„Kalter weißer Mann“ ist die neueste gefeierte Produktion am Wolfgang Borchert Theater in Münster. Die aktuelle, bitterböse Gesellschaftskomödie stammt aus der Feder des erfolgreichen Autorenteams Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob, deren Komödie „Extrawurst“ ebenfalls schon am WBT zu sehen war.
Inszeniert hat „Kalter weißer Mann“ als Gast mit offenbar diebischer Freude Andrea Krauledat, die ansonsten als Intendantin am Mindener Theater engagiert ist. Ihr gelingt es grandios und mit Tempo den überdrehten Wortwitz mit einem spielfreudigen Ensemble so auf die Bühne zu bringen, dass dem Publikum zwischenzeitlich kaum mehr Zeit bleibt Luft zu holen. Eine Pointe folgt auf die nächste.
Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob greifen in ihrem Stück scharfzüngig die aktuelle Diskussionen um Gendersprache und das Gendersternchen, den Alltagssexismus, die Macht der „alten weißen Männer“ und die Political Correctness auf, indem sie eine kleine traditionsreiche Unterwäschefirma derart aufzumischen, dass am Ende kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. An einem Gendersternchen entzündet sich die Auseinandersetzung, die von Minute zu Minuten mehr eskaliert und schnurstracks auf einen Eklat zusteuert.
Bei der Trauerfeier für den Firmengründer Gernot Steinbeis, der mit 94 Jahren sanft entschlafen ist, geraten die vier Generationen der Mitarbeiterschaft in der ehrwürdigen Kapelle aneinander und schaffen es, sich vor der Urne wortreich und urkomisch zu zerfleischen. Fast befürchtet man, dass Gernot Steinbeis wie ein Flaschengeist empört aus seiner Urne herausspringt, um dem unwürdigen Treiben ein Ende zu setzen.
Der Mikrokosmos der mittelständischen Firma wird zum Beispiel für den gesellschaftlichen Diskurs, der aktuell ebenfalls mehr und mehr aus dem Ruder zu laufen scheint, weil die Positionen immer kämpferischer vertreten, Gräben immer tiefer, die Argumente immer schärfer und Auseinandersetzungen immer unversöhnlicher werden. „Alter weißer Mann“ bezieht keine Stellung, sondern spielt virtuos mit allen aktuellen Aufregerthemen, bringt alle Argumente zusammen und will Mut machen, sich bei allen Kontroversen und Konflikten, Positionen und Meinungsverschiedenheiten besser zuzuhören, aufmerksam und respektvoll miteinander umzugehen, vielleicht sogar voneinander zu lernen.
„Kalter weißer Mann“ spielt in einer Friedhofskapelle. Die Vorbereitungen zur Trauerfeier für den ehemaligen Firmengründer Gernot Steinbeis werden zu einer turbulenten Farce, die selbst der moderne, tätowierte Pfarrer Herbert Koch (wunderbar gespielt von Florian Bender) nicht zu bändigen schafft. Immer wieder versucht dieser die Auseinandersetzungen abzukürzen, weil draußen bereits die nächste Trauergemeinde wartet.
Stein des Anstoßes: Der Text auf der Trauerschleife des Unternehmens. Dort steht: „In tiefer Trauer – Die Mitarbeiter.“ Aber: Was ist mit den Mitarbeiterinnen? Noch bevor er wirklich unter der Erde liegt, entbrennt eine hitzige Diskussion zwischen den Kolleginnen und Kollegen. Wie ein Brandbeschleuniger wirkt dabei, dass von der ersten Sekunde an, die ganze Welt via Social-Media zuschaut, auch unmittelbar reagiert und einen Shitstorm entfacht. Die Mitarbeiter der Marketingabteilung filmen das Setting mit ihren Smartphones in der Hoffnung damit ein positives Image in die Welt zu tragen. Aber der ganz offensichtliche Fauxpas und die losgetretene Diskussion lassen sich nicht mehr zurückhalten und nicht mehr steuern. Öl ins Feuer wirft dann heimlich auch noch einer der Trauergäste im Publikum, der die schräge Diskussion in einem Live-Stream ins Netz stellt.
Der angehende Chef Horst Bohne (großartig verkörpert von Gregor Eckert) hat bald sowohl die Marketing-Leitung und ihren Assistenten als auch eine übereifrige und rechthaberische Praktikantin gegen sich und steht am Pranger, vor dem ihn nicht mal der Pfarrer bewahren kann. Ehe er sich versieht befindet sich der „alte weiße Mann“ zwischen den Fronten des aggressiv ausgetragenen Kulturkampfes, der ihn am Ende sogar den Kopf kosten wird.
Klug und überaus integrant agiert die taffe Marketing-Leiterin, Alina Bergreiter (großartig: Neuzugang Tara Oesterreich), der etwas kopflos agierende Social-Media-Chef, Kevin Packert (klasse: Niclas Kunder) und seine patente Sekretärin, Rieke Schneider (wieder einmal herausragend: Ivana Langmajer) gegen den selbsternannten neuen Chef Horst Bohne, darüber hinaus mischt auch die sehr selbstbewusste Praktikantin, Kim Olkowski (jugendlich kämpferisch und überdreht: Katharina Hannappel) kräftig mit. Die Gemengelage der Konfliktparteien zeigt eindrucksvoll, dass nicht nur der Umgang der Geschlechter komplizierter wird, sondern auch das Minenfeld zwischen den Boomern und den Generationen X, Y und Z vielleicht noch explosiver ist, als alle vermuten.
„Kalter weißer Mann“ ist ein überaus vergnügliches Plädoyer für mehr Gelassenheit: In der aktuellen aufgeheizten Diskussion tun vor allem Zuhören und Lernen Not. Ein geistreicher Spaß mit vielen Widerhaken! (Jörg Bockow)
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