Laufende Meter im TextilWerk Bocholt

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Bocholt – Nach einem umfangreichen Umbau hat Mitte des Jahres das LWL-Industriemuseum “TextilWerk Bocholt” seine historische Weberei wiedereröffnet. Fast ein halbes Jahr bestimmte Baulärm das Geschehen. Jetzt aber rattern die alten Webstühle wieder wie früher – denn auf den alten Maschinen werden auch wieder Textilien produziert, zum Beispiel Grubentücher aus Baumwolle. Besucher können so hautnah erleben, wie aus einem Faden und einer Kette ein Gewebe entsteht. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat in die Weiterentwicklung des Standortes 3,37 Millionen Euro investiert.

TextilWerk Bocholt

Begleitet von ohrenbetäubendem Lärm: Zweimal pro Sekunde schießt der Schütze durch die Kettenden dieses Baumwollwebstuhls aus dem Jahr 1915; Fotos: LWL/Betz

Viele der Besucher halten sich erschrocken ihre Ohren zu. Es herrscht ein ohrenbetäubender Lärm in der Webhalle. Die Webstühle rattern und stampfen so laut, dass es einem durch Mark und Bein geht. Was bei einem Museumsbesuch erlebt wird, war für tausende Männer und Frauen vor 100 Jahren Alltag. Im TextilWerk Bocholt wird gezeigt, wie der Takt der Maschinen Arbeit und Leben beherrschte. Herzstück der Museumsfabrik ist der große Websaal. Die Fabrik ist voll funktionsfähig. Die Schauproduktion zeigt die Arbeitsabläufe und Arbeitsbedingungen in einem typischen Betrieb zwischen 1900 und 1960.

TextilWerk Bocholt

Zur Neueröffnung im TextilWerk in Bocholt: Dirk Zache, Matthias Löb, Dr. Herrmann Josef Stenkamp und Martin Schmidt (v. l.) an einer der historischen Maschinen, auf denen das Museum im Websaal Stoffe produziert

Die Museumsfabrik ist nach historischen Vorbildern im Jahre 1989 eröffnet worden. Eine spektakuläre Investition, denn ver- gleichbare Industriemuseen hatte es bis dahin noch nicht gegeben. „Das war eine ganz neue Museumsidee auf dem europäischen Kontinent“, erklärt Matthias Löb, Direktor des LWL. Es sei damals noch kaum vorstellbar gewesen, dass Menschen auch die Stätten der Industriearbeit als Teil ihrer Kultur wertschätzen und sie gar als Besucher besichtigen würden. Heute ist Industriekultur ein Alleinstellungsmerkmal und Wirtschaftsfaktor in Nordrhein-Westfalen. Allein das LWL-Industriemuseum mit seinen verschiedenen Standorten lockte im vergangenen Jahr über eine halbe Million Besucher an.

Heute bildet in Bocholt das Ensemble aus Kesselhaus mit Schornstein, einem Maschinenhaus, einer Fabrikationshalle mit Sheddächern, Werkstatt, Büros, Lager, Tor- und Pförtnerhaus, Remise, Eisenbahngleis und Arbeiterhäuser eine typisch münsterländische Weberei aus der Zeit der Jahrhundertwende ab. Im vergangenen Jahr besuchten rund 47.000 Besucher das Textilmuseum in Bocholt. Es ist zweifellos eine der wichtigsten Attraktionen der Region.

Die Produktionshalle ist ein Nachbau des alten Websaals der Weberei Gebr. Essing in Rhede. Mit 50 Webstühlen und 25 Webern hatte die Firma 1891 den Betrieb aufgenommen. Als die Gebäude der Firma im Februar 1985 abgerissen wurden, konnte das LWL-Industriemuseum die gusseisernen Säulen des Websaals von 1889/94 und andere Original-Einbauten retten.

Unter den historischen Sheddächern setzen Transmissionsriemen und lange Antriebswellen über 30 Webstühle in Be- wegung. Die Schiffchen werden mit großer Geschwindigkeit und in einem sekunden- schnellen Rhythmus durch die Kette geschossen. Die Mitarbeiter produzieren täglich Stoffe für Handtücher und Tischdecken einer historischen Kollektion. Im Westfalium-Shop kann man übrigens Geschirrtü- cher erwerben, die in Bocholt auf den alten Webstühlen hergestellt worden sind.

Die „neue“ Weberei präsentiert sich nach dem Umbau insgesamt offener und übersichtlicher. Anstelle der alten Texttafeln können die Besucher jetzt an 13 modernen Terminals per Knopfdruck Informationen zu technischen Funktionen und Arbeitsabläufen abrufen. Nicht nur die Halle mit den Webstühlen und anderen Maschinen, auch Kontor, Werkstatt und Maschinenhaus sind auf diese Weise in den Rundgang ein- gebunden. Der Clou des Rundgangs ist ein digitales Rollenspiel: Die Besucher lernen dabei den Arbeitsalltag aus der Sicht eines Webers kennen, der 13 verschiedenen Personen begegnet. Darunter befinden sich eine Passiererin, die für die Vorbereitung der Webketten zuständig war, der Maschinist, der Heizer und ein Büroangestellter.

Der Umbau vom TextilWerk Bocholt ist Teil eines der spektakulärsten Stadtentwicklungsprojekte in Westfalen: Mit Mitteln der „Regionale 2016“ entsteht ein lebendiges Quartier am Fluss. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) investiert insgesamt 3,37 Millionen Euro in das „Kulturquartier Bocholter Aa und Industriestraße“, rund die Hälfte davon sind Landeszuschüsse. Zentraler Bestandteil des Projektes ist die „Podiumsbrücke“, die die Stadt Bocholt über den Fluss Aa baut. Diese breite Brücke bietet als Platz über dem Wasser viel Aufenthaltsqualität. Sie verbindet zugleich die beiden Museumsteile Weberei und Spinnerei.

LWL-Industriemuseum TextilWerk Bocholt, Uhlandstr. 50, 46397 Bocholt, Öffnungszeiten Di-So 10-18 Uhr, Tel. 0251/59101, www.lwl-industriemuseum.de

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