Der gute Geist des Hauses Sasse

Der gute Geist macht gute Laune: Mit viel Engagement, Intelligenz und harter Arbeit hat die Familie Sasse im münsterländischen Schöppingen in den vergangenen Jahren ihren Lagerkorn zu einer starken Marke mit vielen begeisterten Kunden ausge­baut. Auch bei Whisky punkten die Schöppinger. Bei der „International Wine and Spirit Competition“ in London hat der „Cigar Special“ von Sasse einen ersten Preis bei den Whiskys gewonnen. Dabei ist der Cigar Special eigentlich ein Korn.

Limitierte Auflage: Lagerkorn 10, Lagerkorn 11 und Lagerkorn 12 sind begehrte Raritäten. Zusammen bilden sie eine Trilogie – Fotos Feinbrennerei Sasse

Der Besucher ist versucht, ganz tief ein­zuatmen und seine Lungen zu füllen. In der warmen Luft der modernen, blitz­blanken Produktionshalle liegt ein betö­render Duft. Eine verführerische Süße steigt mir in die Nase. Das also ist der gute Geist des Hauses Sasse, denke ich bei mir.

Die „Geniale Becker“: Die Pot-Still, das Feinbrandgerät aus Kupfer, ist das Prunkstück der Brennerei. Die Kolonne ragt 15 Meter hoch und besitzt 42 Siedeböden, auf denen der gute Geist des Hauses Sasse aufgefangen wird

Hendrik Viefhues hat vor kaum drei Stunden den Kessel in Betrieb genommen. Inzwischen zischt der kochend heiße Was­serdampf durch die Spindel im Inneren und heizt den Rohbrand im Bauch des Gerätes auf. Der 30-jährige Brennmeister begrüßt mich mit einem freundlichen Lachen und reicht mir seine Hand. Ich spüre gleich, da ist einer, der zupacken kann. Ein Macher, der seinen Job liebt und lebt.

Hendrik Viefhues ist eigentlich gelernter Koch. Allerdings war er nur kurz in der Gastronomie tätig, da kam er auf die Idee zum Brennmeister umzusatteln. Verbin­dendes Element beider Professionen: Der Genuss. Seine Ausbildung machte er in der Feinbrennerei Sasse. Ausgebildet hat ihn Rüdiger Sasse.

Im Hintergrund tut der Brennapparat brav seinen Dienst. Liebevoll wird er der „Geniale Becker“ genannt, benannt nach der Herstellerfirma, die es längst nicht mehr gibt. Über die 42 Siedeböden der Kolonne im meterhohen Zylinder der Anlage ver­teilen sich die alkoholischen Dämpfe – der gute Geist schlägt sich dann auf den verschiedenen Böden als Alkohol ab. Das hochprozentige Destillat wird aufgefangen. Dabei ist es die Aufgabe des Brennmeisters, den minderwertigen Vorlauf von dem kost­baren, aromatischen Mittellauf und dem mit Fuselölen versetzten Nachlauf zu trennen.

„Fuselöle gehören nicht in unseren Korn, da sie es sind, die die Kopfschmerzen verursachen“, lacht Hendrik Viehues. Die Abtrennung der Fraktionen erfolgt senso­risch durch Riechen und Verkosten. „Beim Brennen muss ich permanent mit allen Sinnen dabei sein“, erklärt Viefhues und legt seine Hand prüfend an den Kupferbauch. „Die Temperaturführung erfordert Geduld und Fingerspitzengefühl.“ Denn je lang­samer das Destillat läuft, umso besser kann getrennt werden. Im Hintergrund springt gerade eine Pumpe an und läuft für einige Sekunden. Viefhues hat es registriert und kaum merklich zustimmend genickt.

Der gute Geist

Mehr als 300 Liter pro Fass: Im „Reifugium“ lagern 850 Eichenfässer randvoll mit dem kost­baren Destillat

„Entscheidend ist der Cut zum richtigen Zeitpunkt“, weiß der gelernte Brennmeister. „Er ist ausschlaggebend für die besondere Güte unseres Brands.“ Die Rohstoffe, also das ausgesuchte Bio-Getreide aus regionalem Anbau, sollen mit all seinen Nuancen im Endprodukt noch zu riechen und zu schme­cken sein. Die bis ins Detail handwerkliche Prozedur und die überaus sorgsame Verar­beitung sollen sich am Ende im Geschmack niederschlagen.

In Schöppingen hat man sich zum Ziel gesteckt: Bei allen Destillaten soll das Op­timum herausgeholt werden. „Mit halben Sachen geben wir uns nicht zufrieden“, formuliert Rüdiger Sasse selbstbewusst sein Credo. Er hat die Brennerei mit einer mehr als 300 Jahre alten Familientradition von seinem Vater übernommen und ist ange­treten, das Ansehen des Korns wieder zu rehabilitieren. 1987 hatte Rüdiger Sasse die Idee, einen Lagerkorn herzustellen. „Nach zehn Jahren Tüftelei hatten wir unseren ersten Lagerkorn in der Hand. Und seit den späten 1990er Jahren machen wir hier unser Handwerk nach diesem Maßstab“, sagt Sasse. „Wenn Kornbrand mit der richtigen Sorgfalt gemacht wird, dann ist er ein ganz hervorragendes Produkt.“ Der Hausherr ist kurz in die Brennhalle gekommen, um mich zu begrüßen. Er sieht mich bei Hendrik Viefhues und Pressechefin Sarah Grawe in besten Händen und rauscht nach ein paar Sätzen gleich wieder ab.

Alle halbe Stunde zieht der Brennmeister eine Probe, um mit der Nase und dem ein oder anderen „wenzigen Schlock“ sich der Qualität des Kornbrands zu vergewissern. Mild soll er sein, der gute Geist, samtweich und mit all jenen vielfältigen Aromen ausgestattet, die später den Spirituosen ihren individuellen und einzigartigen Charakter verleihen. „Da wird man leicht zum Alkoholiker“,

Der gute Geist

Über Gucklöcher kann man sehen wie die Maische beim Rohbrand unter Hitze in Wallung gerät und dabei der gute Geist des Korns freigesetzt wird. “Da wird man doch zum Alkoholiker”, meine ich trocken zum Brennmeister. Der lacht: „Über den ganzen Tag komme ich beim Pro­bieren gerade mal auf ein einziges Pinnchen. Da besteht absolut keine Gefahr.“ Eigentlich schade, also doch nur kurzer Genuss, denke ich bei mir

„Das ist unsere Geniale Becker“, sagt Viefhues mit erkennbarem Stolz und voller Bewunderung. Sein Blick wandert einmal wieder hinüber zu dem wuchtigen Kupfer­gerät, das rechts in der kleinen Halle funkelt und glänzt wie ein antikes Schmuckstück und seine Wärme verströmt wie ein guter alter Kachelofen. Dabei sieht er wie neben­bei wieder auf die runde Temperaturanzeige und hat die beiden kleinen Röhrchen des Alkoholmeters im Auge. Sie tauchen je nach dem spezifischen Gewicht der Mischung unterschiedlich tief ein.

Durch die Eintauchtiefe kann er sofort feststellen wie hoch der gute Geist im Destillat konzentriert ist. Die Anzeige pendelt sachte um die Markierung mit der Zahl 96 herum. Alles läuft perfekt. Auch der Geschmack mit seinen vielfältigen feinen Aromen im Hintergrund scheinen zu stimmen. Davon kann sich selbst der neugierige Besucher bei einer Probe überzeugen: ein feines Spiel in der Nase und kaum rinnt sanft brennend ein Tropfen des extra verdünnten Kornbrands durch die Kehle. Es macht sich im Kopf ein wohliges Gefühl breit. Ich fühle mich wie ein Parfümeur, der die spezifischen Charak­teristika seiner Kreationen prüft.

Die „Geniale Becker“ ist eine der beiden Pot-Still-Anlagen der Feinbrennerei. 15 Me­ter hoch reicht seine Kolonne. Die Anlage stammt aus dem Jahr 1970 und wird offen­sichtlich, wie die anderen kupfernen Brenn­geräte, sorgfältig gepflegt und regelmäßig poliert. In ihrem Inneren wird an diesem Morgen der Feinbrand destilliert. Aus dem soll einmal der Lagerkorn werden, für den die Traditionsbrennerei im westlichen Mün­sterland inzwischen weltberühmt ist. Neben den beiden typischen Pot-Still-Anlagen hat Sasse noch eine klassische Column-Still. Insgesamt nutzt Sasse vier Brennanlagen. Drei sind stationär in der 20 Meter hohen Brennhalle platziert. Eine ist mobil und kann für Präsentationen, Workshops und Seminare auch außerhalb eingesetzt werden. Für das Marketing ist das ein überzeugendes Tool.

Hendrik Viefhues hat die Pot-Still am Vortag mit 3.000 Liter Rohbrand gefüllt, aus dem nun unter den wachsamen Augen des Master-Destillers jener kostbare Stoff werden soll, der in dem Familienbetrieb weiterverarbeitet und veredelt wird. Am En­de des Prozesses wird Viefhues 1.000 Liter mit 96,2 Vol.-% Alkohol gewonnen haben. „Den verdünnen wir mit unserem eigenem Brunnenwasser auf 60,2 Vol.-% Alkohol und ziehen ihn aufs Fass, wo er mindestens vier Jahre lagern wird“, erklärt der Brennmeister.

Für die Herstellung des berühmten La­gerkorns muss dann der Chef höchstpersön­lich wieder ran. Denn der Lagerkorn ist eine Cuvee, die sich in den vergangenen Jahren immer weiter verfeinert und entwickelt hat. Die Destillate werden nach einer eigenen Rezeptur gemischt. Kein Kornbrand hat we­niger als vier Jahre im Eichenfass verbracht und ist dort gereift. Rüdiger Sasse bestimmt, welche Fässer jeweils miteinander verschnit­ten werden, um eine gleichbleibend hohe Qualität zu garantieren.

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Gruß aus alten Zeiten: Einst wurde der gebrannte Korn in Tankwaggons per Schiene transportiert

Bei Sasse hat man alle Produktions­schritte im Haus. In den eigenen Kornsilos wartet Getreide in Bio-Qualität, das aus der Gegend stammt: Weizen, Gerste, Rog­gen und alte Kornsorten wie Schwarzhafer, Imperialgerste und Emmer. Aus denen ent­steht die Maische, die nach ihrer Vergärung gebrannt wird. Der Brand erfolgt in zwei Schritten: Zuerst wird ein Rohbrand her­gestellt und dann kommt es zum entschei­denden Feinbrand, bei dem der gute Geist des Alkohols von einem Großteil der unerwünschten Nebenprodukte aus dem Rohbrand getrennt wird.

Für die Herstellung der speziellen Whis­ky-Sorten, die inzwischen als Trilogie eine Sonderedition bilde, wurden vor allem alte Kornsorten verarbeitet. Dahinter verbirgt sich ein Projekt, das Rüdiger Sasse zusam­men mit der Landwirtschaftskammer in Münster entwickelt hat. Für den Lagerkorn 10 wurde beispielsweise Schwarzhafer, für den Lagerkorn 11 Dr. Franks grannenab­werfende Imperialgerste und für den Lager­korn 12 wurde Emmer verarbeitet. Gerade erst wurde der Lagerkorn 12 abgefüllt. Ins­gesamt stehen 1.400 Flaschen als gesuchte Rarität zur Verfügung. Gelagert wird ein Großteil des Destillates vor seiner Abfüllung für mindestens vier Jah­re in Gebinden aus klassischer Limousineiche aus Frankreich. Für den weiteren Ausbau gibt es Cognac-Fässer, für den Whisky-Ausbau auch Fässer aus American Oak und für die kostbaren Raritäten wie den Lagerkorn Bor­deaux finish wandert das Destillat nach vier Jahren Lagerzeit noch einmal für vier weitere Jahre in Bar­rique-Fässer, in denen vorher lange Jahre edelster französischer Rotwein ausgebaut wurde. „Unsere Raritäten lagern wir in Fässern in unserer Schatzkammer“, erklärt Sarah Grawe bei unserem Rundgang. Vor dieser beein­druckenden Kulisse finden Besprechungen, Seminare und Workshops statt. Das eigent­liche Aushängeschild der Feinbrennerei Sasse ist das sogenannte Refugium. Das ist ein vor wenigen Jahren errichtete Lagerhalle mit 800 Quadratmetern Grundfläche. Hier können bis zu 1.000 Fässer gelagert werden und der kostbare Inhalt gereift werden. 850 Fässer sind derzeit mit Feindestillat gefüllt. Jedes einzelne Fass hat eine individuelle Befüllung, die unter den Augen des Finanzamtes exakt bestimmt worden ist. „Jedes einzelne Fass trägt seine individuelle Füllmenge als einen Brand, mit dem das Fass markiert worden ist“, erklärt Sarah Grawe. Wir sehen im Lager Fässer mit 314, 318 und 320 Litern Inhalt.

Der gute Geist

Auf den rechtzei­tigen Cut kommt es an: Brennmeister Hendrik Viefhues muss sich beim Fein­brand immer mal wieder von der Güte des Destillats überzeugen

Die Lagerhalle mit ihren hunderten Fäs­sern ist beeindruckend. In der Mitte steht als Blickfang ein ausrangiertes kupfernes Brenn­gerät. Die Halle ist dadurch viel mehr als ein schmuckloses Lager. Die Besonderheit dieses Lagers: einige der Fenster sind durch Schutz­gitter ersetzt, damit die Luft durch die Halle hindurch ziehen kann. „So sind die Fässer dem Lauf der Jahreszeiten ausgesetzt“, erklärt Sarah Grawe. Kälte und Wärme dringen in die Halle. Durch die Zufuhr von Sauerstoff und die Temperaturunterschiede wird das Destillat milder und letzte Fuselöle ver­schwinden. „Die Fässer atmen. Der Alkohol dehnt sich mal aus und schrumpft dann wie­der.“ Dabei geht der gute Geist teilweise auch aus dem Fass in die Luft über. „Ein Schwund von bis zu zehn Prozent“, erläutert Grawe. Im englischsprachigen Raum hat man dafür ei­nen euphemistischen Begriff gefunden. Man nennt diesen Schwund liebevoll auch „Angels Share“. Im vergangenen Jahr verflogen im großen Lager Alkohol für 70.000 Flaschen Lagerkorn. Ich nicke voller Bedauern. Übrigens ist bei allen Prozessen in der Brennerei das Hauptzollamt und die Gene­ralzolldirektion mit im Boot. Die Alkohol­steuer ist mit 13,03 Euro pro Liter reinem Alkohol eine hübsche Einnahmequelle des Staates. Daher gilt hier umso mehr: Ver­trauen ist gut – Kontrolle ist besser. Damit unterwegs in der Produktion – gewollt oder ungewollt – kein Tropfen verloren geht, ist in der Brennerei alles verplombt. Nirgends darf etwas von dem kostbaren Nass ab­gezweigt werden – der gute Geist wird gut überwacht. Hendrik Viefhues zeigt mir zahlreiche Schrauben, Gucklöcher und Abläufe die einzeln verblombt sind. „In der Halle hat der Zoll knapp 100 Plomben an­gebracht, damit auch aller Alkohol mit der geeichten Messuhr exakt gemessen werden kann“, erklärt Viefhues. Sogar das Protokoll­buch, in das alle Ein- und Ausgänge genau notiert werden, ist versiegelt, damit nichts unterschlagen werden kann. So hat der Zoll bis hin zur Abfüllung auf Flaschen die Mög­lichkeiten alle Mengen zu verproben und Unstimmigkeiten sofort zu erkennen.

Ein bis zwei Mal pro Woche kommt un­angemeldet ein Zollbeamter in den Betrieb, um sich von den ordnungsgemäßen Abläu­fen zu überzeugen. Dabei geht es immer nur um die Alkoholmengen. Die garantierte Qualität und der einzigartige Geschmack sind und bleiben in der alleinigen Verant­wortung von Rüdiger Sasse und seinem 35-köpfigen hochmotivierten Team. Gut so – denn davon kann man sich Flasche für Flasche selber überzeugen. Ich habe mir drei Spezialitäten einpacken lassen. Und nun bin ich gespannt, was ich alles heraus schme­cken werde. Prost allerseits! (Jörg Bockow)

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