Recklinghausen – Ihre Sprache ist derb, aggressiv und so brutal wie ihre Fantasien und ihre Aktionen. Wenn Heiko und seine vier Freunde als Gang auftreten und sich zum “Kampf verabreden”, dann geht es richtig zur Sache. Dann kriegen vor allem die Fans von Eintracht Braunschweig eins auf die Fresse. Alkohol und Gewaltexzesse sind ihr wichtigster Lebensinhalt. Da wird Frust ausagiert bis Blut spritzt, Zähne fliegen und Knochen brechen.
Als Gruppe von fünf Fußballfreunden treten sie mit einer Brutalität auf, dass das Publikum sich mitunter angewidert abwendet und einen Würgreiz unterdrücken muss. Dabei erleben die fünf verschworenen Hooligans bei ihren gewaltsamen Ausflügen, beim Training im Fitnessstudio oder in der Kneipe einen Zusammenhalt und eine Solidarität, die sie in ihren eigenen Familien so schmerzlich vermissen.
Alles ist nur ein Spiel: Lars-Ole Walburg hat den Debütroman “Hool” von Philipp Winkler über Hooligans von Hannover 96 für die Bühne adaptiert. Die Rahmenhandlung ist der Dreh für eine Dokumentation über gewalttätige Fußballfans. Die Fünf Freunde spielen und sprechen in einem Synchronstudio und turnen über eine klug angelegte Drehbühne, die mal Studio, dann Wohnung und schließlich Gerüst am Stadion von Hannover 96 darstellt. Kraftvoll bis an die Grenze der körperlichen Leistungsfähigkeit und in jeder Sekunde überzeugend agieren die fünf Schauspieler: Nicola Fritzen, Carolin Haupt, Philippe Goos, Daniel Nerlich, Sebastian Weiss. Eine großartige Leistung!
Mit seinem Romandebüt “Hool” schaffte es Philipp Winkler im vergangenen Jahr auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Der Roman ist wie ein Schlag ins Gesicht. Er schildert die Wirklichkeit einer Gruppe von Hooligans unverblümt und in einer authentischen Sprache. Die Bühnenfassung ist die dramatische Umsetzung, die dem Buch in nichts nachsteht.
Die Uraufführung bei den diesjährigen Ruhrfestspielen ist ein echtes Highlight im Programm: Realistisch und verdammt unbequem. Sie geht unter die Haut. Das Stück löst heftige Diskussionen über unsere aktuelle Fußballkultur, aber eben auch über eine alleingelassene Jugend aus. “Hool” ist im besten Sinne eine ungeschminkte Milieustudie und ein geniales Lehrstück. Die Inszenierung ist in Kooperation mit dem Schauspiel Hannover entstanden. Das Stück wird im Herbst in Hannover über die Bühne gehen. Man kann nur hoffen, dass die Aufführung dort viele Schulklassen anzieht und zu eingehenden Diskussionen führt.
“Heiko ist Hannoveraner Hool, was bedeutet, Braunschweig ist der Feind und das einzig lohnende Ziel heißt, die eigene Rotte berühmt zu machen und Hannover mit Tritten und Schlägen ‘auf die Landkarte zu setzen’. Winklers Protagonist erzählt von den Schlachten als einzigem Höhepunkt eines öden Lebens. Er berichtet dies in so authentischem Ton, dass alle Welt rätselte, ob der Autor das alles so wirklich erlebt oder einfach einen exzellent recherchierten Roman geschrieben hat.
Der Text fasziniert, weil er den Zugang öffnet zu einer verschlossenen Welt hinter den sprachlosen Masken der Gewalt. Ein ungerichteter Zorn tobt in Heiko, den er weder verbergen noch kontrollieren kann. Seine Mutter hat sich aus dem Staub gemacht, der Vater ist ein hoffnungsloser Trinker. Die Hooligans sind wie eine zweite, die eigentliche Familie. Eine Gemeinschaft, mit der man säuft, mit der man prügelt, nach dem Motto: Das Leben ist Kampf!” (Programmankündigung)
Bei aller Authentizität der Figuren und ihrer Sprache, das Stück lädt an keiner Stelle zur Identifikation ein. Die Personen faszinieren nicht, sie bewirken allenfalls Mitleid. Der Zuschauer bleibt in der Rolle des Beobachters, der Zusammenhänge erahnt und verstehen kann. Die fünf Freunde werden nachvollziehbar, ohne dass sie zu Helden werden. Sie sind und bleiben Looser.
Am Ende bleibt Heiko mit seiner Wut auf alles alleine. Seine Verzweiflung kennt keine Grenzen. Seine seelischen Verletzungen sind so groß, dass es für ihn keine Rettung mehr geben wird. Seine Freunde machen sich eine(r) nach dem anderen davon, entwickeln neue Perspektiven nachdem einer von ihnen in einem Kampf so schwer verletzt wird, dass er sein Augenlicht verliert. Die Dramaturgie des Theater will es, dass es einen Höhepunkt und einen Abschluß gibt. Im wirklichen Leben sind solche Lösungen vermutlich eher die Seltenheit. (Jörg Bockow)
“Hool”
nach dem Roman von Philipp Winkler
Regie: Lars-Ole Walburg, Bühne: Robert Schweer, Kostüme: Nina Gundlach, Dramaturgie: Kerstin Behrens, Musikalische Leitung: Matthias Meyer
Mit: Nicola Fritzen, Carolin Haupt, Philippe Goos, Daniel Nerlich, Sebastian Weiss.
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