnis.

Ein großes, wildes und schönes Leben, das ist es, was Hedda Gabler vorschwebte. Ein Leben in eigener Regie. Sie hat nicht ohne Berechnung den aufstrebenden Wissenschaftler Jörgen Tesman geheiratet. Er sollte eine gute Partie sein und ihr das Leben ermöglichen, was sie sich erträumt hat: in Luxus, Glanz und Glorie. Aber kaum von einer schier endlos langen und langweiligen Forschungsreise zurück, die ursprünglich als Hochzeitsreise begann, ahnt sie, dass sie an seiner Seite vor allem dies finden wird: Konventionen, Bedachtsamkeit und schiere Langeweile.

Hedda erkennt, dass bei Tesman kein Reichtum zu erwarten ist. Die angemietete Villa in Kristiana ist sogar einige Nummern zu groß, fast wie bei einem Hochstapler. Es steht zu befürchten, dass sich das Paar zukünftig wird einschränken müssen. Der Schock bei Hedda sitzt tief. Tesman träumt von einer Professur, die die wirtschaftlich prekäre Lage des Paares verbessern würde, denn am Ende der Hochzeitsreise ist sie nur desaströs zu nennen. Da taucht sein alter Bekannter Eilert Ljövborg in der Stadt auf, seit jeher Tesmans Rivale in Sachen Sex und Karriere. Ljövborg, ein Mann mit genialischen Zügen, hat seine Suchtprobleme in den Griff bekommen und ein Buch geschrieben, von dem bald alle sprechen werden und er gut leben kann. Tesman sieht seine Hoffnungen schwinden. Sein Gegenspieler wird ihn schon bald in allem überflügeln.

Hedda könnte mit fliehenden Fahnen zu ihm überlaufen, zumal sie früher etwas mit ihm hatte, aber die Konventionen halten sie gefangen. So spinnt sie als tief gekränkter Racheengel ein teufliches Intgrigenspiel, an dessen Ende sogar die Empfehlung des Selbstmordes steht. Ljövborg nimmt die Pistole von Hedda an und wird sich in der folgenden, ausgelassenen Nacht, ausgerechnet bei einem stadtbekannten Freudenmädchen, tödlich verletzen als sich versehentlich in der Waffe ein Schuss löst…

Am Ende muss Hedda feststellen, dass sie über niemanden Macht hat – nicht über Ljövborg und nicht über ihren Mann Tesmann, der mit Thea – Ljövborgs Assistentin – in merkwürdiger Eintracht das Mansukript von Ljövborg rekonstruieren will, das sie zuvor heimlich verbrannt und damit dessen Existenz vernichtet hatte.  Tesman lässt sie links liegen, als Thea ihm eröffnet, dass sie heimlich Notizen des Manuskriptes beiseite geschafft hat. Er könnte doch noch reüssieren – zumindest als der, der das genialische zweite Buch von Ljövborg rettet. Folgenrichtig sieht Hedda nur in einer Verzweiflungstat ihren Ausweg.

Stefan Pucher inszeniert seine “Hedda Gabler” als einen schrillen Bilderbogen – mit krassen Szenenwechseln auf großer Drehbühne. Beginnt er geradezu klassisch, historisch vor einem monströsen, düsteren, nordischen Blockhaus des 19. Jahrhunderts, so welchselt er im Szenenrhythmus die Zeiten und die Interieurs. So reicht die Botschaft – vielleicht ein bisschen zu platt – bis in die 60er des letzten Jahrhunderts und führt bis in unsere Tage. Pucher greift darüberhinaus tief in die Trickkiste der Theatermacher: Mit Videoeinspielungen wird die verschrobene, ja beinahe pubertäre Traumwelt der Titelheldin eingespielt, musikalische Einlagen bringen weitere Facetten ein. Doch “Hedda Gabler” eignet sich kaum als Musical, noch weniger als Rockoper, die Einlagen sind gewollte Unterbrechungen und Irritationen und passen zum intellektuellen Tenor der Regiearbeit.

Stefan Puchers Version der “Hedda Gabler” ist artifiziell und intellektuell,  so kühl und distanziert wie die Titelheldin. Der Funke mag nicht wirklich überzuspringen. Der Applaus der Eröffnungspremiere galt zu Recht vor allem dem Ensemble, den Leistungen der Schauspielerinnen und Schauspieler allen voran Nina Hoss als “Hedda Gabler”. Ein artiger Auftakt für die Ruhrfestspiele. (Jörg Bockow)

Ruhrfestspiele Recklinghausen GmbH  / Otto-Burrmeister-Allee 1  / 45657 Recklinghausen
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