Münster – Auf Münster Promenade hat die Arbeit von Olga-Maria Klassen bereits für Fahrradunfälle gesorgt, wie die Malerin erstaunt berichtet. Die gebürtige Russin malt in der Natur, eine Vorgehensweise, die hierzulande eine Seltenheit geworden ist und offenbar dafür sorgt, dass Radfahrer in ihrer Verwirrung nicht mehr auf den Weg achten. „In St. Petersburg gibt es 5000 professionelle Künstler, die Straßen sind voller Maler, da schaut sich niemand nach einem um“ erzählt sie. Mehr als 30 ihrer Arbeiten werden gegenwärtig unter dem Titel „Frühjahrsmelodien“ im Foyer der Raphaelsklinik ausgestellt.
Die Raphaelsklinik wurde am 10. Juli 1908 unter der Trägerschaft der Clemensschwestern in unmittelbarer Nähe ihres Mutterhauses, dem Clemenskloster eröffnet. Sie besaßen zu jener Zeit bereits etwa 100 Jahre Erfahrung in der Krankenpflege, arbeiteten jedoch unter fremder Regie in unterschiedlichen Einrichtungen. Mit der Gründung der Klinik konnten sie somit erstmals ihr Wissen in einem eigenen Krankenhaus anwenden. Seit einigen Jahren veranstaltet die heute zur Alexianer-Stiftung gehörende Raphaelsklinik, die zu einem der besten Krankenhäuser in Westfalen gehört, regelmäßig Kunstausstellungen im Eingangsbereich ihres denkmalgeschützten Hauptgebäudes aus den 20er Jahren. Unter anderem wurden hier schon Acrylfarbe-Bilder von Anja Helfen, Fotografien von Christoph Brandl, Tier-Gemälde von Annette Isfort, Arbeiten von Ralf Schindler, quadratische Landschaftsgemälde von Rainald Papen, Cartoons von Jörg Hartmann und Tierbilder von Dieter Schiele gezeigt. Auch Lesungen zum Beispiel mit dem Kabarettisten Christoph Tiemann finden in dem Innenstadt-Krankenhaus zwischen den belebten Einkaufstraßen Salzstraße und Ludgeristraße regelmäßig statt. Das Kunstprogramm im Krankenhaus wird nicht nur von externen Besuchern gerne als Ergänzung zum Shopping-Besuch in Münsters Innenstadt genutzt, sondern ist auch für die Beschäftigten und vor allem die Patienten in der Raffaelsklinik eine echte Bereicherung des Klinik-Lebens, die auch in medizinischer Hinsicht positive Effekte hat.
Die Mehrzahl der Bilder ist in Münster oder dem Umland entstanden. Überwasserkirche, Zwinger, St. Ludgeri und natürlich die Promenade aber auch Burg Hülshoff sind zu sehen.
Die Farben der Ölbilder sind seltsam gedeckt, nicht leuchtend, sie werden der Künstlerin aus St. Petersburg geliefert, nur dort sind sie erhältlich, wie sie sagt. Eine Serie von Bleistiftzeichnungen zeigen Kopfweiden, denen die Künstlerin Titel wie „Krokodil“, „Einsamkeit“ oder „Frisur“ gegeben hat. „Die stehen an der Gasselstiege, die kenne ich gut!“, begeistert erkannte eine der Besucherinnen der Ausstellungseröffnung die knorrigen Gestalten auf den Zeichnungen wieder.
Olga-Maria Klassen wurde in Solikamsk, einer Stadt am Ural, geboren. Ihre Vorfahren – Deutsche mit niederländischen Wurzeln – kamen im 19. Jahrhundert nach Russland. Vielleicht hat die genetische Teilhabe an den Niederlanden, die man „Das Seetor zu Europa“ nennt, Olga-Maria Klassens Liebe zu Wasser und Schiffen bestimmt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebte die Familie Klassen in Donezk, in der heutigen Ukraine.
Mit Beginn des II. Weltkriegs wurde sie, wie so viele Menschen deutscher Abstammung, in den Ural deportiert – und dort blieb sie. Der Fluss Kama, an dessen Ufern die Familie so viele Jahre verbrachte, war dem Mädchen Lebensquelle und Symbol der inneren romantischen Freiheit – damals noch nicht bewusst gelebt und dennoch unbewusstes Abbild des Seins.
Wer ahnte damals schon, dass aus der Fähigkeit, die ewigen Veränderungen der Natur zu betrachten und zu verinnerlichen, eine ganze Reihe grafischer Reflexionen geboren würde.
Die erste Ausbildung genoss Olga-Maria Klassen an der grafischen Fakultät des Staatlichen Pädagogischen Instituts in Nischnij Tagil, an der Evgeny Bortnikov, ein herausragender Grafiker und Lehrer, ihr Dozent und Hauptmentor war. Die zweite Ausbildung, dann schon in Deutschland, absolvierte sie als Studentin in der Klasse des Rektors Prof. Udo Scheel an der Kunstakademie Münster. Während dieser Zeit hat sie viel in der Akademie-Druckwerkstatt unter der Leitung von Wolfram Heistermann gearbeitet, der ihr die zahlreichen Möglichkeiten der Radierung eröffnete – seitdem eine der beliebtesten Techniken von Olga-Maria Klassen.
Es sieht so aus, als ob sie in ihrem Schaffen zwei Quellen vereinigte: „Von den in Russland gesammelten Ideen inspiriert“, lässt sie sich auf ein Experiment in Deutschland ein. Mit den für einen Künstler grenzenlosen technischen Möglichkeiten für die Umsetzung des Geplanten sucht sie „ausgelöschte Funken“ der Einheit des Menschen mit der Natur; ruhig und bescheiden gibt sie den Menschen die heutzutage vielfach verlorene Fähigkeit, das Selbstverständliche kontemplativ wahrzunehmen.
Die Ausstellung ist bis zum 1. Mai täglich im Foyer der Raphaelsklinik zu sehen ist. Der Eintritt ist frei.
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