Interview Familienunternehmen: Immer die Kinder

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Westfalen – Orientierung im nationalen und internationalen Gesetzesdschungel und ein erfolgreicher Übergang auf die nächste Generation – das sind heute die größten Herausforderungen für Familienunternehmen. Westfalium-Redakteur Wienand Geuking redete darüber mit Hendrik Koch, dem neuen Leiter der Bielefelder Niederlassung von KPMG, einer der größten deutschen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.

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Hendrik Koch, Leiter der Bielefelder Niederlassung von KPMG

Westfalium: Sehr geehrter Herr Koch, als Wirtschaftsprüfer kennen Sie die Sorgen familiengeführter Unternehmen. Was sind die wichtigsten Themen für die Oetkers, Mieles und Kaldeweis?
Hendrik Koch: Was die konkreten Themen der drei von Ihnen angesprochenen Unternehmen sind, kann ich Ihnen aus Gründen der Verschwiegenheit nicht beantworten. Wenn es aber grundsätzlich um die familiengeführten Unternehmen in Deutschland geht – und ich einmal die operativen Herausforderungen ausspare, die jeden Familienunternehmer tagtäglich umtreiben –, dann werden wir immer wieder mit zwei wesentlichen Themen konfrontiert: Zum einen sind das die Herausforderungen der Internationalisierung und die damit einhergehenden Compliance-Fragen und zum anderen ist es die Gestaltung des Übergangs der Firma auf die nächste Generation.

Westfalium: Compliance bei Familienunternehmen – was meint das genau?
Hendrik Koch: Ganz grundsätzlich meint Compliance schlicht und einfach „Regeltreue“, das heißt die Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien. Die Nichteinhaltung von Regeln kann zu Unternehmensstrafen, Bußgeldern, Gewinnabschöpfung oder dem Verfall des durch den Gesetzesverstoß erzielten Gewinns führen. Natürlich gibt es in den meisten Unternehmen eine eigene Rechts- oder Controlling-Abteilung, die mit der Einhaltung von Gesetzen und Richtlinien oder der Überwachung der Unternehmenstätigkeit betraut ist. Durch die zunehmende Internationalisierung gerade auch im familiengeführten Mittelstand haben sich in den letzten Jahren die Compliance-Risiken aber um ein Vielfaches erhöht. Wer beispielsweise in einigen Ländern Osteuropas oder auch Asiens tätig ist, muss sich häufig mit Themen wieKorruption, parteilichen Richtern, Diebstahlvon geistigem Eigentum oder behördlichen Schikanen befassen. Aber auch die deutsche Gesetzgebung hat sich bezüglich Compliance in den letzten Jahren noch einmal deutlich verschärft. So ist die Geldbuße gemäß § 130 Ordnungswidrigkeitengesetz von bislang einer Million Euro auf zehn Millionen Euro heraufgesetzt worden. Hiernach kann eine fehlerhafte oder nicht auf dem neuesten Stand befindliche Compliance als Organisationspflichtverletzung angesehen werden. Und wenn Sie dann als Gesellschafter beziehungsweise Familienunternehmer Ihre Organisation nicht richtig aufgestellt haben, dann bekommen Sie schnell Probleme – das kann auch bis hin zu einer persönlichen Geschäftsführerhaftung reichen.

Westfalium: Und wie könnte eine moderne Compliance im Jahr 2016 aussehen?
Hendrik Koch: Zuerst muss ich mir als Unternehmer natürlich überhaupt einmal über die Risiken, denen ich ausgesetzt bin, klar werden – Was ist also mit kartellrechtlichen Anforderungen? Wie steht es mit möglichen Produkthaftungen im In-, aber vor allem auch im Ausland? Was unterliegt beispielsweise im Ausland überhaupt einem Korruptionstatbestand? Was sagt das deutsche Steuerrecht zu hohen Provisionszahlungen? In einem zweiten Schritt muss sich das Unternehmen klare Regeln geben. Das geht dann von einer Richtlinie für die Einkaufsabteilung über den Umgang mit Lieferanten bis hin zur Regelung im Umgang mit Datenschutz. Dann müssen die Mitarbeiter sensibilisiert und geschult werden, und schließlich muss eine gute Compliance natürlich stetig überwacht werden – gegebenenfalls auch durch Dritte wie Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwälte.

Westfalium: Was sind die Probleme bei der Nachfolgeregelung in Familienunternehmen?
Hendrik Koch: Ja – ein letztendlich zeitloses und gleichzeitig immer wieder aktuelles Thema. Bismarck wird hierzu der viel zitierte Satz zugeschrieben: „Die erste Generation schafft Vermögen, die zweite verwaltet und vermehrt Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte, und die vierte verkommt.“ Nun habe ich persönlich nichts gegen Kunsthistoriker – im Gegenteil. Doch wenn ich mir unsere Lebenswirklichkeit und einige der von uns betreuten Familienunternehmen anschaue, dann zeigt sich in der Tat, dass die Themen rund um das Erbe und die Nachfolgeregelungen sich gerade in der dritten und vierten Generation verschärfen. Hier gibt es leider immer wieder Konflikte, die selbst starke Familien und erfolgreiche Unternehmen in gefährliches Wanken bringen können – bis zum Untergang.

Westfalium: Und was ist dann, wenn die vierte Generation tatsächlich nicht in die Fußstapfen der Eltern treten möchte?
Hendrik Koch: Dann ist das natürlich in Ordnung, solange sich alle darüber aussprechen, was sie wollen. Wenn das klar ist, kann man frühzeitig die Weichen stellen. Ich gebe Ihnen einmal ein Beispiel: Ein von mir betreuter Familienunternehmer in dritter Generation eröffnete mir vor wenigen Jahren, dass seine Tochter, sein einziges Kind, kein Interesse an der Nachfolge habe. So weit, so gut. Für die Unternehmensnachfolge beziehungsweise für die Zukunft des Unternehmens kam nun also entweder ein Fremdmanagement oder ein kompletter Verkauf des Unternehmens infrage. Nun war die Firma aber zu 100 Prozent auf den Familienunternehmer zugeschnitten. Er hatte quasi alles im Kopf – sämtliche Genehmigungen liefen über ihn, keine Zahlung verließ das Unternehmen ohne seine Unterschrift. Diese Organisation war damit völlig ungeeignet sowohl für ein Fremdmanagement als auch für einen möglichen Verkauf. In diesem Fall mussten erst einmal die strukturellen Voraussetzungen für eine Nachfolge geschaffen werden – angefangen von schriftlich fixierten Organisationsanweisungen und klaren Kompetenzzuordnungen über die Verteilung von Aufgaben auf mehrere Köpfe bis hin zur Implementierung eines neuen IT-Systems. Bei der eigentlichen Nachfolgeregelung bewegte der Unternehmer sich in einem Geflecht aus Erbvertrag, Testament und sonstigen Vereinbarungen. Das wurde schnell kompliziert, wenn man bedenkt, dass es bei Erbschaftsangelegenheiten oft nur ein kleiner Schritt ist zwischen einem Steuersatz von 50 Prozent und völliger Steuerfreiheit. Und schlussendlich wurde noch ein Beirat eingerichtet, über den die Tochter dann später Einfluss und Kontrolle auf das Fremdmanagement nehmen konnte. Denn am Ende blieb die Firma im Eigentum der Familie.

Westfalium: Und wenn es mehrere Kinder gibt? Lässt sich der Streit ums Erbe vermeiden?
Hendrik Koch: Absolut. Hier gilt es, Regelungen frühzeitig zu treffen – zumindest in einer Zeit, wo sich die Familie noch versteht. So kann man sich als Unternehmer-Familie beispielsweise eine sogenannte Familienverfassung geben. Dort werden Themen wie Mitgliedschaft, Selbstverständnis, Inhaber-Geschäftsmodell sowie Corporate Governance (Nachfolge, Mitarbeit, Beirat, Ausschüttung und Ausscheiden) und Family Governance zwischen den Generationen geregelt. Eine Familienverfassung wahrt Stabilität und sichert die Kommunikation. Gegensätzliche Interessen können ausgesprochen und gelöst werden. Heute hat sich in Deutschland bereits mehr als ein Viertel der Unternehmerfamilien eine derartige Verfassung gegeben – Tendenz steigend.

Westfalium: Sie leiten seit wenigen Monaten die KPMG-Niederlassung Ostwestfalen in Bielefeld und haben vorher in Düsseldorf gearbeitet. Was ist hier anders?
Hendrik Koch: In der Tat hat es mich nach 13 Jahren bei KPMG in Düsseldorf zurück in meine westfälische Heimat gezogen. Dem Westfalen wird im Gegensatz zum Rheinländer ja neben seiner Bodenständigkeit auch eine eher gelassene – einige sagen auch „sture“ – Art zugeschrieben. Ich persönlich schätze das sehr. Denn stur hat ja in gewisser Weise auch etwas mit Verlässlichkeit zu tun. Hier gilt das einmal Vereinbarte. Mir als Wirtschaftsprüfer und gebürtigem Münsterländer kommt das sehr gelegen. Manche sagen nicht ganz ohne Ironie: „Der Westfale hält, was der Rheinländer verspricht …“ Und schlussendlich muss ich sagen: Mir liegt kulinarisch das
Westfälische ebenfalls näher als das Rheinländische. So geht mir doch nichts über „Spanisch Fricco“, den westfälischen Eintopf aus Fleisch, Kartoffeln und Zwiebeln. Und wenn es dann zum Nachtisch Stippmilch mit Zimt oder Herrencreme gibt, dann ist die Welt für mich in Ordnung.

HENDRIK KOCH ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungs-gesellschaft und leitet seit April 2016 die Niederlassung Bielefeld. Bereits seit 1924 ist KPMG mit einer Niederlassung in der Teuto-Metropole vertreten – damit ist es das traditionsreichste Wirtschaftsprüfungsunternehmen am Ort. Zurzeit arbeiten rund 100 Mitarbeiter für das Unternehmen in Bielefeld, darunter 20 Wirtschaftsprüfer, 40 Steuerberater und zehn Rechtsanwälte. In Deutschland ist KPMG mit rund 9.800 Mitarbeitern an über 20 Standorten präsent. Hendrik Koch ist als Sohn eines Landwirts im Münsterland aufgewachsen und dort nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften und diversen Stationen im In- und Ausland heute wieder heimisch. Sein Schwerpunkt liegt in der Prüfung und prozessorientierten Beratung national und international agierender Familienunternehmen.

KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Nikolaus-Dürkopp-Str. 2a, 33602 Bielefeld, Hendrik Koch, mobil 0174/3021486, www.kpmg.de

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