Westfalens ältester Homo-Sapiens-Fund

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(Update 30.05.2023) Historischer Homo-Sapiens-Fund in Hagen. 12.000 Jahre sind die menscheichen Überreste alt, die bei den jüngsten Ausgrabungen an der Blätterhöhle gefunden wurden. Damit gelang den Archäologinnen und Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) der bislang älteste Fund des modernen Menschen (Homo sapiens) in Westfalen.

Unterkiefer eines siebenjährigen Kindes sowie die dazugehörigen Zähne. Foto: LWL

Aktueller Homo-Sapiens-Fund aus der Altsteinzeit in Hagen: Unterkiefer eines siebenjährigen Kindes sowie die dazugehörigen Zähne – Foto: LWL

Es „grenzt an eine Sensation“

Zu den Fundstücken, so die Mitteilung des LWL, gehören ein Unterkieferfragment sowie einige Zähne und Zahnfragmente eines etwa sieben Jahre alten Kindes und der abgenutzte Zahn eines Erwachsenen. Dr. Georg Lunemann, der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe: „Das Ganze ist absolut besonders. Die Funde hier grenzen an eine Sensation.“

Fraglich ist derzeit noch, warum nur das Unterkieferfragment sowie die Zähne des Kindes und keine weiteren Knochen gefunden wurden. Das Team vor Ort hofft, bei zukünftigen Grabungen auf weitere Überreste des Individuums zu stoßen. „Die Funde zeigen erneut, dass die Blätterhöhle in Hagen ein bedeutender archäologischer Fundort ist und gefördert und intensiv untersucht werden muss. Wir haben jetzt Antworten auf einige Fragen bekommen, dafür sind andere aufgekommen: Wurde das Kind dort beerdigt oder ist es bei einem Unfall gestorben“, ordnete Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger, Kulturdezernentin des LWL und selbst Archäologin, die Funde ein. „Wir befinden uns auf einer Reise, auf der wir nach und nach einzelne Puzzlesteine zusammensetzen, um das Bild der Steinzeit hier an der Blätterhöhle zu komplettieren.“

Dramatischer Klimawandel“ vor 12000 Jahren

Die Fundsituation ermögliche darüber hinaus Einblicke in das damalige Klima und die Umwelt der altsteinzeitlichen Blätterhöhle, so die LWL-Mitteilung. Prof. Dr. Michael Baales, Archäologe des LWL: „Die neuen Menschenfunde stammen aus einer ausgesprochenen Kaltphase, die Zeit der letzten Rentierjäger, der sogenannten Ahrensburger Kultur. Damals bejagten die Menschen in Westfalen Rentierherden, die im Frühjahr aus dem Norden in die Mittelgebirge zogen. Die Datierung einzelner Rentierknochen aus der Höhle “Hohler Stein’ bei Kallenhardt im Kreis Soest stimmen mit denen der neuen Fundschicht an der Blätterhöhle überein. An der Blätterhöhle wurden jedoch keine Knochen von Rentieren gefunden, sondern nur die Überreste von Rothirschen.“

Alles deute darauf hin, dass es vor 12.000 Jahren innerhalb kürzester Zeit zu einem dramatischen Klimawandel kam. Die kurzfristige Erwärmung habe zu einem schnellen Wandel in der Flora und Fauna geführt. Baales: „Dieser Wandel hat zu einer Migration von Tier und Mensch aus benachbarten Gegenden in unsere Region geführt. Das belegen auch die zahlreichen Steingeräte, die wir gefunden haben: so sind diese Steingeräte keine der letzten Rentierjäger, sondern solche, wie wir sie für diese Zeit zum Beispiel aus Frankreich oder auch Süddeutschland kennen. Das zeigt einmal mehr, wie mobil die damaligen Menschen in Europa waren und wie rasch sie sich an neue Gegebenheiten anpassen konnten.“

„Auch für die Stadt Hagen sind die Erkenntnisse von Bedeutung“, so Dr. Ralf Blank, Fachdienstleiter Wissenschaft, Museen und Archive der Stadt Hagen, zum aktuellen Homo-Sapiens-Fund. „Jeder neue Fund ist eine Ergänzung der Stadtgeschichte. Und in unserem Archäologiemuseum Hagen im Wasserschloss Werdringen wird diese sogar richtig greifbar.“ Dass die neuen Erkenntnisse zudem international von Interesse sind, zeige die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in dem in Fachkreisen anerkannten open-access Journal „PLOS ONE“.

Im August sollen die Grabungen an der Blätterhöhle weitergehen. Ob gegraben werden kann oder nicht, ist immer auch eine Frage der vorhandenen finanziellen Mittel. Ermöglicht wurden die Grabungen der vergangenen Jahre durch Denkmalfördermittel des Landes NRW, die LWL-Archäologie für Westfalen, die Stadt Hagen sowie weitere Sponsoren. Derzeit wird in Zusammenarbeit mit der Universität zu Köln ein Forschungsantrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vorbereitet.

Die neuen Funde wurden bei Ausgrabungen auf dem Vorplatz der Höhle geborgen. Die Fachleute haben dabei Schicht für Schicht abgetragen - Foto: LWL

Die neuen Funde wurden bei Ausgrabungen auf dem Vorplatz der Höhle geborgen. Die Fachleute haben dabei Schicht für Schicht abgetragen – Foto: LWL

Hintergrund

Im Jahr 1983 hat der Arbeitskreis Kluterthöhle e. V. die Blätterhöhle entdeckt. Über dessen Arbeit findet sich auch etwas auf Wikipedia, auch über die Blätterhöhle gibt es dort einen Beitrag.

Ihren Namen bekam die Höhle, so die Information des LWL, da der gesamte Bereich dicht mit Laub aufgefüllt war. Als im Jahr 2004 der Grundwasserspiegel am Weißenstein, dem Gebiet rund um die Blätterhöhle, untersucht werden sollte, wurde der verschüttete Eingangsbereich der Höhle freigeräumt, um so in die Tiefe vordringen zu können. Dabei fanden sich die ersten menschlichen Überreste. Seitdem führen Fachleute regelmäßig Grabungen in und vor der Höhle durch. Insgesamt wurden bislang menschliche Reste von fünf Individuen aus einem frühen Abschnitt der Mittelsteinzeit (vor 11.200 bis 10.700 Jahren) und von sechs oder sieben Individuen aus der späten Jungsteinzeit (vor 6.000 bis 5.000 Jahren) geborgen.

Beim aktuellen Homo-Sapiens-Fund handelt es sich um die ersten menschlichen Funde aus der Altsteinzeit an der Blätterhöhle. Es gilt als gesichert, dass die Menschen damals nicht in der engen Höhle lebten, sondern sich wiederholt auf dem Vorplatz aufhielten, so die LWL-Mitteilung. Die Lage der Höhle sei gut geeignet gewesen, da sie die Menschen vor dem Wetter schützte und die nahen Bach- und Flusstäler reichlich Nahrung boten.

Federführend für die Ausgrabungsarbeiten sind Prof. Dr. Michael Baales, Leiter der Außenstelle der LWL-Archäologie für Westfalen in Olpe, Wolfgang Heuschen, langjähriger Projektleiter für die Stadtarchäologie Hagen, sowie Privatdozent Dr. Jörg Orschiedt (Halle, Sachsen-Anhalt), erster Projektleiter und heute enger Kooperationspartner.

So skizzieren die Fachleute die Situation rund um die Blätterhöhle in der Altsteinzeit. Die Lage der Höhle war für die Menschen optimal: geschützt vor Wetter und wilden Tieren, aber unmittelbar am Wasser. Foto: LWL

So skizzieren die Fachleute die Situation rund um die Blätterhöhle in der Altsteinzeit. Die Lage der Höhle war für die Menschen optimal: geschützt vor Wetter und wilden Tieren, aber unmittelbar am Wasser – Foto LWL

 

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