Claus Peymann liest im Borchert Theater Münster: Er ist der große Mann des deutschsprachigen Theaters. Eine lebende Legende. Sein Einfluss auf das zeitgenössische, politische Theater ist kaum zu überschätzen. Mit 83 Jahren steht er ganz offensichtlich immer noch gerne auf der Bühne. Er genießt es im Rampenlicht zu stehen, hofiert und beklatscht zu werden.
Am 1. Oktober war Peymann in Münster und hat im Wolfgang Borchert Theater vor vollbesetztem Haus gelesen. Im Gepäck sorgsam ausgewählte Auszüge aus Thomas Bernhards Buch „Meine Preise“, mit denen er in unregelmäßigem Abstand an verschiedenen Bühnen in Deutschland gastiert.
Es war ein ebenso heiterer wie denkwürdiger Theaterabend, der auf geniale Weise hier den umstrittenen Dramatiker und großartigen Romanautor Thomas Bernhard mit dem kongenialen und streitbaren Theatermacher Claus Peymann verband. Der Abend war unterhaltsam von der ersten bis zur letzten Zeile, zumal Claus Peymann nicht einfach vom Blatt ablas, sondern aus seiner Lesung eine bewegte, szenische Rezitation machte, die mit theatralischem Impetus also mit großer Geste und nuancierter Stimme den Text interpretierte, Akzente setzte und den ironischen, teils ätzenden Unterton geradezu auskostete.
Mit dem ersten Auftritt auf die Bühne des Borchert Theaters wird deutlich: Peymann präsentiert an diesem Abend seine Sicht auf Thomas Bernhard. Er kitzelt den kritischen Blick Bernhards auf die verlogene Kulturlandschaft ebenso heraus wie das selbstironische, teils bittere Selbstporträt des Autors. Jedes Blatt schleudert Peymann, sobald er es gelesen hat, mit Schwung auf die Bühne als schlüge er dabei eine Pauke. Am Ende des Abends ist der Boden um seinen Sessel mit zahlreichen Blättern übersäht. Das sieht nach Arbeit aus. Peymann hat sich an Thomas Bernhard abgearbeitet.
Claus Peymann liebt die Stücke von Thomas Bernhard, zumal er dessen Sichtweise auf die Welt, das Leben, auf Österreich und die Kulturpolitik offenbar in all seinen Nuancen teilt. Immer wieder hat Peymann Stücke am Wiener Burgtheater auf die Bühne gebracht, jeden Skandal genießend, den das Stück vor allem beim Wiener Publikum auslöste. In einem Interview zu Thomas Bernhard befragt antwortet er: „Ich bin immer wieder fasziniert von Bernhards fantastischer, genauer Sprache, von seinem visionären Blick. Diese kleinen Stücke sind so böse, so witzig, so gemein, so tödlich und gehässig. Gleichzeitig so fröhlich und so weitsichtig.“
Peymann spekulierte bei seiner Intendanz am Burgtheater als selbsterklärter Theaterschreck auf den Protest und Aufschrei des Publikums. Die österreichische Zeitung „Der Standard“ schreibt über Peymann: „Er war das Schreckgespenst des bürgerlichen Wiens. Von 1986 bis 1999 sorgte Claus Peymann als Burgtheaterdirektor für Zoff und Skandale.“
In seinem Buch „Meine Preise“ lässt Bernhard sein Leben Revue passieren, in dem er seine Auszeichnungen, Ehrungen und Preise aufgereiht wie an einer Perlenkette und die Umstände kommentiert, die mit ihnen verbunden waren. Es sind teilweise urkomische und groteske Szenen, die Bernhard da beschreibt. Der Autor schaut dabei süffisant in die tiefsten Abgründe der Kulturpolitik.
Es ist eine bittere und wütende Rückschau auf seine Ehrungen und die sie begleitende Atmosphäre. Neben den Bemerkungen zum „Grillparzerpreis“ liest Claus Peymann unter anderem über die Umstände bei der Verleihung der „Ehrengabe des Kulturkreises des Bundesverbandes der Deutschen Industrie“. Der zweite Teil des zweistündigen Abends stellt Bernhards Erinnerungen zum „Österreichischen Staatspreis für Literatur“, den „Anton-Wildgans-Preis“, den „Franz-Theodor Csokor-Preis“, den „Literaturpreis der Bundeswirtschaftskammer“ und den „Büchnerpreis“ in den Mittelpunkt. Unübertroffen ist dabei die lakonische Sprache, die den Autor als ein großes komisches Talent auszeichnet.
Wie ein Running Gag wiederholt sich bei jedem Rückblick auf die betreffenden Preisvergabe das gleiche oder zumindest ein ähnliches Ritual. Der Autor fühlt sich einerseits ganz zu Recht von der Jury geschmeichelt und andererseits beschleicht ihn ein seltsamer Ekel vor dem Kulturbetrieb, den er nur überwinden kann mit dem Gedanken an das üppige Preisgeld, das mit der jeweiligen Ehrung verbunden ist. Thomas Bernhard zeichnet sich in seiner Art Lebensbeichte als selbstverliebten, geldgierigen Autor, der sich nur zu gerne vom großen Geld korrumpieren lässt. Claus Peymann gelingt es die Doppelbödigkeit in all ihren Nuancen auszuloten. Nach diesem Abend möchte man mehr von Thomas Bernhard lesen. (Jörg Bockow)
Wolfgang Borchert Theater, Am Mittelhafen 10, 48155 Münster
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