„Achtsam morden“ – das Erfolgsstück nach dem gleichnamigen Bestseller von Karsten Dusse – hatte gerade im Wolfgang Borchert Theater Münster seine gefeierte Premiere. Es war die letzte Premiere in diesem Jahr. Intendantin Tanja Weidner hat es sich nicht nehmen lassen, die rabenschwarze Komödie von Bernd Schmidt selbst auf die Bühne zu bringen, weiss sie doch ein exzellentes und überaus spielfreudiges Ensemble hinter sich, das bereit ist dem Affen Zucker zu geben.
Selbst am Borchert Theater hat man noch nie so viele sekundenschnelle und frappierende Rollenwechsel gesehen, wiewohl die inzwischen als ein Markenzeichen des Theaters bekannt sind. Mit nur wenigen Requisiten und verrückten Kostümwechseln (erstaunlich, was im winzigen Kofferraum des putzigen Peugeot-Cabrios alles möglich ist) gelingt dieses „Bäumchen wechsel dich“ mit Bravour. Rein in die Kiste – raus aus der Kiste.
Hinzu kommen das Spiel mit unterschiedlichen Dialekten und die überzeichnete Körpersprache, die Ivana Langmajer und Florian Bender leidlich ausnutzen, um insgesamt in 25 verschiedene Rollen zu schlüpfen. Zugegeben: Das muss man alles nicht ernstnehmen, selbst die ironischen Anspielungen auf den Hype für Achtsamkeitstrainings und die tüddelige Atmosphäre in einer KITA liegen im Trend und passen voll in die Spaßkultur der aktuellen Comedy-Scene. Es ist witzig und unterhaltsam.
Was beim Zuschauer zu einem Gedankenkarussell führen soll, wird von Gregor Eckert als Anwalt Björn Diemel und seinen beiden Mitspielern mit teuflischer Freude zelebriert und mit einer beeindruckenden Präzision ausgespielt. Alle Figuren agieren als Stereotypen. Sie sind bis an die Schmerzgrenze überzeichnet. Kein noch so verdrehter Sprachwitz, kein Gag und keine Pointe werden liegengelassen. Tanja Weidner hat das Ganze ohne jeden Firlefanz präzise, temporeich und höchst unterhaltsam inszeniert. Jeder Satz sitzt wie ein Hieb auf die Zwölf; nichts an diesen Dialogen ist zu viel oder gar überflüssig, was allerdings den Lauf der Story bis an seine Verständlichkeitsgrenze ausreizt.
Wer den Roman von Karsten Dusse oder mindestens die aktuelle TV-Serie noch nicht kennt, hat durchaus seine Schwierigkeiten den verworrenen Geschehnissen zu folgen und die Vielzahl der teilweise derben Pointen zu genießen. Das tut aber dem Mordsspass keinen Abbruch. „Achtsam morden“ ist eine geniale Tour de Force und ein Augenschmaus für Freunde der Schauspielkunst. Unterstützt wird dieser rasante Rollenwechsel durch das außergewöhnliche Bühnenbild von Annette Wolf: Ein Peugeot Cabrio steht im Zentrum und wird von Bühnen- und Kostümbildnerin Annette Wolf geschickt in die Szenen eingebunden. Mehr braucht es als Bühnenbild oder Deko nicht.
Der Autor des Romans Karsten Dusse ist selbst Jurist. Bereits neben seinem Studium gewann er als leitender Autor mit Ladykracher den Deutschen Fernsehpreis und den Deutschen Comedy-Preis. Auch war er für den Grimme-Preis nominiert. Dusse hat also ein Faible und Gespür für aberwitzige Szenen, die er in seinem Roman genüsslich und atmosphärisch dicht ausbreitet. Auf der Theaterbühne werden die Geschehnisse durch den Anwalt in einer Art Rückblende rekapituliert. Die Erinnerungen sind die Brücken zwischen den bizarren Szenen auf der Bühne und den pointierten Dialogen.
Der überaus erfolgreiche Anwalt und Strafverteidiger Björn Diemel ist an seine Grenzen gekommen: Er ist ein Workaholic. Job und Privatleben laufen diametral auseinander. Wegen seiner durchaus anspruchsvollen Mandanten hat er immer weniger Zeit für seine Frau und seine Tochter. Die Work-Life-Balance ist komplett aus den Fugen. Wenn sein prominentester Klient, in Person von Mafioso Dragan pfeift, muss Björn Diemel springen – nicht allein wegen des lieben Geldes, sondern auch wegen der angedrohten Konsequenzen. Dragan weiß sich durchzusetzen.
Diemels Frau Katharina schickt ihren Mann zu Joschka Breitner, einen angesehenen Achtsamkeitscoach. Dort soll er an sich arbeiten, um die Beziehung und letztlich auch sein Leben zu retten. Mit ein paar flotten Sprüchen und esoterischen Phrasen gelingt es ihm Björn Diemel tatsächlich zurück auf den Teppich zu bringen. Danach denkt er vor allem an sich selber. In stressigen Momenten heißt es nun: Erst einmal tief durchatmen, Abwarten und Tee trinken.
Bevor Björn Diemel mit seiner Tochter Emily im Wochenendhaus seines Mandanten ein entspanntes Wochenende am See verbringen kann, spitzen sich die Ereignisse zu: Diemel muss mit Dragan reden, der wegen eines bizarren Mordes von der Polizei gesucht wird. Als die Polizei anrückt, muss Diemel seinen Mandanten heimlich aus der Kanzlei schleusen. Dragan versteckt sich im Kofferraum. Doch der wird ihm zum Verhängnis, denn während des sommerlichen und heißen See-Wochenendes mit seiner Tochter vergisst der Anwalt glatt, dass Dragan in seinem Kofferraum liegt. Nach zwei Tagen Auszeit ist Björn Diemel tiefenentspannt – und Dragan tot.
„Ich musste erst 48 Jahre alt werden, um meinen ersten Mord zu begehen“, bekennt der Anwalt, der ab diesem Moment unter Druck ist und sich allerhand ausdenken muss, um nicht selber bei der Polizei, bei den Komplizen und Konkurrenten in Verdacht zu geraten. Im Strudel der aberwitzigen Ereignisse schlüpft Diemel in die Haut seines toten Mandanten und übernimmt als Dragan die Szenerie. Ab da pflastern Leichen seinen Weg und er gerät vom Regen in die Traufe.
Tanja Weidner erläutert ihr Regiekonzept: „Der Anwalt, der beginnt, achtsam zu morden, ist eigentlich ein ganz netter Kerl. Er möchte Gutes in die Welt bringen und Zeit mit seiner Familie verbringen. Doch die Gesellschaft zwingt ihn, das Recht zu beugen, um seine Verbrechermandanten durchzuboxen – ein Spagat, der ihn in einen inneren Zwiespalt stürzt. Vor der Brecht’schen Folie bedeutet das: Wir wären alle gerne gut und moralisch integer, aber die Umstände lassen es oft nicht zu. Achtsamkeit wird so zur Antwort auf den Druck, dem wir in einer komplexen Welt ausgesetzt sind.“
„Achtsam morden“ verspricht einen turbulenten und höchst unterhaltsamen Theaterabend. Kein Wunder, dass die ersten Vorstellungen im Nullkommanix ausverkauft sind. (Jörg Bockow)
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