„Nutcrusher“ bei den Ruhrfestspielen

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„Nutcrusher“, das ist die aktuelle Tanzarbeit der koreanischen Choreographin Sung Im Her, die während der Ruhrfestspiele in Recklinghausen gezeigt wurde. Sie lebt und arbeitet in London. Dort ist ihre Tanzarbeit 2019 entstanden. Die Uraufführung erlebte „Nutcrusher“ in Korea.

„Nutcrusher“ bei den Ruhrfestspielen

“Nutcrusher” Tanzarbeit von Sung Im Her bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen – Foto Sang Hoon

In „Nutcrusher“ setzt Sung Im Her sich auf radikale und eindringliche Weise mit dem stereotypen Bild der Frau in den Medien, in Werbung, Fotografie und auf den verschiedenen Social Media Kanälen auseinander. Dafür spielt sie virtuos und kreativ mit Kostümen, Bewegung und Sound. Sung Im Her agiert selber gemeinsam mit zwei weiteren asiatischen Performerinnen auf der Bühne.

Sung Im Her macht deutlich, das Bild der Frau hat sich längst verselbständigt und ist fest in unser aller Köpfen eingebrannt, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Darüber hinaus deckt die Choreographin auch den kulturellen Kontext und die damit verbundenen Machtverhältnisse auf. Sie nimmt den sexistischen Blick auf asiatische Frauen in ihrer Arbeit in den Fokus.

„Nutcrusher“ bei den Ruhrfestspielen

“Nutcrusher” Tanzarbeit von Sung Im Her bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen – Foto Johan Pijpos

In ihrer Choreographie findet Sung Im Her ein Gleichgewicht zwischen einer reduzierten, fast formalen Ästhetik und einem inhaltlich orientierten Erzählstil. Dabei erforscht sie die Essenz von Bewegungen und spürt ihren kulturellen und persönlichen Bedeutungen nach. Dies führt zu einem minimalistischen, rohen Bewegungsstil mit strengen, geometrischen Bewegungsabläufen und vielfältigen Wiederholungen. Als Erzählerin hat sich Sung Im bisher wiederholt auf kontroverse Themen wie Migration, Diskriminierung und sexuelle Gewalt fokussiert. „Nutcrusher“ ist aktuell ihre radikalste Arbeit.

„Nutcrusher“ bei den Ruhrfestspielen

“Nutcrusher” Tanzarbeit von Sung Im Her bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen – Foto Sang Hoon

Der kritische Blick von Sung Im Her ist inspiriert von der #MeToo-Bewegung, die auf der ganzen Welt in den zurückliegenden Jahren ein längst fälliges, kritisches Bewusstsein von der Fetischisierung und Entmenschlichung der Frau geschaffen hat. Frauen werden allenthalben immer wieder zu Objekten gemacht, es bedarf einer radikalen Kraftanstrengung, um das bewusst zu machen und zu ändern. Die #MeToo-Bewegung hat einen Anfang gemacht und unsere Wahrnehmung geschärft. Der Weg ist noch lange nicht zu Ende, wie der Tanzabend „Nutcrusher“ deutlich macht.

Frauen werden überall reduziert auf ihre Körperlichkeit und auf eine sexualisierte Betrachtung. Längst haben wir uns daran gewöhnt wie Images, Bewegungen, Gesten und Posen in einer bestimmten Weise sexualisiert sind. Selbst private Fotos und Videos folgen dieser männlichen, machohaften Perspektive und permanenten Überformung des weiblichen Körpers. Sie hat schön zu sein, sich zu rekeln, zum Akt anzubieten und zu verführen, sie hat dem sexistischen Blick zu genügen, sie hat sich als Objekt seiner Begierde zu verhalten und zu bewegen.

„Nutcrusher“ bei den Ruhrfestspielen

“Nutcrusher” Tanzarbeit von Sung Im Her bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen – Foto Sang Hoon

Sung Im Her macht dies in ihrer einstündigen Performance eindringlich bewusst, indem sie Bewegungen und Posen seziert wie ein Operateur und in schier unendlichen Schleifen wiederholt. Als wären es Roboter wiederholen die Performerinnen ihre aufreizenden Posen und scheinbar typisch weiblichen Bewegungen. Am Anfang zu wummernden Beats, dann im Rhythmus der Bewegungsabläufe und einzelnen Posen, in denen sie für einige Momente und Sekunden verharren.

Eine dieser eindringlichen Pose ist der hundertfach wiederholte Hüftschwung und das Headbanging, bei dem die langen, schwarzen Haare der drei Asiatinnen wie Peitschen herniederfliegen. Die drei Performerinnen geraten erkennbar in eine Art Trance. Die drei Tänzerinnen zählen ihre Schritte und damit jede ihrer Posen. Zum Schluss, in einem dritten Part kommt es zu einer Art Befreiung, Versöhnung und Erlösung, die faktisch aber keine ist und keine sein will.

Die Choreograhin Sung Im Her entlässt ihr Publikum nicht in ein wohlwollendes Ende, bei dem die Zuschauer die Anstrengungen mit Applaus quittieren können. Das Publikum muss sich trauen und schleicht einzeln aus der Vorstellung während die drei Performerinnen sich in einem verschlungenen Knäuel auf der Bühne zusammenfinden. Die Zuschauer blicken auf die nackten schweißglänzenden Rücken der Tänzerinnen. Das Publikum kann den Eindruck der Performance nicht wegklatschen und zur Normalität zurückkehren.

“Nutcrusher” Tanzarbeit von Sung Im Her bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen – Foto Sang Hoon

Das letzte Bild ist eine Art Bestrafung. Dazu erklärt die Choreographin in einem Interview: „Diese Endposition ist eine eindrucksvolle und beunruhigende Art, das Stück zu beenden. Während wir die Endposition einnehmen, geht das Licht nicht aus, die Musik läuft in einer Schleife weiter und lässt das Publikum im Unklaren darüber, wie es weitergeht.“

In diesem offenen und für das Publikum höchst unbefriedigenden und unangenehme Schluss wird die Radikalität von Sung Im Hers Konzept vielleicht am deutlichsten: „Ich wollte keine Aufführung machen, bei der das Publikum applaudiert und es dann vergisst. Ich wollte, dass sie die letzte Position halten, um die Aussage über die Stärkung des weiblichen Körpers zu unterstreichen, aber auch um auf das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern hinzuweisen, das immer noch besteht. Es ist eben nicht sofort beseitigt.“ (Jörg Bockow)

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