In unserer marktwirtschaftlichen Demokratie verfolgen politische Parteien das Ziel, sich die mit den Regierungsämtern verbundenen Vorteile zu verschaffen. Sie streben nicht an die Regierung, um eindeutige politische Konzepte zu verwirklichen, sondern um mit wählerfreundlichen politischen Parolen an die Macht zu kommen. Deshalb ist die Maximierung der Wählerstimmen ihr Hauptmotiv und nicht die Optimierung des Nutzens für den Staat und die Bürger.
Selbst bei gutem Willen hindert viele Volksvertreter ihr dürftiges Fachwissen an der Arbeit fürs Gemeinwohl. Bei diesen Dünnbrettbohrern wird der Zuruf „avanti, avanti Dilettanti“ nichts bewirken.
Würden Sportler für die Teilnahme an den Olympischen Spielen so nominiert, wie Politiker für Fachresorts, träte vielleicht ein erfolgreicher Hochspringer im Gewichtheben, eine Diskuswerferin im Dressurreiten oder eine Hürdenläuferin im Degenfechten an.
Altkanzler Helmut Schmidt sagte angesichts der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise: „Eine unerhörte Fahrlässigkeit der politischen Klasse insgesamt, die sich leichtfertig auf die Illusion einer selbständigen Heilungskraft der Finanzmärkte verlassen hat, statt rechtzeitig einzugreifen.“
Nur so konnte die US-Immobilienkrise wie ein Steppenbrand auf Europa überspringen. Das hätte verhindert werden könne, denn der Spiegel hatte bereits am 25. September 2006 unter dem Titel „Die Billionen-Blase“ vor Derivaten und Immobilienkrediten ohne dingliche Absicherungen in den USA gewarnt.
Damals hatten amerikanische Banken ihren Kunden hohe Hypothekenkredite aufgedrängt, auch wenn die Käufer kein Eigenkapital besaßen und über ein viel zu niedriges Einkommen verfügten. Die faulen Kredite wurden gebündelt und als Wertpapiere an Investoren weiterverkauft. Den Inhalt der festverschnürten Pakete schaute sich niemand genauer an. Als jedoch immer mehr überforderte Eigenheimbesitzer mit ihren Raten in Rückstand gerieten, platzte die Blase. Die Folge war eine globale Finanz- und Wirtschaftskrise. Die erreichte ihren Höhepunkt mit dem Zusammenbruch der US-Investmentbank „Lehman Brothers” am 15. September 2008.
Doch warum in die Vergangenheit schweifen, denn in Deutschland gibt es gegenwärtig vergleichbare Probleme.
Laut Duden steht „avanti“ für vorwärts!, los!, weiter! Das möchte man gern Bundeskanzler Olaf Scholz zurufen, denn zwischen seinen automatenhaften Ankündigungen und seinen Taten vergeht oft wertvolle Zeit der Ungewissheit. Diese Langsamkeit hat auch die Ampelkoalition erkannt und übt Maßnahmen zur Verbesserung seiner politischen Reaktionsgeschwindigkeit.
Besorgte Spitzenpolitiker wollen den Bundeskanzler mit einem speziellen Training reaktionsschneller machen. „Wir versuchen, ihn mit provokanten Thesen aus der Reserve locken“ beschreibt ein Insider die peinliche Amtshilfe. „Je öfter wir etwas sagen, worauf er reagieren muss, desto früher kehrt seine Fähigkeit zur Reaktion zurück. Diese Übungen hätten bei den merkwürdigen Gedächtnislücken keine Wirkung entfaltet.
Mit dem Reaktionstraining hätte die Ampel früher beginnen müssen, denn bei der Pressekonferenz mit dem Palästinenserpräsident Mohamoud Abbas war die Reaktionszeit des Bundeskanzlers ausgesprochen peinlich. Als Abbas dem Staat fünfzigfachen Holocaust an den Palästinensern vorwarf, schwieg Scholz, als hätte er die skandalöse Äußerung nicht gehört.
Es dauerte 14 Stunden, bis er über seinen Pressesprecher erklären ließ: „Eine Relativierung des Holocausts mit seinen sechs Millionen Toten ist völlig inakzeptabel, dies auch noch auf deutschem Boden zu tun, sei absolut unentschuldbar.“
Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck benötigt diese Nachhilfe nicht. Er kommuniziert deutlich besser, ist reaktionsschnell und bringt einen neuen Ton in die Politik. Er argumentiert frisch, offen, ehrlich und schnörkellos – sodass die Menschen seine Anliegen verstehen. In der Krise wurde er zum Nebenkanzler. Er ist eine Leitfigur, indem er das Leid der Menschen aufgreift, und versucht, sie mit verständlichen Worten durch die schweren Zeiten zu führen
Erinnern wir uns an den 24. Dezember 1995: Der erste Mensch schwebt frei im Weltall. Der amerikanische Kosmonaut Neil Armstrong verließ das mit von ihm gesteuerte Raumschiff „early bird“, flog diesem für einige Minuten frei schwebend voraus. So vermittelte er durch seine Leistung der Forschung entscheidende Erkenntnisse und durch seinen Mut neue Impulse.
Dieses amerikanische Ereignis im Weltall ist gewissermaßen der Leitstern für die Wege von Robert Habeck und Annalena Baerbock nach dem Beginn des Angriffskrieges von Wladimir Putin auf die Ukraine. Ihre Wege gleichen dem „Early Bird“, der immer als erster kommt, Kontakte sucht und vermittelt, und der seinem Schiff im freien Raum vorauseilt und ihm so neue Impulse verleiht.
Die beiden Regierungsmitglieder haben vom ersten Tag nach dem Krieg sehr viel bewegt, im wahrsten Sinn des Wortes, in Bewegung gebracht – was niemand für möglich gehalten hat. Inzwischen stellten sich bei Habeck allerding Mängel im betriebswirtschaftlichen Wissen heraus.
Seit dem 8. Dezember 2021 ist Robert Habeck im Rahmen der ersten Ampel-Koalition auf Bundesebene der Stellvertreter des Bundeskanzlers sowie Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz. Um den Problemen der drohenden Energiekrise zu begegnen, setzte er sich über Grundprinzipien der Grünen hinweg. So sprach er sich dafür aus, Kohlekraftwerke vorübergehend zu reaktivieren, um Gas zu sparen. Das war eine bittere Kehrtwende für die Grünen in der Klimapolitik.
Zur Deckung des Energiebedarfs verhandelte er nicht nur mit Demokratien, denn viele Opec-Staaten sind nach seiner Meinung problematisch. „Aber zwischen einem nicht demokratischen Staat, bei dem die Situation der Menschenrechte problematisch ist, und einem autoritären Staat, der einen aggressiven, völkerrechtswidrigen Krieg vor unserer Tür führt, gibt es noch mal einen Unterschied. Wir können nicht alle Länder von Energielieferungen ausschließen.“
So stand die Menschenrechtslage in Katar seit der Vergabe der Fußball-WM 2022 im Fokus der internationalen Aufmerksamkeit. Trotzdem hat Habeck im Ringen um mehr Unabhängigkeit von russischem Gas eine Energiepartnerschaft mit Katar vereinbart.
Darüber hinaus ist vorgesehen, israelisches Gas in Ägypten zu verflüssigen und dann nach Europa zu verschiffen.
Die befristete Versorgung mit Flüssigerdgas (LNG) ist eine finanzielle und technische Herausforderung, denn Deutschland hat sich nicht auf eine alternative Versorgung zur Abhängigkeit von Russland eingestellt.
Weil es keine fest installierten Terminals zur Löschung von verflüssigtem Erdgas gibt, wurden als Notlösung in aller Eile schwimmende Terminals gemietet. Für die Planung und den Bau der entsprechenden Anlande-Anlagen inklusive einer Pipeline zum nächstgelegenen Festland-Speicher wird deutlich weniger Zeit benötigt, als für den Bau von festen LNG-Terminals an Land üblicherweise einzuplanen sind.
Bei den schwimmenden LNG-Terminals handelt es sich in der Regel um umgebaute frühere Gas-Tanker: An Bord der Plattform wird das für den Transport auf minus 160 Grad abgekühlte, verflüssigte und so im Volumen stark reduzierte Gas gespeichert. Bei Bedarf wird es im schwimmenden Terminal erwärmt und wieder in den gasförmigen Zustand zurückversetzt, sodass es via Pipeline an Land gepumpt werden kann.
Nicht so gut lief es bei der Besetzung des Verteidigungsministeriums.
Bundeskanzler Olaf Scholz berief nämlich die SPD-Parteisoldatin Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin ins Kabinett. Dabei hatte er wohl Loyalität für Kompetenz gehalten. Denn es dauerte nicht lange, da listete der „Spiegel“ ein ganzes Bündel von Kompetenzmängeln, Uninformiertheiten und, schlimmer noch, Desinteresse, Arroganz und wenig Einsatz der Ministerin auf.
Dem „Spiegel“ zufolge sagte ihr Stab bereits kurz ihrem Amtsantritt den Schnellkurs für fachliche „Greenhorns“ ab, weil Lamprecht keine Lust zeigte, in wenigen Tagen alles über die Ministeriumsstruktur zu erfahren, sowie in Gespräche mit den Spitzenleuten in Uniform die wesentlichen Problemfelder von Bundeswehr und Verteidigungspolitik erläutert zu bekommen.
Die Berufung war absolut nicht nachvollziehbar, denn Lambrecht hatte bereits 2021 erkennen lassen, dass sie auf Politik auf so hohem Niveau eigentlich keine Lust mehr habe. Sie wolle das Leben aus dem Koffer beenden und trete nicht mehr für ein Bundestagsmandat an.
Dass Lambrecht nicht im Stoff stehe und trotz ihrer bekannten Nähe zum Kanzler oft „weniger wisse als wir im Bundestag“, sei inzwischen allen Abgeordneten im Verteidigungsausschuss klar.
So behauptete sie im Bundestag, dass der Flugabwehrpanzer Gebhard kein Panzer sei: „Natürlich ist beides schwer, hat beides große Rohre. Aber es ist eben kein Panzer.“
Klaus Schweinsberg, Leiter des Centrums für Strategie und Höhere Führung, hat nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach erklärt, Lambrecht sei „aus Sicht der Deutschen ein Totalausfall”.
Diese Einstufung gilt nicht für Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die wegen fehlender Regierungserfahrung zunächst kritisch beäugt wurde, nun aber in die Gruppe der beliebtesten Politikerinnen vorgestoßen ist. Ihr Markenzeichen ist es, den deutschen Standpunkt auch in schwierigen Fragen unverblümt zu vertreten. Dadurch ist sie zur Ministerin „Klartext“ geworden.
Baerbocks außenpolitische Auftritte unterscheiden sich deutlich von früheren Auftritten deutscher Außenpolitiker bei Pressekonferenzen mit ausländischen Kollegen. Was damals eigentlich hätte kritisch angemerkt werden müssen, fand sich später lediglich in einem schriftlichen Kommuniqué.
Beim Antrittsbesuch von Annalena Baerbock in der Türkei kam es zu einem offenen Schlagabtausch mit ihrem Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu. In der gemeinsamen Pressekonferenz in Istambul lieferten sich die beiden Politiker Wortgefechte zur erwarteten türkischen Offensive in Nordsyrien, zur Inhaftierung des Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala und zum Insel-Streit zwischen Griechenland und der Türkei.
Auch gegenüber Russlands Chefdiplomaten Sergej Lawrow hat sich die deutsche Außenministerin als eine Gesprächspartnerin auf Augenhöhe erwiesen. Am Ende der Pressekonferenz sah man der Außenministerin die Anstrengung an. Ihr Lächeln war verschwunden. Zweieinhalb Stunden intensiver Austausch mit Sergej Lawrow laufen nicht unter Smalltalk. Daran sind bereits gewiefte Politiker gescheitert. Zum Beispiel vor einem Jahr der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, der vor laufenden Kameras von Lawrow abgekanzelt wurde. Baerbock dagegen hat die Prüfung ohne Blessuren bestanden, obwohl sie gerade erst anderthalb Monate im Amt war.
Baerbock stand nicht nur unter erheblichem innenpolitischen Druck. Auch die europäischen Partner beobachteten genau, ob sie Lawrow gewachsen war – sie war es. In der Pressekonferenz nahm sie kein Blatt vor den Mund, betonte die fundamentalen Meinungsverschiedenheiten zwischen Russland und Deutschland in der Ukraine-Frage.
Lawrow hatte nach einer Aufzählung von allen behandelten Themen versucht, die Auseinandersetzung über den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zum Nachbarland unter ferner liefen abzuhandeln. Aber das ließ Baerbock ihm nicht durchgehen. Sie machte klar, dass die europäische Friedensordnung nicht verhandelbar sei, es keine Grenzverschiebungen geben dürfe und die Drohung mit Gewalt inakzeptabel sei. Dieses Problem in Moskau so offen auszusprechen, verlangt von einem Neuling auf dem diplomatischen Parkett viel Mut, dem die Zuhörer zurecht Respekt zollen.
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