Martin Luther 2.0: Im Jahr 2022 stehen die Deputate des Staates für kirchliche Würdenträger auf der Agenda. Allein es scheint der Wille zu fehlen.
Schon beim Reichstag in Worms ging es 1521 um die Finanzierung der katholischen Kirche. Umstritten war der Handel mit Ablassbriefen zur Bezahlung der Baukosten für den Petersdom im Vatikan.
Unter dem Druck Napoleons verabschiedete der Reichstag in Regensburg im Jahr 1803 den Reichsdeputationshauptschluss. Danach wurden die geistlichen Fürsten im Zusammenhang mit der beginnenden Säkularisierung verpflichtet, ihre Besitztümer an die weltlichen Fürsten abgeben.
Letztlich beendete Napoleon damit die deutsche „Kleinstaaterei” und ermöglichte die Einführung liberaler Reformen. Ferner ließ er Kirche und Staat voneinander trennen, indem er die Geistlichen Territorien auflöste und einem Landesherrn unterstellte. Napoleon galt aufgrund seiner politischen und territorialen Veränderungen als Reformer.
In Rahmen der Weimarer Reichsverfassung wurde auch die Trennung von Kirche und Staat. Die Kirchen erhielten den Status von Körperschaften des Öffentlichen Rechts ohne hoheitliche Befugnisse. Gleichzeitig bekamen sie als neue Finanzgrundlage die Möglichkeit, flächendeckend Kirchensteuer von ihren Mitgliedern einzuziehen. Damit war die sachliche Begründung für die mit dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 geregelten Staatskirchenleistungen entfallen. Folgerichtig verfügte die Weimarer Reichsverfassung die Ablösung der Deputate als verfassungsmäßigen Auftrag an die Reichsregierung. Doch nichts geschah.
Aus historischen Gründen wäre jetzt die Einberufung eines Konzils nach Worms ein deutliches Zeichen für die dringend notwendige Reformierung der kirchlichen Strukturen gewesen, die von den Gläubigen immer weniger akzeptiert wurden. Die stark steigende Zahl der Kirchenaustritte ist ein deutliches Zeichen für den Reformstau. Martin Luther 2.0 liegt in der Luft.
Viele Bürgerinnen und Bürger stellen sich heute die Frage, warum beispielsweise für die Klosterauflösungen vor 200 Jahren aus der Staatskasse immer noch die Gehälter und die Altersversorgung der Bischöfe, Kardinäle und andere Würdenträger gezahlt werden. Die mehrfach erneuerten Verträge zwischen Staat und Kirchen sind absurd für eine Demokratie. Es wird höchste Zeit, eine plausible Erklärung für die „ewige Rente“ zu finden, oder sie im Rahmen von Martin Luther 2.0 abzuschaffen.
Derzeit überweisen die deutschen Bundesländer Dotationen in Höhe von zusammen jährlich 540 Millionen Euro an die evangelische und katholische Kirche, ohne dass von den Christen dafür eine Gegenleistung erwartet wird. Das Geld kommt aus Steuermitteln. Das heißt, auch wer nicht Kirchenmitglied ist, beteiligt sich an der Finanzierung der kirchlichen Würdenträger. Lediglich die Gehälter der Pfarrer werden aus der Kirchensteuer gezahlt.
Ein Gesetzzentwurf aus dem Jahr 1919 zielte darauf ab, alle Bundesländer (denn diese zahlen die Staatsleistungen an die Kirchen) zu verpflichten, innerhalb einer gesetzten Frist die Ablösung der Staatsleistungen mit den Kirchen auszuhandeln und die Zahlungen einzustellen.
Der Entwurf sah eine einmalige Ablösung in Höhe des 10-fachen Betrages des zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes jährlich gezahlten Dotationsbetrages. Im Entwurf war auch die Möglichkeit einer Ratenzahlung innerhalb von maximal 20 Jahren vorgesehen.
Nach einem im Bundestag 2020 diskutierten Gesetzentwurf von Grünen, FDP und Die Linke soll sich die maximale Höhe der Ablöseleistungen am sogenannten Äquivalenzprinzip orientieren und das 18,6-fache der jährlich zu leistenden Zahlung betragen. Der Barwert entsprach also rund zehn Milliarden Euro. Die Länder sollten die Ablösung innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten beschließen und binnen 20 Jahren abwickeln. Doch wieder geschah nichts.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Umsetzung dieses Verfassungsauftrages immer noch aussteht. Mal sehen, ob die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP das Thema erfolgreich angeht.
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