Ein verstörender Blick auf Zeit und Raum

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Westfalen – Solche Bilder hat man noch nicht gesehen: Die brechscharfen Fotos von Landschaften, Straßenansichten und gespenstigen Szenerien verändern unseren gewohnten Blick auf den Raum, und sie irritieren unseren Begriff von Zeit. Tag und Nacht scheinen da in einander zu fallen. Die Gegenwart ist auf den Kopf gestellt.

SYLVESTERSONNE · 2011 · Münster · Aaseekugeln - Foto: Ulrich Haarlammert

Mond und Sonne bescheinen gleichzeitig eine malerische Winterlandschaft als wenn sie von einer anderen Welt kündete. Und auf einer stadtbekannten Straßenkreuzung in Münster begegnen sich Verkehrsteilnehmer in ihren Fahrzeugen in einer Art und Weise, dass man an den Fähigkeiten seiner Augen zweifelt: Da ist an einem Tag ein kunstvolles Fahrzeugknäuel entstanden, das so nie und nimmer auf normalem Wege zusammen kommen kann. Welchem Regisseur ist das wohl gelungen? Und vor allem wie?

AUTOSCOOTER · Münster · Kreuzung Mauritztor vom Landeshaus aus Foto: Ulrich Haarlammert

Ein bißchen Zauberei ist gewiß mit dabei, wenn der Künstler in die Wirklichkeit eingreift, ohne dass die Darsteller und Beteiligte dies überhaupt mitbekommen. Die sorgfältig komponierten Motive kommen leise daher, fast zart und mit einer gehörigen Portion Poesie. Erst beim genaueren Hinsehen enthüllt sich ihre verblüffende  Radikalität. Haarlammert: “Die Gegenwarten spielen mit der Seherfahrung und fordern zum Hinsehen auf. Sie stellen die Subjektivität der Wahrnehmung von Wirklichkeit heraus.”

Ulrich Haarlammert ist ein Lichtbildner im eigentlichen Sinne. Er zeigt auf seinen Fotografien das, was sich mit dem bloßen Auge nie und schon gar nicht in unserer Realität entdecken ließe. Das ist große Kunst und bestes Fotografenhandwerk gleich dazu!

Neujahrszauber - Foto: Ulrich Haarlammert

Die Fähigkeiten der Linse, die der münsteraner Künstler Ulrich Haarlammert mit großer Virtuosität nutzt, entzaubern Zeit und Raum – und sie erschaffen ein Paralleluniversum und einen Kosmos, den es so nicht gibt und der doch da zu sein scheint. “Die Gegenwarten vereinen temporäre Ereignisse, die zu verschiedenen Zeiten am selben Ort stattgefunden haben. Flüchtige Augenblicke werden gesammelt und kombiniert. Sowohl die sich ändernden Lichtverhältnisse als auch das veränderliche Leben an einem Ort werden festgehalten und in Beziehung gebracht.”

Telgte Tankstelle - Foto: Ulrich Haarlammert

Ulrich Haarlammert nennt sein Projekt ortsbezogener Fotografie  “Gegenwarten”, womit schon im Titel die Zeit als eine Dimension oder auch als eine Wahrnehmungskategorie ganz grundsätzlich in Frage gestellt wird. Denn nach unserem Verständnis gibt es nur eine einzige Gegenwart. Haarlammert erklärt seine Arbeitsweise: “Fotos sind die Grundlage der Gegenwarten. Gegenwarten sind Bilder, Videos und Objekte. Fotomontagen und -collagen aus mehreren Aufnahmen desselben Motivs.” Dafür wird ein Kamerastativ “unter Ausnutzung örtlicher Gegebenheiten dauerhaft und fest an einem ausgesuchten Ort installiert und über Stunden oder auch Tage immer wieder für neue Aufnahmen angefahren.” Die Wirkung dieser Aufnahmen ist frappierend: “Die Bilder gehen über die Realität des Ortes hinaus. Sie verlassen damit die Dokumentationsebene ohne wirklich eine fiktive Gestalt anzunehmen.”

NATHAN · 2011 · Rheine-Elte · 11. Mai 2011 - Foto: Ulrich Haarlammert

Auf die Frage nach künstlerischen Anstößen und Vorbildern sagt Ulrich Haarlammert: “Augenfällig ist wohl die Nähe zu René Magrittes ‘Das Reich der Lichter’. Doch obwohl diese Nächte unterm Mittagshimmel mir seit meiner Jugend bekannt sind, ist die Verwandtschaft eher zufällig. Aber es gefällt mir die Vorstellung, etwas fortzusetzen, was René Magritte 1950 mit den Mitteln der Malerei angestoßen hat.”

Ulrich Haarlammert lebt und arbeitet in Münster. Sein Atelier 4.8  befindet sich im Speicher II am Münsteraner Hafen. Seine neuesten Arbeiten hat er im Rahmen der Atelierausstellung “Open House 2012” unter dem Titeln “Sternenzauber und weitere neue Gegenwarten” gezeigt.

“Es würde mich nicht wundern, wenn in Kürze nicht nur auf Fotografie spezialisierte Galerien und Kunstsammler bei Haarlammert zugreifen, sondern auch Werbe- und Kommunikationsagenturen bei dem Künstler anklopfen, um derartige Motive als ‘Eye-Catcher’  in einer Werbekampagne zu nutzen.” (Dr. Jörg Bockow)

Ulrich Haarlammert wurde am 14. Februar 1955 in Ladbergen, Kreis Tecklenburg/Westfalen geboren.
1973 – 81 Studium und Lehrtätigkeit an der Fachhochschule für Design in Münster
1983 – 88 Studium an der Kunstakademie Münster, Meisterschüler Klasse Timm Ulrichs
seit 1988 freiberuflicher Bildhauer und Graphiker
seit 1989 Mitglied des Westdeutschen Künstlerbundes
1991 Gründung der Maßwerke GbR, Büro für wissenschaftliche Gestaltung
2007 Start des Projekts gegenwarten

Ulrich Haarlammert /  Speicher II / Hafenweg 28/ 48145 Münster
www.gegenwarten.de

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