Verdi in Münster. Bei Aufräumarbeiten des Archivs machte ein Auszubildender des Wolfgang Borchert Theaters am Dienstagvormittag einen beeindruckenden Fund von historischem Wert. Gut versteckt zwischen zahlreichen für die abgespielte Vorstellung „Ghetto“ präparierten Büchern tauchte ein Klavierauszug von Guiseppe Verdis „Messa da Requiem“ in einer seltenen Originalausgabe des Pariser Verlegers Léon Escudier aus dem Jahre 1874 auf. Die auf Gesang und Begleitung reduzierte Partitur erschien nur wenige Monate nach der italienischen Erstausgabe. Allein dieser Fund könnte Theaterdirektor Zanger glücklich schätzen – wird die Ausgabe unter Liebhabern doch im Wert von bis zu 750 Euro gehandelt. Doch der Erstbesitzer des Buches konnte sich über ein Autogramm des Komponisten auf der zweiten Innen-Umschlagseite freuen. Und mit ihm freut sich nun, 146 Jahre später, das ganze Team.
Auch wenn der Umschlag des im WBT wiederentdeckten Buches mittlerweile von der Zeit gezeichnet ist, sind die Namenskennzeichnung des Besitzers Ponchard im Umschlag, Verdis Autograph sowie der Notendruck in einwandfreiem Zustand. Nach sorgfältiger Überprüfung und einem Vergleich mit anderen veröffentlichten Verdi-Handschriften war man sich im Theater schnell einig: Bei dem Fund muss es sich um ein Original handeln.
Der vormalige Besitzer war selbst kein Unbekannter. Charles Marie Auguste Ponchard (1924-91) war der Sohn berühmter Eltern: Sein Vater, Tenor Louis Antoine Eléonore Pochard, und seine Mutter, Sopranistin Marie Sophie Collault-Ponchard, ebneten ihm als Lehrer und Vorbilder den beruflichen Weg. Nach dem Studium am Conservatoire de Paris begann er seine Karriere zunächst als Schauspieler am Théâtre Français, dann als Sänger, später auch als Regisseur an der Opéra Comique, wo er an zahlreichen Uraufführungen mitwirkte. Dort begegnete er im Jahr 1875 Giuseppe Verdi, der nach sieben erfolgreichen Aufführungen des Requiems mit dem Solistenensemble der Mailänder Uraufführung 1874 eine erneute Darbietungs-Serie an der Opéra Comique im April/Mai 1875 wiederum selbst dirigierte. Nicht belegt ist, welche Rolle Ponchard innehatte – möglich wäre, dass er nicht nur als Zuschauer, sondern als Tenor oder Chordirektor selbst im Einsatz war. Bekannt ist allerdings, dass Ponchard kurz vor dem Treffen mit Verdi, im März 1875, die Uraufführung von Bizets „Carmen“ auf die Bühne der Opéra Comique gebracht hatte – als Regisseur und Bühnenbildner.
Wie genau das außergewöhnliche Exemplar in den WBT-Fundus gelang, ist bisher unklar. Ein dem Buch beigefügter Brief aus dem Jahr 1982 verrät, dass es das Geschenk von begeisterten Opern-Zuschauern an eine Sopranistin mit dem Nachnamen Molnar war, die sie „vor 3-4 Jahren“ als Solistin in Verdi-Requiem erlebt hatten. Die Recherchen lassen vermuten, dass es sich um die deutsch-ungarische Sopranistin Eva-Maria Molnár-Wassmann (1925-2019) gehandelt haben könnte, die zwischen 1960 und 1980 zu einer der führenden Opern-Sängerinnen zählte und anschließend Professorin an der Musikhochschule Heidelberg-Mannheim tätig war. Das Anschreiben gibt zudem Preis, dass das Fundstück auf einem Pariser Flohmarkt erstanden wurde.
Was mit dem besonderen Buch von kulturhistorischem Wert geschehen soll, haben Meinhard Zanger und sein Team noch nicht entschieden. „Zunächst“, so hofft Zanger „möge es die guten Theater-Geister wecken. Den weiteren Verbleib werden wir in den nächsten Wochen eingehend prüfen.“
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