Recklinghausen: Auf den Kopf gefallen

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Westfalen – Die Ruhrfestspiele in Recklinghausen warten in diesem Jahr mit der Neuinszenierung von Luigi Pirandellos Drama „Heinrich IV.“ auf.  Es ist eine Koproduktion mit dem Nationaltheater Luxemburg.  Frank Hoffmann – hier wie dort auch Intendant – hat sich den tragisch-komischen Stoff höchstdarselbst vorgenommen und in die Zeit  des italienischen Faschismus verlegt. Das in sich bereits kunstvoll verdrehte und rätselhafte Stück über Wahn und Wirklichkeit, Schein und Sein, bekommt so eine historische und  politische Dimension, deren Perspektive dem Zuschauer indes verborgen bleibt oder sogar streckenweise als eine verharmlosende Kolportage wirkt. “Der Grund dieses Stück zu wählen, war meine persönliche Begeisterung für den Autor und das Stück. Es passt auch gut in die Thematik der diesjährigen Ruhrfestspiele. Pirandello ist Sizilianer und auf Inseln schreibt man manchmal andere Stücke,” sagte Regisseur Frank Hoffmann auf der Pressekonferenz.

Bild v.l.n.r: Josiane Pfeiffer, Rudolf Kowalski, Roger Seimetz, Ulrich Kuhlmann Foto: Birgit Hupfeld/Ruhrfestspiele

Bild v.l.n.r: Josiane Pfeiffer, Rudolf Kowalski, Roger Seimetz, Ulrich Kuhlmann
Foto: Birgit Hupfeld/Ruhrfestspiele

Uraufgeführt wurde das Stück 1922 in Mailand, nachdem aus den Trümmern des Ersten Weltkrieges der Faschismus zur Massenbewegung aufsteigt und Benito Mussolini die politische Weltbühne betritt. Das absurde, allegorische  Theater des Literaturnobelpreisträgers Luigi Pirandello wirkt in der Inszenierung von Frank Hoffmann jedoch ziemlich statisch und bemüht. Die Inszenierung bleibt blutleer, der Funke will nicht wirklich überspringen, sodass das Pferd, das am Anfang und am Ende über die Bühne schreiten kann, als das Lebendigste der Inszenierung in Erinnerung bleibt.

Bild v.l.n.r: Josiane Pfeiffer, Annette Schlechter, Rudolf Kowalski, Roger Seimetz Foto: Birgit Hupfeld/Ruhrfestspiele

Bild v.l.n.r: Josiane Pfeiffer, Annette Schlechter, Rudolf Kowalski, Roger Seimetz
Foto: Birgit Hupfeld/Ruhrfestspiele

Das Schauspiel-Ensemble rettet indes mit einigen Bravour-Leistungen den Abend. Vor allem der als ZDF-Kommissar „Stolberg“ bekannte Rudolf Kowalski brilliert durch eine glänzende Vorstellung, in der er in die Rolle Mussolinis schlüpfen und dessen operettenhaftes Schmierentheater mimen darf als sei Silvio Berlusconi leibhaftig ins Kostüm geschlüpft. Das ist ein wahrer Augenschmaus, weil Kowalski die körperliche Präsenz  eines Dustin Hoffman auf die Bühne bringt und mit lauter Assoziationen an Charles Chaplin in der Rolle als “Großer Diktator” spickt. Das ist meisterlich und zudem höchst unterhaltsam. Kowalski bringt auch die Tiefe und Widersprüchlichkeit der tragischen Figur zum Ausdruck, die sich am Ende notgedrungen zur Fortsetzung des Possenspiels entscheidet, weil die Wirklichkeit für ihn alles andere als erfreulich wäre.

Bild v.l.n.r: Marc Baum, Sinja Dieks, Ulrich Kuhlmann Foto: Birgit Hupfeld/Ruhrfestspiele

Bild v.l.n.r:Marc Baum, Sinja Dieks, Ulrich Kuhlmann – Foto: Birgit Hupfeld/Ruhrfestspiele

Zum Inhalt: Ein Mann (Rudolf Kowalski), gekleidet wie Heinrich IV., stürzt bei einem Maskenumzug vom Pferd und hält sich von da an in der Adaption von Frank Hoffmann für Benito Mussolini. 20 Jahre lebt er in diesem Wahn, den die Menschen, die ihn umgeben, aufgreifen und weiterspielen. Dabei ist der “Verrückte” schon lange wieder aufgewacht, spielt seine Rolle aber weiter nach dem Motto: der Wahnsinn, das sind die anderen.

Bild v.l.n.r: Anne Moll, Maik Solbach, Ulrich Kuhlmann Foto: Birgit Hupfeld / Ruhrfestspiele

Bild v.l.n.r: Anne Moll, Maik Solbach, Ulrich Kuhlmann Foto: Birgit Hupfeld / Ruhrfestspiele

Hoffmann verändert auch die Rollennamen der Personen, die den Versuch unternehmen, Heinrich/Mussolini von seinem Wahn zu heilen und ihn aus seiner Verblendung wieder zu erwecken; so wird aus Heinrichs historischer Unterstützerin Mathilde von Tuszien Signora Bertha (Anne Moll).

Nervenarzt Genoni (Maik Solbach), der selbst den Charlie Chaplin gibt und „wie Goebbels“ aussieht, setzt auf die Rekonstruktion des fatalen Kostümfestes. Er will mit einer Art Schocktherapie Mussolini wieder zurück in die Wirklichkeit holen. Bertha und Tochter Frida (Sinja Dieks als jugendliches Ebenbild der Mutter) erscheinen in ihrer Rolle als die schöne Leni Riefenstahl, Fridas junger Ehemann Di Nolli (Marc Baum) ist ein Minister, Baron Belcredi der britische Premier Neville Chamberlain, Königin Elena tritt auf…

Doch Heinrich/Mussolini durchschaut das Spiel und nutzt seine Rolle als Verrückter weiterspielend, die Umstände seines Unfalles aufzuklären. Belcredi wird dabei als der Verursacher seines Unfalls identifiziert. Es war recht eigentlich ein verkapptes Attentat. Darauf  erschießt Heinrich/Mussolini Belcredi und muss, um nicht selbst angeklagt und verurteilt zu werden, die Rolle des Wahnsinnigen weiterspielen. Heinrich/Mussolini ist verdammt dazu, weiter den Verrückten zu mimen. (Dr. Jörg Bockow)

Ruhrfestspiele / Festspielhaus / Martinistraße 28 / 45657 Recklinghausen
Telefon 02361 – 92180
www.ruhrfestspiele.de

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