„All das Schöne“ im WBT Münster

„All das Schöne“, das Einpersonenstück des Briten Duncan Macmillian (Mitwirkung des Comedian Jonny Donahoe) hatte gerade im Wolfgang Borchert Theater Münster seine Premiere. Florian Bender wurde für seine einfühlsame, sensible und in jeder Sekunde berührende Darstellung eines jungen Mannes gefeiert und bejubelt. Seine Leidenschaft als Schauspieler springt unmittelbar auf Zuschauerinnen und Zuschauer über. Florian Bender schlüpft nicht einfach in eine Rolle – er verwandelt sich mit jeder Faser in seinen Protagonisten. Wirklich bewegend!

„All das Schöne“ im WBT Münster

“All das Schöne” mit Florian Bender im Wolfgang Borchert Theater – Foto Laura Ritter

Das Publikum wurde an diesem Abend von ihm durch ein Tauchbad der Gefühle geschickt. Das Stück besitzt viele umwerfend komische und unterhaltsame Momente, berührt aber auch Gefühle und Gedanken, die einen nicht nur mitfühlen lassen, sondern vor Rührung die Tränen in die Augen treiben.

“All das Schöne” mit Florian Bender im Wolfgang Borchert Theater – Foto Laura Ritter

Es gab für “All das Schöne” langanhaltenden Applaus. Dabei behandelt der kaum mehr als eine Stunde und 15 Minuten dauernde Monolog kein ganz einfaches Thema. Das Stück beschäftigt sich auf außergewöhnliche Weise mit schwierigen Themen wie Depression sowie Suizid und erinnert zugleich an die unzähligen kleinen Freuden, die einem das Leben erst lebenswert machen.

„All das Schöne“ im WBT Münster

“All das Schöne” mit Florian Bender im Wolfgang Borchert Theater – Foto Laura Ritter

Nach dem Theaterabend erwischt man sich dabei, wie man selber im Kopf eine solche Liste anlegt und überlegt sich, was für einen selber unbedingt darauf gehört. Tatsächlich gibt es kaum jemanden, der nicht irgendwann von unerhörtem Grübeln, bohrenden Selbstzweifeln, schmerzender Einsamkeit und dem Leiden an einer tiefen Depression erwischt wird.

“All das Schöne” mit Florian Bender im Wolfgang Borchert Theater – Foto Laura Ritter

„Erstens: Eiscreme. Zweitens: Wasserschlachten. Drittens: Länger aufbleiben dürfen als sonst und fernsehen.“  So beginnt die Liste des siebenjährigen Jungen mit allem, was das Leben lebenswert macht. Grund für diese ungewöhnlich Sammlung ist der erste Suizidversuch seiner Mutter. Der Junge möchte seiner Mutter Gründe nennen, die das Leben lebenswert machen. Die Liste ist eine tolle Idee, die am Ende ihm selbst aber mehr nutzt als seiner Mutter.

“All das Schöne” mit Florian Bender im Wolfgang Borchert Theater – Foto Laura Ritter

Der Junge wird älter, die Liste mit der Zeit länger.“ 26. Ins Meer pinkeln und keiner merkt’s. 320. Sich nach einem Streit wieder vertragen. 123321. Palindrome.“ Immer wieder beschäftigt sich der Junge mit seinen Glücksmomenten und ergänzt sie – handschriftlich auf immer neuen Zetteln, Blättern und schließlich gar auf einer langen Tapetenbahn.

„All das Schöne“ im WBT Münster

“All das Schöne” mit Florian Bender im Wolfgang Borchert Theater – Foto Laura Ritter

Als der junge Mann ein Studium beginnt und sich zum ersten Mal verliebt, fügt er hinzu: „517. Mit jemandem so vertraut sein, dass man ihn nachgucken lässt, ob man Brokkoli-Reste zwischen den Zähnen hat.“ Tatsächlich kann er mit seiner Liste die selbstzerstörerische Depression seiner Mutter nicht heilen. Eines Tages ist sie tot und er bemerkt, wie er selber zusehends seltsamer und von seinem Zweifeln am Leben ergriffen wird. Er und seine Frau trennen sich, weil sie sich ohne es bemerkt zu haben auseinandergelebt haben. Seine Liste wird länger und länger, weil er sich selber damit am Leben erhalten will. Es gibt eine Millionen Gründe am Leben zu bleiben. „Es wird besser. Nicht unbedingt immer absolut schön. Aber besser.“ Die wichtigste Erkenntnis, die er am Ende sich und dem Publikum mit auf den Weg gibt: „Es einfach nicht zu tun!“ Das macht Mut.

„All das Schöne“ im WBT Münster

“All das Schöne” mit Florian Bender im Wolfgang Borchert Theater – Foto Laura Ritter

Publikumsnähe ist das entscheidende Moment der von Katinka Kratzer als Regisseurin umgesetzten Inszenierung. Übrigens ist es ihre erste Regiearbeit, die ihr mit Bravour gelungen ist. Sie lässt „All das Schöne“ im Foyer des Theaters spielen, was eine große Nähe schafft, ja beinahe die Intimität eines Wohnzimmers erweckt. Florian Bender kann immer wieder von der Bühne direkt ins Publikum steigen und unmittelbar mit einzelnen Zuschauern sprechen und sie charmant in das Geschehen einbeziehen. Darüber hinaus übernehmen viele auch die kleine Aufgabe bei Nennung einer Ziffer einen Glücksmoment von einem Zettel laut ins Publikum zu rufen.

“All das Schöne” mit Florian Bender im Wolfgang Borchert Theater – Foto Laura Ritter

Florian Bender gelingt dieser Kunstgriff wundervoll und sehr einfühlsam. Mit sanfter Überzeugungskraft, mit kleinen Regieanweisungen und sowie seinen soufflierten Textvorgaben verwandelt er einige der Zuschauerinnen und Zuschauer für einige Momente oder ein paar Minuten in Mitspieler und macht aus ihnen mal seinen Vater, den Tierarzt oder seine Freundin und spätere Ehefrau. Das klappt so mühelos, dass man auf die Idee kommen könnte, dass alles vorher abgesprochen worden ist – was es tatsächlich nicht ist. Diese wundervollen Interaktionen erzeugen eine große Intensität und das ganz ohne, dass jemand lächerlich gemacht würde. Am Ende gibt es auch für sie einen starken Applaus.

Bender verkörpert die Hauptfigur auf seinem Lebensweg vom Kind bis zum Mann mit einer bemerkenswerten Mischung aus Verletzlichkeit und Humor. Vom ersten Moment an schafft er es mit Authentizität Publikum in seine Welt hineinzuziehen, und macht die Geschichte seines Charakters zu etwas Greifbarem. Seine Darstellung ist so glaubwürdig, dass man als Zuschauer schnell vergisst, dass man in einem Theater sitzt. Es fühlt sich eher so an, als wäre man Teil des Lebens dieser Figur, mitten in ihrem Ringen um Hoffnung und Lebensfreude.

„All das Schöne“ ist ein Stück, dem man möglichst viele Aufführungen und viele Zuschauer wünscht. Es geht ans Herz, macht Mut und regt an, sich mit einem todernsten Thema und einer immer mehr um sich greifenden Krankheit auseinanderzusetzen. Großartig! (Jörg Bockow)

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