Über Fanatismus und Gewaltherrschaft

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Münster – Franz von Waldeck, Bischof und Landesherr, sitzt stock-steif im vollen Ornat vor den Toren der Stadt und langweilt sich offenbar zu Tode. Monika Hess-Zanger verkörpert den grantelnden Fürstbischof in unübertrefflicher Weise. Die Rolle scheint ihr auf den Leib geschrieben. Sie thront selbstgefällig und selbstherrlich auf einem prächtigen Sessel und schlummert immer wieder laut schnarchend ein, um dann erneut mit durchdringender Stimme loszupoltern. An Gott gerichtet: “Glotz mich nicht so an! Du sollst mich nicht anglotzen. Nicht anglotzen. Ich brauche Ruhe jetzt. Lass mich in Ruhe!”

Sie schwören auf “Das neue Jerusalem”: Prediger Jan Mathys (Heiko Grosche), Bernd Rothmanns (Sven Heiß) und Bernd Knipperdolling (Jürgen Lorenzen) – Fotos: Klaus Lefebvre

Auf der untersten Stufe vor seinen Füßen hockt Anna, ein junges Mädchen, mit einem Baby in den Armen. Das Baby ist das Kind des Bischofs, die Frucht seiner Lust und einer offensichtlichen Vergewaltigung. Die Stadt wird derweil von den Truppen des Bischofs und gedungenen Söldnern belagert, beschossen und unerbittlich ausgehungert. In Münster haben sich Täufer breit gemacht. Sie wollen dort das neue Jerusalem errichten. Eine Kampfansage an die katholische Kirche und deren Machtanspruch.

Fürstbischof Franz von Waldeck (Monika Hess-Zanger)

Der rote Vorhang symbolisiert die Stadtmauern von Münster und den Vorhang der Geschichte. Als der aufgezogen wird, kann das Spiel beginnen. Das Wolfgang Borchert Theater in Münster hat zum Reformationsjubiläum in diesem Jahr, “Das neue Jerusalem”, ein Stück über das Täuferreich in Münster in Auftrag gegeben. Die in Berlin lebende litauische Autorin Arna Aley hat dieses Stück geschrieben. Seit dem vergangenen Donnerstag geht die Welturaufführung über die Bühne. Mit dabei: ein Großteil des Ensembles, das von einigen zusätzlichen Darstellerinnen und Darstellern der Schauspielschule Keller unterstützt wird. Insgesamt 18 Darsteller. Das ist ungewöhnlich viel. Beim Schlußapplaus haben die Darsteller Mühe, in einer Reihe an die Rampe zu treten.

Die Gefolgschaft ist zur Erwachsenentaufe gerufen

Im Mittelpunkt der Geschichte um Fanatismus, Sektierertum und Gewaltherrschaft stehen Bernd Rothmann, Jan Mathys und Bernd Knipperdolling, die den Holländer Jan Beuckelsson, besser bekannt als Jan van Leiden nach Münster geholt haben. Es ist das Jahr 1534.  Jan van Leiden ist Täufer und versucht zusammen mit Bernd Rothmann, dem Worthalter des Königs (Sven Heiß) und Bernd Knipperdolling, der Statthalter des Königs (Jürgen Lorenzen) Ordnung in die Stadt zu bringen. Denn die ist zum Sammelbecken und Zufluchtsort für aufgebrachte Katholiken geworden, die sich von der heiligen Mutter Kirche abwenden und einen eigenen Weg gehen wollen. Anders als die Lutheraner fordern die Täufer eine radikale Umkehr zur Gütergemeinschaft. Sie wollen eine Art kommunistische Gemeinde wie zu Zeiten der Urchristen aufbauen. Wie die Geschichte ausgeht, weiß jedes Kind. In Münster ist der Aufstand Teil der Stadtgeschichte. Die drei Käfige an St. Lamberti scheinen bis heute daran erinnern zu sollen, worauf jeder sich einzustellen hat, der sich der herrschenden Obrigkeit, hier der heiligen Mutter Kirche, widersetzt.

Die Täufer bilden eine treue und ergeben Gefolgschaft

An der Geschichte der Täufer sind in den vergangenen Jahrhunderten verschiedene Exempel statuiert worden. “Das neue Jerusalem” ist von Intendant Meinhard Zanger beinahe zeitlos inszeniert – aus gutem Grund. Er sagt: “Wir wollen keinen Historienschinken mit musealen Fakten auf die Bühne bringen. Beim Theatermachen geht es immer um die Frage: Was erzählt uns das heute? Auch gibt es Gruppen, die sich politisch radikalisieren, weil ihnen bestimmte Dinge in der Gesellschaft nicht weit genug gehen, und quasi als Sektierer auftreten. – Die Rezeptionsgeschichte der Täufer ist sehr vielseitig und man merkt, die jeweils aktuellen politischen Strömungen in der Wiedergabe der Geschichte. Sie stehen für Rebellion und den Protest, sogar für Anarchie. In manchen Phasen unserer Geschichte wurde das positiv gesehen, in anderen negativ. Meines Erachtens ist es aber zu kurz gegriffen, die Täufer darauf zu reduzieren. Da steckt mehr drin.”

Jan van Leiden hat sich zum unerbittlichen Herrscher aufgeschwungen. An seiner Seite: Die Königin Divara. Wer dem König nicht folgt, läuft Gefahr, geköpft zu werden (Jannike Schubert, Florian Bender)

Das moderne, abstrakte Bühnenbild und das Spiel auf verschiedenen Ebenen erlaubt es, das Drama als eine Parabel zu lesen. Darko Petrovic hat auf der Bühne eine Art Amphitheater errichtet. Im Mittelpunkt erscheint auf einer kleinen Drehbühne der Thron des Königs. Mit durchsichtigen Vorhängen wechseln die Szenen, werden neue Spielorte angedeutet. Aus dem Hintergrund werden göttliche Offenbarungen und Prophezeiungen eingespielt, im Scheinwerferlicht erscheint dafür wie im Nebel das Gesicht Jesus. Die Geschichte der Täufer entpuppt sich als ein Lehrstück, das ohne große Verdrehungen auch auf unsere Zeit anzuwenden ist. In der Rolle des Königs könnten sich auch Diktatoren wie Hitler, selbstherrliche Herrscher wie Erdoğan, Trump oder andere gefallen. In der Rolle des Volkes: all jene, die den aktuellen Populisten hinterherlaufen und ihr Gehirn am Eingang ablegen. Mitunter wird man bei der radikalen Gesellschaft der Täufer auch an den Islamischen Staat erinnert. Gewalt bestimmt den Zusammenhalt. Mit Mord wird jedes Fehlverhalten sanktioniert. Es rollen die Köpfe.

Das Volk begehrt auf

Im Februar 1534 war der niederländische Prediger Jan Mathys in der Stadt eingetroffen und hatte in seinen Predigten Münster zum “Neuen Jerusalem” erchoren. Der katholische Landesherr Bischof Franz von Waldeck hatte daraufhin die Belagerung der Stadt angeordnet. Es war ein blutiger Machtkampf zwischen Täufern, Kirche, Adel und Bürgern entbrannt. Als Jan Mathys getötet wird, erklärt sich Jan van Leiden zum König und setzt sich selbst die Krone auf.

Während das Volk hungert und krepiert, finden am Hofe große Gelage statt. (vl. Jannike Schubert, Florian Bender, Sven Heiß, Hannah Sieh)

Jan van Leiden (Florian Bender) spielt die Rolle des modernen Rattenfängers, der sich rasch in einen Diktator verwandelt. Er gewinnt in der Stadt immer mehr Gefolgsleute, Katholiken wie Protestanten. Der weitgereiste Schneider, Kaufmann, Gastwirt, Meistersinger und Schauspieler ist ein charismatischer Führer, der darüber hinaus Eindruck auf Frauen macht. Sie sind fasziniert von dessen erotischen Ausstrahlung. Der König hat gleich mehrere Frauen, was zur Blaupause für die Vielweiberei unter den Täufern wird. Ab jetzt dürfen Männer mehrere Frauen haben. Tatsächlich erfüllt die Vielweiberei der Täufer gleich mehrere Aufgaben. Neben der sexuellen Befriedigung, dient sie der sozialen Absicherung der Frauen, die in der Stadt in der Überzahl sind und sie sorgt dafür, dass sich die Täufer stark vermehren können. Das Ziel steht ihnen vor Augen: Es gilt das Reich der Täufer zu errichten.

Die Hungernden kriechen heran, um etwas von der Tafel abzubekommen

Über alle privaten Interessen wird die Gemeinschaft der Gläubigen gestellt. Doch in der apokalyptischen Situation mit den Kriegsknechten vor den Toren der Stadt greift Jan van Leiden zu immer drastischeren Mitteln, bis die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten ist. Wer sich ihm in den Weg stellt oder sich nicht taufen lässt, der wird ohne großen Prozess hingerichtet. Nicht einmal Mitglieder der Familie werden von dieser Regel ausgeschlossen.

Jan van Leiden (Florian Bender) kennt kein Pardon. Er wird Elisabeth vor versammeltem Hofstadt hinrichten.

Die Belagerung durch den Bischof zwingt die Stadt buchstäblich in die Knie. Die in der Stadt zusammengepferchten Täufer haben nichts mehr zu essen. Längst ist klar, dass Gott zu Ostern wieder nicht erscheinen wird wie es Jan Mathys noch vorausgesagt hatte. Die Täufer beginnen zu zweifeln. Aberglaube kommt auf. Die Menschen hungern und gehen reihenweise zu Grunde. Nachdem selbst Katzen im Kochtopf und Mäuse in der Pfanne landen, ist aller Widerstand gebrochen. Selbst Leichen werden nun geschändet.

Bernd Knipperdolling (Jürgen Lorenzen) und der König (Florian Bender) geraten aneinander. Im Hintergrund beobachtet Rothmann (Sven Heiß) entsetzt die Auseinandersetzung

Derweil frönt die Führungsclique um Jan van Leiden weiter dem süssen Leben und dem ausschweifenden Laster. Wein, Weib und Gesang und dazu noch Speisen im Überfluß. Mitten in der Todeslandschaft ist der Tisch des Königs aufgestellt. Um den Tisch herum sitzen Jan van Leiden, Rothmann, Divara, Elisabeth, Corvinus (wurde vom Bischof gesandt, um sich selbst ein Bild über die Lage in der Stadt zu machen), Knipperdolling ist als Hofnarr verkleidet. Doch dem Narr gelingt es nicht mehr, die Gesellschaft aufzumuntern. Ihm kommt nurmehr Sarkasmus über die Lippen. Auch ihn treiben Zweifel um.

Bernd Knipperdollink (Jürgen Lorenzen) trägt die hingerichtete Elisabeth (Hannah Sieh) davon

Das üppige Festmahl wird von der verhungernden Gesellschaft gestört. Die Menschen kriechen wie Ratten um den Tisch, um etwas Essbares zu ergattern. Wie in einer letzten Durchhalteparole wird Elisabeth von Jan van Leiden eigenhändig geköpft als sie gegen den König aufbegehrt und das nahe Ende der Täufer voraussagt. Das Fest geht zu Ende.

Wie ein Geschenk wird eine überlebensgroße Figur hereingeschoben. Sie ist in Packpapier gehüllt. In ihm scheint sich der Golem zu verbergen, auf den die Menschen in der Stadt ihre neuerliche Hoffnung setzen. Als die Figur enthüllt wird, kommt darunter der Bischof zum Vorschein. Eine Art Orakel. Das Täuferreich wird fallen. Die Hybris findet ein Ende. (Jörg Bockow)

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